Gavin und Nines wechselten kein Wort über die gesamte Autofahrt. Der Dunkelhaarige war viel zu angespannt. Er fühlte seine schwitzigen Hände am Lenkrad und wie ein Kloß ihm den Hals zuschnürte. Er hatte ein ganz mieses Gefühl, weshalb er am liebsten fluchen und toben würde, aber stattdessen blieb er still.
Mit Sirenengeheul bugsierte Reed seinen Dienstwagen durch die Straßen Detroits. Er hupte lautstark und schrie ab und an wütend aus dem Fenster, wenn Fahrzeuge und Fußgänger nicht schnell genug Platz machten.
Mit quietschenden Reifen hielt er vor dem alten, verlassenen und teils zerfallenen Gebäude. Er riss die Tür auf, stieg aus, ohne den Motor auszumachen und stürmte auf den Eingang zu. Die Fenster und Türen des roten Backsteingebäudes waren notdürftig vernagelt. Gavin zertrat kurzerhand die morschen Bretter, die den Eingang versperrten. Er hatte keine Zeit für Achtsamkeit und ihm war der Vandalismus gerade schnurzegal. Der Dunkelhaarige eilte die Holzstufen empor. Diese knarzten in lautem Protest, als habe man sie aus einem Jahrhundertschlaf geweckt. Manche der Stufen waren sogar schon durchgetreten und eingebrochen, wodurch Gavin einige Absätze überspringen musste. Das Holz gab fortwährend äußerst bedenkliche Töne von sich und der Staub tänzelte in dichten und großen Flocken durch die Luft, wie Schneeflocken an Winterstagen. Dort wo die Sonnenstrahlen durch die provisorisch vernagelten Fenster schienen, konnte man die Staubkörner besonders gut erkennen.
Reed zwängte sich an einer großen Kommode vorbei, die mitten im Flur des Treppenaufgangs stand. Auf dem Möbelstück türmte sich eine beträchtliche Schicht Staub. Einige lose Bretter lagen ebenfalls im Weg oder lehnten an den Wänden, an denen der Putz bereits abbröckelte. Ganz oben, im dritten Stock, versperrte ein obsoletes, dunkelgrünes Sofa den Treppenaufgang. Gavin stieg achtlos über die altmodische Antiquität hinweg und war endlich im dritten Stock angekommen. Die Tür zu einer der ehemaligen Wohnungen stand sperrangelweit offen.
„Estefano!", rief Gavin reflexartig als er die Räumlichkeit betrat und innerliche ihn die Panik ergriff, als er keine Antwort erhielt.
Es war still – totenstill – und somit viel zu ruhig für Gavins Geschmack und Nerven. Er setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Der Dielenboden knarzte, egal wie sanft er mit den Sohlen auftrat. Reed konnte seinen eigenen Atem hören und sehen wie die Staubflocken von seiner Atemluft aufgescheucht wurden. Wohlweislich hielt er seine Dienstwaffe fest in Händen, als er den schmalen Flur der Wohnung entlang ging, der ihm ellenlang vorkam, bis er endlich das Wohnzimmer erreichte.
Lose Blätter, herausgerissene Seiten, zerfledderte Bücher und Comics lagen überall verstreut sowie Blut. Es raubte Gavin kurzzeitig den Atem, als er das Chaos sah und vor allem, als er die roten Flecken erspähte, die sich wie rote Rosen im Papier festgesaugt hatten. Kleine, rote, zackige Flecken, die wie verfärbte Tintenkleckse sich auf ewig ins Papier gefressen hatten und nun Teil der geschriebenen Worte – Teil der Geschichten auf den herausgerissenen Seiten – wurden und jene befleckten.
Gavin Reed bahnte sich vorsichtig einen Weg durch das Sammelsurium an Blattpapier. Eine kaputte Vase mit einer schwarzen Kunstrose lag neben einem schmalen, umgeworfenen Schrank über den Detective Reed hinwegstieg. Er näherte sich dem altertümlichen, fleckigen beigen Sofa. Das Möbelstück hatte seine besten Tage längst hinter sich, aber es erfüllte weiterhin seinen Zweck. Gewiss waren die Sitzkissen allesamt ziemlich durchgesessen und die Flecken waren aus dem Textil garantiert nicht mehr herauszubekommen, aber es war besser als nichts.
Gavin stockte kurz. Er ließ zischend Luft in die Luftröhre und sein Herzschlag setzte für einen Augenblick aus, als er ein paar Turnschuhe erblickte. Das Sofa gab allmählich den Blick frei auf die Schuhe, die Füße, die noch darin steckten und die folglich dazugehörigen Beine. Als der Dunkelhaarige nah genug war und er über das Sofa blicken konnte, bestätigte sich seine Befürchtung. Es war Estefano, der dort vor dem Sofa in einer ausgewachsenen Blutlache lag.
DU LIEST GERADE
Reed900: What it meant to be Human || A Detroit: Become Human Story
FanfictionWas bedeutet es eigentlich menschlich zu sein? Was macht Menschlichkeit konkret aus und vor allem wie äußert sich diese? Dinge, die nicht nur der Android RK900 erörtern möchte, sondern dessen selbst manche Menschen sich nicht bewusst waren und keine...