*69. Der Auszug

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Wie genau er es geschafft hatte seinen Marschgepäck zu schnüren war Tjurin noch immer rätselhaft. Ungläubig kreisten seine Gedanken immer noch um die Tatsache, dass er im Begriff war in den Kampf zu ziehen. Es gab genug bürgerliche Soldaten unter den Nachtfalken. Warum riskierte man das Leben von wertvolleren Individuen anstatt einfach die Gewöhnlichen auszuschicken?
"Stillgestanden!"
Die donnernde Stimme des Zwergs Burkott riss Tjurin aus seinen Überlegungen. Wie seine Kameraden nahmen auch er, dem Befehl folgend, Haltung an. Der Anblick den das Bataillon bot musste sicher beeindruckend sein. Die schwarzen Uniformen der Nachtfalken, der silberne Glanz der hochwertigen Kettenhemden und die Geschlossenheit ihrer Formation nötigten jedem Respekt ab. Dazu kamen noch die Waffen die die einzelnen Krieger trugen. Menschen und elfische Rekruten trugen an ihrem linken Arm jeweils einen Rundschild und in der rechten Hand einen Wurfspieß. Dazu am Gürtel ein Schwert von bester Qualität.
Auf dem Rundschild prangte das Wappen der Nachtfalken. Ein schwarzer Falke der scheinbar vom Himmel auf seine Beute herab stieß auf bronzenen Grund.
Auch die Rekruten der Zwerge und Urgals trugen Rundschilde mit diesem Wappen. Als Waffen bevorzugten sie jedoch Äxte. Die der Zwerge hatten längere Stile um die mangelnde Körpergröße zu kompensieren während die der Urgals kurzer Handäxte waren. Ein zu langer Stiel hätte bei der immensen Kraft der Gehörnten höchstens dazu geführt, dass die Waffe entzwei ging. Jeder Soldat trug einen Rucksack auf seinem Rücken in dem sein Marschgepäck verstaut war. Die Reiter zu denen Tjurins bekannter Maron gehörte säumten die Formation zur Rechten und zur Linken. Die Reiter standen jeweils rechts neben dem Kopf ihres Pferdes. Insgesamt sechs Reiter sollten das Bataillon begleiten.
Zwar ließen sich Berichte auch bequem über verzauberten Spiegel übermitteln doch es war nach wie vor gang und gebe die wichtigsten Depeschen in geschriebener Form zu überbringen. Ein Dokument war schwerer zu fälschen. Ein geschickter Magier konnte einen Spiegel so verzaubern das er ein völlig anderes Gesicht zeigte und so Missinformationen senden. Jeweils drei Magier aus jedem Volk der Nachtfalken begleiteten ebenfalls das Bataillon.
Vor diesem versammelten Truppen baute sich nun ein stämmiger Offizier mit grauen Haaren und gepflegtem weißen Bart auf. Tjurin erkannte den Mann als Oberst Miros. Er gehörte zu den erfahrensten Befehlshabern der Nachtfalken und hatte schon im großen Krieg unter der Königin gedient. Der erfahrene Offizier räusperte sich und begann anschließend zu sprechen. Seine Stimme zeugte von Alter und Erfahrung, drückte aber auch ungebrochene Kraft aus. Obwohl sie nicht magisch verstärkt war konnte jeder der Anwesenden genau die Rede verfolgen.
"Soldaten der Nachtfalken! Euch ist die Ehre zuteil geworden in der angesehensten Truppe des Reiches zu dienen. In der persönlichen Leibgarde unserer Königin. Wir schützen unserer Herrscherin und ihr Reich! Ein Reich, das sich aus der Ungerechtigkeit und Tyrannei des Verräters Galbatorix erhoben hat. Ich stehe nun vor euch, weil sich ein Schatten dieser Tyrannei über unsere Heimat gelegt hat. Im Süden wurde eine Karawane der Zwerge von jenen hinterhältigen Wesen angegriffen die einst am Helgrind ihr Unwesen trieben. Ich werde die Luft nicht mit den Namen dieser Madenbrut verpesten. Wir haben den Befehl erhalten ins Feld zu ziehen und diesen Ungeheuern klarzumachen, dass für sie kein Platz ist in unserer Heimat! Oder seid Ihr anderer Meinung? Stört es euch nicht wenn des Nachts widerliche Kreaturen um euer Haus schleichen und nach dem Blut eurer Kinder gieren? Wollt ihr das zulassen?"
Die Soldaten des Bataillons antworteten den Worten ihres Befehlshabers mit einem donnernden Nein! Tjurin murmelte es halbherzig mit. Er fühlte sich nicht im mindesten durch die Letherblaka oder die Ra zac bedroht. Sie wäre nie im Stande in die Stadtfestung von Gil' ead einzudringen und was mit dem Pöbel geschah kümmerte ihn herzlich wenig.
Oberst Miros fuhr fort:
"Ich habe keine andere Antwort vor euch erwartet. Wir sind die am besten ausgebildeten Soldaten des Reiches. An unserer Seite stehen unsere stärksten Magier. Und wir haben einen weiteren Verbündeten in diesem Kampf der uns bevorsteht. Ein Reiter und sein mächtiger Drache werden an unserer Seite kämpfen."
Den Worten des Offiziers folgte ein donnerndes Brüllen von der königlichen Residenz her. Dort erhob sich ein goldener Drache in den Himmel. Mit einigen Flügelschlägen war das mächtige Wesen über der Kaserne der Nachtfalken und begann dort zu kreisen. Der dunkelhäutige Reiter auf dem Rücken des Drachen räckte sein goldenes Schwert in den Himmel und grüßte die Soldaten die bei seinem Anblick in Jubel ausgebrochen waren.
Auch Tjurin kam nicht umhin den Anblick des Drachenreiters als beeindruckend zu empfinden. Die goldenen Schuppen strahlten im Licht als wäre das geflügelte Wesen eine zweite Sonne am Firmament. In einem feurigen Orange strahlten Krallen und Hörner der mächtigen Kreatur.

Es beruhigte den jungen Adligen etwas einen so mächtigen Verbündeten an seiner Seite zu wissen. In seinem Inneren kochte jedoch auch eine gewisse Wut. Er fühlte sich an die Reiterprüfung in seiner Heimatstadt erinnert und verfluchte die Drachen noch immer für die Arroganz, mit der sie ihn abgewiesen hatten. Aber dieses Mannweib Ismira und den Straßenköter, an dem sie offenbar Gefallen gefunden hatte, waren erwählt worden. Er beneidete diesen fremden Reiter dort in der Luft für das Ansehen und den Respekt der ihm entgegen schlug.
Inzwischen hatte der Drache abgedreht und strebte dem Stadtrand zu.
"Unsere Mitstreiter vom Orden der Reiter werden wieder zu uns stoßen wenn wir die Stadtmauern hinter uns gelassen haben." erklärte Oberst Miros. "Anschließend lasst mich euch noch sagen, dass alle guten Wünsche der Königin uns begleiten und ich schließe meine Ansprache mit dem Wunsch den der Zwergenkönig Orik den Angehörigen seines Volkes und allen die an ihrer Seite kämpfen werden überbringen lässt: Möge Morgothal der Gott des Feuers den Stahl unserer Klingenden härten und der König der Götter Gûntera selbst über uns wachen."
Unter dem Jubel seiner Krieger Schritt Oberst Miros nun zu seinem bereitgestellten Pferd und zog sich in den Sattel. Besonders die Zwerge waren motiviert ob der guten Wünsche ihres Königs. Mit geübter Präzision begab sich das Bataillon in Marschformation.
Oberst Miros ritt an der Spitze, gefolgt von den sechs Meldereitern unter denen auch Maron, Tjurins ehemaliger Stubenkamerad, war. Ihnen folgten die Fußtruppen und den Abschluss bildet die Proviantwagen auf denen auch die Magier mitfuhren.
Als der Tross sich formiert hatte befahl der Oberst den Aufbruch und im Gleichschritt setzte sich die Formation in Marsch.
Wie von dem Offizier versprochen begann der Drache mit seinem Reiter auf dem Rücken über den Soldaten zu kreisen sobald sie die Stadtmauern hinter sich gelassen hatten. Mit neugierigen Blicken hatten die Bewohner von Ilirea die ausziehenden Soldaten verabschiedet.
Sobald sie ein Stück von Ilirea entfernt waren gestattete Oberst Miros seinen Männern auch den Gleichschritt aufzugeben. Auf diese Weise wurde der Marsch für alle entspannter.
Tjurins Blick war schon seit einiger Zeit auch Marons Rücken gerichtet. Es missfiel ihm zutiefst, dass der junge Mann sich von ihm abgewandt hatte. Zum einen waren da natürlich nur die Arbeiten die selbst zu erledigen waren zum andern aber emfand Tjurin es als eine tiefe Kränkung, dass dieser gewöhnliche Bursche aus dem Volk sich anmaßte zu entscheiden, wann ihre Beziehung beendet war. Dieses Recht hat er Maron nach Tjurins Meinung einfach nicht. Außerdem wusste man ja nie wann sich ein Blick in die Posttasche eines Meldereitern nicht wieder als nützlich erweisen konnte. Tjurin beschloss daher, dass er die Angelegenheit mit Maron nicht als abgeschlossen ansehen durfte. Die Frage war nur, wie er seinen "Freund" am besten zurückgewinnen konnte. Drohungen würden mit Sicherheit nichts bringen. Nein, manchmal war ein Flüstern die bessere Methode. Schließlich durfte er Maron nicht so sehr unter Druck setzen, dass sich dieser genötigt sah, ungeachtet der Konsequenzen, gewisse Geheimnisse preiszugeben. Im Gegenteil, diese Geheimnisse würden sogar ein starkes Band formen, welches Maron eng an Tjurin binden würde wenn dieser seine Karten richtig ausspielte.
Der Sohn des Herzogs konzentrierte sich. Maron hatte ihm viel über seine Kindheit erzählt während er Tjurin das Quartier reinigte oder die Schuhe putzte. Es hatte den Adligen zwar nie wirklich interessiert doch nun wurden diese Informationen hilfreich. Maron Vater hatte in der Familie stets ein strengeres aber gerechtes Regiment geführt. Sein Sohn war es daher gewohnt Empfänger von Befehlen zu sein. Dieser Umstand hat er Maron zu einem sehr disziplinierten Soldaten gemacht. Doch es war mehr. Tjurin wusste, dass manche Menschen lieber führten und andere lieber folgten. Maron folgte eindeutig lieber als das er führte. Vermutlich hatte er deshalb Gefallen an einen Freund gefunden, der über ihn bestimmte. Tjurin war sich sicher, dass es so sein musste. Er lächelte bei dem Gedanken. Maron war kein starker Charakter und sicherlich sehnte er sich nach der klaren Struktur die sein "Freund" der Herzog ihm geboten hatte. Es galt also nur ihm etwas zu schmeicheln. Das Zuckerbrot versprach hier eher Erfolg als die Peitsche. Nun, Tjurin gedachte es Maron anzubieten und war sich sicher, dass dieser wie ein frommes Schoßhündchen zu ihm zurückgetrottet kommen würde.




Mit forschen Schritten betrat Nasuada ihr Arbeitszimmer, den Blick fest auf einige Papiere gerichtet. Gern hätte sie die Zeit lieber mit ihrem Sohn oder ihrem Mann verbracht doch leider regierte sich ein Königreich nicht von selbst. Die Monarchin ließ sich hinter ihren Schreibtisch sinken und zog Tintenfass und Feder näher zu sich heran um einige Denkschriften aufzusetzen.
Es dauerte einige Sekunden bis der Königin auffiel, dass sie nicht alleine im Raum war. Die zierliche Gestalt einer Frau stand am Fenster und blickte scheinbar gedankenverloren über die Stadt. Nasuada erkannte Elva. Das ehemalige Hexenkind schien jedoch von der Königin von Ilirea keine Notiz zu nehmen und hielt den Blick weiter starr aus dem Fenster gerichtet.
Einige Sekunden blickte Nasuada Schweigen zu ihr herüber dann öffnete sie den Mund um Elva nach dem Grund für ihre Anwesenheit zu fragen.
Noch bevor die Königin jedoch ein Wort ausgesprochen hatte durchdchnitt bereits die Stimme des ehemaligen Hexenkindes die Stille.
"Ich hoffe meine Anwesenheit belästigt dich nicht Nasuada. Von deinem Fenster hat man den besten Überblick über die Stadt."
Die Stimme der unheimlichen Frau hatte monoton und völlig emotionslos geklungen. Gerade dieser Umstand jagte Nasuada einen Schauer über den Rücken. Ihren Mut zusammen nehmend trat die Königin jedoch zu Elva und folgte dem Blick der violetten Augen. Der bohrende Blick der Seherin war auf eine Kolonne von Soldaten gerichtet die in der Ferne allmählich verschwand. Über dem Trupp kreiste ein goldener Drache.
Wieder kam Elva Nasuadas Frage zuvor.
"Dieser Tjurin ist unter den Soldaten die da ausziehen oder?"
"Ja."
Es überraschte Nasuada wie belegt ihre Stimme klang und wie trocken sich ihre Kehle mit einem Mal anfühlte.
Elva drehte langsam den Kopf bis der Blick ihrer unheimlichen Augen direkt auf Nasuada ruhte.
Wieder erhob das ehemalige Hexenkind seine monotone Stimme: "Na, dann wollen wir hoffen das er mit einem Schwert in der Brust endet."
Ohne ein weiteres Wort drehte sich die Seherin um und verließ das Arbeitszimmer der Königin. Nasuada blickte noch eine Weile auf die Tür hinter Elva ins Schloss gefallen waren. Abermals lief ihr ein ein kalter Schauer über den Rücken.

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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt