4. Verborgenes Erbe

78 14 3
                                    

Cales Sinne nahmen nur langsam Ihre Funktion wieder auf. Stück für Stück begann der junge Mann seine Welt wieder wahrzunehmen. Zunächst fiel ihm auf, dass er offenbar lag. Der Untergrund fühlte sich weich an und angenehm warm. Weniger ansprechend war die Tatsache, dass er offenbar Kopfschmerzen hatte. Ein rhythmisches Ziehen sandte immer wieder Wellen von stechendem Schmerz durch seinen Körper. Der junge Drachenreiter brauchte einige Minuten um festzustellen, dass es sich nicht um gewöhnliche Kopfschmerzen handelte.
Irgend etwas zog und zerrte aus Leibeskräften an einem Schopf von Cales naturblonden Haar. Immer wieder war ein verärgertes Schnaufen zuhören. Der Junge schlug die Augen auf und stellte fest, dass er nicht mehr in dem Zelt war wo...
Mit einem Schlag war Cale hellwach. Der Drache aus dem roten Ei! Er war geschlüpft bei ihm! Oder hatte er sich das nur eingebildet?
Ein weiteres Mal zog etwas an Cales Haaren und diesmal spürte der Junge wie ein großes Büschel aus seiner Kopfhaut gerissen wurde.
"Aua!" Stieß der Junge hervor, setzte sich auf und drehte sich gleichzeitig um, sodass er sehen konnte was von hinten an seinen Haaren gezogen hatte. Was er erblickte machte ihn erst einmal sprachlos. Dort hockte, glänzend wie ein lupenreiner Rubin, der kleine Drache. Goldene Lichtreflexe tanzten über die schwarzen Stacheln, Krallen und Hörner. Im Maul hatte der Winzling ein Büschel Haare, welches zu beiden Seiten aus seinem Kiefer herausragte. Dadurch entstand der Eindruck, der kleine Drache hätte einen Schnurrbart.
Die Augen des Winzlings glänzten wie polierter Bernstein und sichtliche Freude darüber, dass er den Menschen vor ihm zum Aufwachen gebracht hatte spiegelte sich im Blick des Drachen. Er spukte die Haare auf das Laken des Bettes auf dem Cale lag und tapste auf seinen Reiter zu.
Cale spürte, dass ein fremdes Bewusstsein in sein eigenes eindringen wollte. Zwar hatten sein Großvater und sein Vater ihm beigebracht sein Geist zu verteidigen doch der Junge fühlte sich zu überwältigt, um Schutzwälle zu errichten. Er ließ den Kontakt zu und stellte fest, dass er die Gedanken des Jungdrachen auffing. Überschäumende Lebensfreude und Zuneigung flutete durch die Gedanken des Buchbindersohns. Doch auch ein leiser Vorwurf ließ sich aus dem Strom der Empfindungen herauslesen.
"Wie kannst Du denn jetzt schlafen, wir müssen uns noch kennenlernen!" Schien die Nachricht zu sein, die das kleine Wesen übermitteln wollte.
Vorsichtig begann Cale den kleinen Drachen zu streicheln. Dieser kommentierte die Zärtlichkeit seines Reiters mit einem behaglichen Summen. Noch während er den Hals des kleinen Wesens kraulte entdeckte Cale ein silbernes Mal auf seiner Hand.
... Die Gedwey Ignasia... schoss es dem Jungen durch den Kopf. Sein Vater hatte ihm einmal davon erzählt. Es war das sichere Erkennungszeichen eines Drachenreiters. Fassungslos starrte der Buchbindersohn seine Handfläche an.
Der kleine Drache war überhaupt nicht begeistert davon, dass seine Streicheleinheiten schon zu Ende waren. Er kugelte über die Bettdecke, drehte sich auf den Rücken und begann mit seinen kleinen Pfoten auffordern gegen Cales Hand zu schlagen. Dieser ließ sich nicht lange bitten und begann den Bauch seines Drachen zu kraulen. Sein Drache! Diese Worte sanken langsam in Cales Bewusstsein. Doch es war die Wahrheit. Ein Drache war bei ihm geschlüpft und er war nun ein Reiter.
Fassungslos schob er sich mit der Hand, die der kleine Rote nicht für sich beanspruchte, eine Haarsträhne hinter sein Ohr. Dabei stieß er auf etwas Merkwürdiges. Die Form seiner Ohren hatte sich verändert. Zumindest hatte es den Anschein, dass sie nun spitzer zu liefen. Der junge Reiter sah sich im Zimmer um und erkannte, dass er offenbar in einer kleinen Kammer der Stadtfestung war. In seinem Zimmer stand ein Bett und ein Nachttisch mit einer Waschschüssel darauf. Leider konnte der Buchbindersohn keinen Spiegel entdecken. Neben seinem Bett war jedoch ein Fenster in das eine, in vier Einzelsegmente unterteilte, Glasscheibe eingesetzt war. Mit etwas Mühe konnte er sein Spiegelbild im Glas erkennen. Tatsächlich liefen seine Ohren nun spitzer zu. Nicht annähernd so spitz wie bei den Elfen doch der Unterschied war deutlich erkennbar. Etwas nachdenklich zupfte Cale an seinen Haaren herum bis sie die Ohren erst einmal verdeckten. Er war sich nicht sicher was er davon halten sollte.
Ein kratzendes Geräusch von der Tür her erregte die Aufmerksamkeit des jungen Reiters und seines Drachen.
"Ist ja schon gut meine Kleine. "Eine warme, weibliche Stimme, die Cale bekannt vorkam, erklang von jenseits der massiven Holztür. "Verkratzt doch nicht alles. Ich mach ja schon die Tür auf."
Die Klinke wurde herunter gedrückt und kaum, dass die Tür sich einen Spalt geöffnet hatte, zwängte sich an der unteren Ecke ein Drachenkopf hindurch. Dieser kleine Drache war nicht größer als der von Cale doch funkelten seine Schuppen wie die Blüten eines Fliederbuschs. Die Hörner des kleinen Wesens waren himmelblau und auch bei diesem Schlüpfling tanzten goldene Lichtreflexe über das Hornwerk.
Cales Jungdrache war mit einem Satz auf den Beinen und beobachtete seinen Artgenossen, der sich nun ins Zimmer drängte. Kaum durch den Türspalt hoppelte der Schlüpfling auf das Bett zu, stellte sich auf die Hinterbeine und stützte sich mit den Vorderpfoten ab und reckte seinen Hals. Cales kleiner Begleiter spähte über die Bettkante und vorsichtig begannen die beiden Jungdrachen sich zu beschnuppern.
"Es freut mich das auch Dein Wunsch in Erfüllung gegangen ist."
Als sich der junge Drachenreiter auf der Suche nach der Quelle der Stimmen zur Tür umdrehte erkannte er Ismira im Türrahmen. Stolz präsentierte die junge Gräfin ihm das silberne Mal auf ihrer Handfläche. Cale konnte gar nicht anders, als sie anzulächeln.
"Danke. Ich gratuliere Euch ebenfalls. Kommt doch rein und setzt Euch."
Ismira nahm die Einladung offenbar gerne an und setzte sich zu Cale auf die Bettkante. Ihrem Schlüpfling half sie ebenfalls nach oben und die beiden Drachenkinder begannen neugierig sich gegenseitig zu umrunden.
"Meine Kleine wollte Deinen Drachen unbedingt kennenlernen als man uns sagte, dass noch ein Reiter erwählt worden ist." Erklärte die junge Frau Ihr Hiersein.
"Dann ist Dein Drache ein Mädchen?" Erkundigte sich Cale. "Woran erkennt man das?"
"Mein Onkel Eragon hat mir erklärt, woran man das sieht." Berichtete Ismira stolz. "Siehst Du, bei meinem Drachen bildet die Wirbelsäule eine gerade Linie, die parallel zum Horizont verläuft. Bei Deinem Drachen sind die Vorderbeine etwas kräftiger und daher hebt sich seine Wirbelsäule in einem Winkel, wenn man sie mit dem Horizont vergleicht. Das ist typisch für männliche Drachen während die perfekte Horizontale ein Kennzeichen für weibliche Drachen ist."
"Sehr richtig Ismira-Finiarell."
Eine melodische Stimme erklang von der Tür her. Die elfische Drachenreiterin, die Cale aufgefordert hatte das Ei zu nehmen und einem der Wächter zu folgen stand in der Tür. In ihren Händen hielt zwei Schüsseln mit frischem, zartem Fleisch.
Der Anblick entlockte den beiden Jungdrachen ein freudiges Fiepen. Beide hopsten vom Bett, liefen auf die Reiterin zu und begannen, mit flatternden Flügelschlägen, an Ihr hochzuspringen. Lachend stellte die Elfe die beiden Schüsseln auf dem Boden und die beiden Jungdrachen begannen sofort zu fressen.
Cale und Ismira hatten sich erhoben und der junge Reiter verneigte sich vor der Elfe.
"Es ist eine Ehre Euch kennenzulernen Frau Elfe."
Die Drachenreiterin lächelte Cale freundlich an.
"Danke junge Reiter. Dein Name ist Cale, nicht wahr? Ich heiße Narie und Ihr beide sollte mich mit Meisterin ansprechen. Für die erste Zeit Eurer Ausbildung bin ich und ein weiterer Reiter, nämlich Eure Lehrerin. Auch meiner Drachendame Kira werdet Ihr bitte diesen Respekt erweisen."
Sowohl Cale als auch Ismira bestätigten die Forderung der Elfe mit einem Nicken.
Die elfischer Drachenreiterin fuhr fort: "Ich bin besonders froh, dass diese beiden Küken so schnell ihre Reiter gefunden haben. Ihr müsst wissen, es sind die erstgeborenen Kinder meiner Drachendame und ihres Gefährten Hidalgo. Sobald die Kleinen ihren Hunger gestillt haben möchte ich sie gerne ihren Eltern vorstellen. Dann wird auch Eure erste Aufgabe auf uns zukommen. Ihr müsst nämlich Euren Drachen passenden Namen geben."
"Dann ist Cales Roter der Bruder meiner Kleinen? Die beiden sind Geschwister?" Freute sich Ismira.
"In der Tat. Außerdem sind sie beide die ersten Enkelkinder von Saphira Schimmerschuppe." Bestätigte die Elfe Narie.
Cale hatte das Gefühl seinen Drachen mit ganz neuen Augen zu sehen. Sein kleiner Begleiter war direkt mit der Drachendame verwandt, die einst auf seitens der Varden gekämpft hatte.
"Verzeiht, Meisterin, aber wäre das nicht die Aufgabe ihrer Eltern den Drachen Namen zu geben?" Erkundigte sich Cale bei der Drachenreiterin Narie.
"Nein, nicht bei Drachen die sich einen Reiter gewählt haben." Erklärte die Elfe geduldig. "Da ist es Tradition, dass die Reiter den Namen wählen. Es ist aber eine Geste des Respekts das die Eltern der Jungdrachen dabei anwesend sind. Bevor wir uns allerdings zu Kira und Hidalgo begeben hätte ich noch eine Frage an Dich Cale."
Die silberhaarige Elfe zog unter ihrem Wams Cales Dolch hervor. Erst jetzt fiel dem jungen Drachenreiter auf, dass er das Erbstück seiner Familie nicht mehr bei sich trug.
"Woher hast Du das?" Erkundigte sich Narie. "Diese Waffe ist von meinem Volk hergestellt und wenigstens 100 Jahre alt."
"Von meinem Großvater, Meisterin. Er hat erzählt, das Erbstück unserer Familie ist. Er meinte, dass einer unserer Vorfahren selbst ein Reiter gewesen ist. Ich bin mir da nicht so sicher."
"Es spricht einiges dafür." Erklärte Narie sachlich und schob Cales Haaransatz zur Seite so, dass seine veränderten Ohren sichtbar wurden. Interessiert musterte Ismira die neue Form.
Inzwischen hatte Narie den Dolch aus seiner Scheide gezogen und flüsterte einige Worte in einer fremden Sprache zu der Klinge. Plötzlich schienen bestimmte Punkte an der glänzenden Oberfläche des Messers das Licht regelrecht anzuziehen. Eine Reihe fein geschwungener Schriftzeichen wurde sichtbar.
"Möge die Macht dieser Waffe seinen Träger beschützen den Ihr gehört mein Herz." Übersetzten Narie für ihre staunenden Schüler. "Das ist ein magischer Segen der auf dieser Waffe liegt. Die Qualität, mit der sie hergestellt wurde, kommt fast der, der Schmiedemeisterin Runön nahe. Es kann nicht viele geben die so etwas herstellen können auch unter meinem Volk. Ich würde vermuten, dass eine menschliche Drachenreiterin einen Gefährten unter meinem Volk hatte. Dieser muss ein Schmied gewesen sein und Ihr diesen Dolch zum Geschenk gemacht haben. Das schließe ich aus dem Wortlaut des Segensspruches. Es heißt: Ihr gehört mein Herz. Das lässt auf eine Frau schließen, für die diese Waffe bestimmt war. Und Deine Ohren sind ein Beleg dafür, dass die Liebe der Beiden durch ein Kind gesegnet wurde. Jeder Drachenreiter durchläuft eine gewisse Veränderung, wenn er seinen Seelenpartner findet aber so früh wie bei Dir, Cale, ist es ungewöhnlich. Ich denke, das tief in Deinem Blut noch das Erbe meines Volkes schlummert. Der Kontakt zu Deinem Drachen als dieses Erbe zum Vorschein gebracht. Bisher hat es sich wohl nicht gezeigt, weil etliche Generationen zwischen Dir und Deinem elfischen Vorfahren liegen."
Was seine Lehrmeisterin da gesagt hatte, musste der Buchbindersohn erst einmal verdauen. Nachdenklich ließe sich auf die Bettkante sinken. Nicht nur sollte einer seiner Vorfahren ein Drachenreiter gewesen sein, sondern er war auch noch mit einem Elfen verwandt?
"Wenn Du nichts dagegen hast Cale-Finiarell würde ich die Waffe gerne unter den Schmieden meines Volkes herumzeigen. Vielleicht erkennt jemand die Arbeit wieder. Das könnte uns Aufschluss über Deine Herkunft geben. Natürlich, nur wenn Dich das interessiert."
"Doch, es interessiert mich sehr. Vielen Dank, Meisterin."
Inzwischen hatten die beiden Schlüpflinge ihrer Mahlzeit beendet und hopsten zu ihren Reitern zurück. Cale spürte, dass sein junger Begleiter glücklich und satt war. Zutraulich schmiegte sich der kleine Drache an die Brust seines Reiters als dieser ihn auf den Arm nahm. Auch Ismira hatte Ihr Drachenmädchen aufgehoben und wiegte sie sanft hin und her, was der kleinen Drachendame zu gefallen schien.
"Nun, dann sollten wir die Eltern der beiden nicht mehr länger warten lassen. Folgt mir bitte."
"Einen Moment noch." warf Ismira ein. "Ich habe gemerkt, dass Du mich immer noch sehr förmlich ansprichst Cale. Ich möchte Dich bitten, dass von jetzt anzulassen. Ich möchte nicht, das Du auf diese Art Unterschiede zwischen uns schaffst. Besonders nicht da unsere Drachen doch Bruder und Schwester sind. Sie stehen jetzt beide am Anfang eines völlig neuen Weges."
"Aber Ihr seid eine Gräfin!" Widersprach Cale.
"Diesen Titel muss sich als Drachenreiterin nun ablegen." Konterte Ismira.
"Ihr seid die Nichte von Eragon Schattentöter und die Tochter von Roran Hammerfaust. Beide Helden des Krieges."
Cale wollte sich nicht so einfach geschlagen geben.
"Du bist der Nachfahre einer Drachenreiterin und trägst elfisches Blut in Dir. Und Dein Vater hat sein Leben gegeben, um verlorenes Wissen zu bewahren. Das ist auch sehr heldenhaft."
Ismira blieb unnachgiebig also kapitulierte Cale schließlich.
"Du liebst es zu gewinnen oder Ismira?" Fragte er mit einem schiefen Grinsen und betonte das "Du" in besonderem Maße. "Ich muss mich wohl Deiner Logik beugen."
"Über alle Maßen und gut, dass Du das einsiehst." Erwiderte die junge Frau schenkte ihm ein Lächeln, das Cale das Blut in die Wangen trieb.



Wenn euch das Kapitel gefallen hat:

Lasst doch einen Like(Vote) da. Das Zeigt mir, dass es euch gefällt
.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt