Gavin peilte mit stoischer Konzentration durch den Lauf eines speziellen Elektroschockgewehrs. Nines lehnte neben ihm und hielt wachsam Ausschau, als er die Umgebung akribisch scannte.
Jetzt wo die Sache mit Faith und dem Virus soweit überstanden war, galt es noch eine weitere Sache endlich abzuschließen. Reed hatte schon viel zu lange darauf gewartet, denn es wurde Zeit, dass dieser umfassende Fall, der Nines und ihn über Monate hinweg beschäftigt hatte, zu einem Abschluss kam. Wie sehr Gavin sich diesen Moment herbeigesehnt hatte. Es würde der Durchbruch seiner Karriere werden, und wer weiß, womöglich würde man ihn vom Detective zum Lieutenant aufsteigen lassen. Dabei war Reed gar nicht mal sicher, ob er das überhaupt wollte. Natürlich wäre es eine nette Sache, um seine Arbeit zu honorieren und zu würdigen, aber er musste gestehen, dass er aktuell gar kein Bedarf danach verspürte, auch wenn sein angeberisches Ego nach außen oftmals etwas anderes suggerierte.
Vor einigen Wochen hätte er die Sache gänzlich anders gesehen, doch gegenwärtig spürte er eine innerliche Zufriedenheit, die er noch nie zuvor verspürt hatte, weshalb der Ruhm irgendwie zu einer Nebensache wurde. Er wollte jetzt nur noch Genugtuung und Gerechtigkeit.
Kurz huschte sein Augenmerk rüber zu dem Androiden, wodurch Gavins Mundwinkel leicht zuckten. Allen voran lag dieses befriedigende Befinden natürlich an Nines. Erstmals seit Jahren hatte Gavin sich wieder auf Nähe eingelassen und jemanden an sich herantreten lassen – und dann ausgerechnet ein Android. Das hätte Gavin niemals für möglich gehalten. Würde sein jetziges Ich in die Vergangenheit reisen und seinem Vergangenheits-Ich davon berichten, dann würde er ausgelacht werden. Selbst jetzt, wenn er darüber nachdachte, erschien es ihm oft surreal, dass er sich ausgerechnet Nines geöffnet hatte und es diesem verdammten Androiden gelungen war, was bisher niemand geschafft hatte – was allen voran auch daran lag, das bisher nie jemand es so hartnäckig und aufrichtig versucht hatte wie Nines.
Nines hatte sich einfach nicht abschütteln lassen. Keine Gemeinheit hatte ihn verjagt. Stattdessen hatte er aufrichtiges Interesse bewiesen. Dadurch, dass er Gavin nie im Stich gelassen hatte, hatte er gezeigt, wie ernst ihm diese Sache war.
Detective Reed zischte leise und murmelte kaum hörbar: „Einfach nicht zu fassen..."
Er konnte sich zwar noch immer keinen konkreten Reim darauf machen, weshalb der Android so beharrlich gewesen war, aber er war ihm dankbar dafür.
„Auf neun Uhr", teilte Nines mit.
Gavin schob seine Gedankengänge beiseite und kehrte zurück zu seiner Konzentration. Er spähte durch das Visier und machte den Raben ausfindig. Er zielte mit Präzession und spielte mit dem Finger am Abzug. Sein Herz schlug aufgeregt in seiner Brust, als er ein letztes Mal durch das Visier peilte, ehe er gänzlich abdrückte.
Das Elektrogeschoss wurde zischend aus dem Lauf katapultiert und heftete sich an die Brust des Androiden-Raben, der kreischend und wild mit dem Flügeln schlagend auf dem Hausdach zusammenbrach.
„Hab ihn erwischt!", rief Gavin freudig aus und erhob sich.
„Guter Schuss", stimmte Nines anerkennend zu.
Gavin brüstete sich ein wenig prahlerisch. „Auf der Polizeiakademie galt ich schon als begnadeter Schütze. Ich habe extrem viel Zeit am Schießstand verbracht. Es hatte irgendwie immer eine befriedigende und beruhigende Wirkung auf mich gehabt, weil ich am Schießstand einfach in mich gekehrt sein konnte."
Der Detective verstaute das Elektrogewehr im Koffer. Anschließend eilten die beiden rüber zu dem anderen Gebäude, um den Raben vom Dach einzusammeln. Sämtliche Funktionen des Androiden-Vogels waren außer Gefecht gesetzt ohne Schäden am eigentlichen System und den Daten vorzunehmen. Es war praktisch als würde man ein Lebewesen mit einem Betäubungsmittel lähmen.
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Reed900: What it meant to be Human || A Detroit: Become Human Story
FanfictionWas bedeutet es eigentlich menschlich zu sein? Was macht Menschlichkeit konkret aus und vor allem wie äußert sich diese? Dinge, die nicht nur der Android RK900 erörtern möchte, sondern dessen selbst manche Menschen sich nicht bewusst waren und keine...