Kapitel 32 - Eine Wand aus Eis

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Gavin Reed stürzte sich verbissen und versessen in die Arbeit. Er studierte nahezu das Notizbuch von Estefano und tat nichts mehr anderes. Er versteifte sich regelrecht darauf in allem irgendeinen kryptischen Hinweis zu sehen und sämtliche Eventualitäten in Betracht zu ziehen. In den ganzen Zeichnungen, Charakterbögen und Anmerkungen war Gavin irgendwann eine Szenerie ins Auge gesprungen. Estefano hatte ein Labor gezeichnet, ein Ort für seinen Comic, der eine große Relevanz für die Handlung darstellen sollte. Der Erfinder - der dazugehörige Charakter, dem das Labor gehörte - war der verrückte Semrex Rianda. Der Junge besaß wirklich viel Fantasie und hatte Handlung und Charaktere bis ins kleinste Detail gesponnen und ausgearbeitet.

Die beiden Detectives hatten sämtliche Notizen, die sich auf das Labor und den Charakter Semrex bezogen, genaustens unter die Lupe genommen. Die beiden entdeckten versteckte Ziffern und seltsame Tränke, die mit verdrehten Straßennamen betitelt waren. Estefano schien von überallher seine Inspiration gezogen zu haben. Nines und Gavin gingen dieser Sache also nach, in der Hoffnung, dass einer der vermeintlichen Hinweise sie zu dem Labor führten, das der Junge erwähnt hatte - doch Fehlanzeige.

Es führte sie lediglich zu Blakes Labor sowie zu Ortschaften, an denen nichts Auffälliges oder Besonderes war wie zum Beispiel das Detroit Museum, die Sternenwarte, ein Wohnviertel, diverse Parks oder sogar eine belanglose Eisdiele. Vermutlich hatte Estefano sämtliche Orte, mit denen er irgendetwas verband, schlichtweg hier eingebaut. 

Er hatte definitiv Talent und Gavin machte es traurig sowie furchtbar wütend zugleich, dass dieser aufgeweckte, kreative Junge ein so jähes und unverdientes Ende gefunden hatte. Er hätte so viel Potenzial gehabt, und er hätte wirklich etwas aus sich machen können, doch die Chance war ihm nun eiskalt genommen worden.

Gavin versteifte sich daher halsstarrig in der Hinweissuche, weil ihm sonst die Galle im Halse emporquoll. Mit der Arbeit konnte er sich ablenken und seinen puren Zorn mildern. Es war derzeit alles was Reed geblieben war - die besessene Vertiefung in die Suche nach Hinweisen.

Nines war Gavins toxisches Bestreben nicht entgangen. Es gab mehrere, eindeutige Merkmale, die darauf hindeuteten, dass Reed sich regelrecht darin verlor. Seine Augenringe traten noch markanter hervor als sonst, was ein Zeichen für massiven Schlafmangel und Überarbeitung war. Gavin rieb sich merklich oft die Stirn oder kniff sich in den Nasenrücken, als hätte er Migräne-Anflüge oder Konzentrationsschwierigkeiten. Hinzu kam, dass er Nikotin und Koffein am laufenden Band konsumierte. Er trank und rauchte mehr als ohnehin schon, was als ziemlich bedenklich einzustufen war. Zu guter Letzt war er weitaus mieser gelaunt als üblich, und seine Reizbarkeit kannte deutlich weniger Toleranz als sonst. All das waren deutliche Anzeichen, die Nines zusehends besorgten.

Gavin fluchte lauthals und frustriert. Er fegte mit dem Arm über den Tisch und warf einen Schwung Papier zu Boden. Es hatte fast den Anschein gemacht, als seien die Blätter von Gavins Laune erschrocken, aufgescheucht worden und freiwillig vom Tisch gesprungen.

„Scheiße!", stieß er ungehalten aus. „Nichts davon ergibt Sinn und gleichzeitig könnte alles ein gottverdammter Hinweis sein! Verflucht, Estefano, was hast du bloß herausgefunden und wo hast du es versteckt?!"

Er bettete das Gesicht in seinen Handflächen und murrte ernüchternd etwas Unverständliches hinein.

„Vielleicht sollten wir eine Pause machen. Wir sitzen seit fast einer Woche ununterbrochen hieran. Ich weiß, dass du so gut wie nicht schläfst und bis tief in die Nacht nach der Lösung dieses Rätsels suchst. Du überarbeitest dich, Gavin", warf Nines vernünftig ein. „Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Mit anderen Worten, womöglich finden wir die Antwort nicht, weil wir mit einer zu obstinaten Haltung danach suchen."

Reed900: What it meant to be Human || A Detroit: Become Human StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt