~• Kapitel 8.2 •~

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"Willst du etwa sagen, dass ich deine Seelenverwandte bin?"

Lukas zieht die Mundwinkel in die Höhe, aber es sieht eher krampfhaft aus, fast so als habe er Schmerzen.
Emma lehnt sich ein Stück über den Tisch, blickt ihn mit großen Augen an.
"Nun... ich", beginnt er und kratzt sich am Kopf, "Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen."

"Warum, zum Henker, hast du mich angegriffen, wenn mein Geruch auf eine Seelenverwandtschaft hingedeutet hat?"
Nur ungern denkt Emma an dem Moment zurück, in dem sie Bekanntschaft mit dem riesigen, schwarzen Wolf machte und gleichzeitig mit ihrem Leben abschloss.
Lukas blickt finster drein, als er antwortet: "Ich habe ihn nicht gleich wahrgenommen. Der Geruch von Finns Blut hat in mir nicht nur Sorge entflammt, sondern in meiner Wolfsseele auch Zorn. Es ist ungünstig gewesen dich so zu treffen."

"Du bist gegangen, nachdem du mir in die Augen gesehen hast. Hast mich da an der Hütte alleine im Wald gelassen. Machen das Wölfe, das sie ihre Partner schutzlos zurücklassen?"
Emmas Stimme ist ruhig, obwohl sie innerlich gerade mit zig Fragen zu kämpfen hat.

Sie soll seine Seelenverwandte sein? Wie ist das möglich, wenn noch nie ein Wolf und ein Mensch diese Verwandtschaft hatten und was heißt das für sie?

"Er muss sich irren", denkt sie sich und durch diesen Gedanken versucht sie ihm zu zeigen, dass er sich irrt. Deswegen stellt sie ihm Fragen, von denen sie die Antwort bereits kennt.
Natürlich tun Wölfe das nicht. In der ganzen Zeit hier hat sie nicht einmal erlebt, dass jemand aus dem Rudel zurück gelassen wurde. Jeder wurde bei allem unterstützt. Die Bande innerhalb des Rudels sind enorm.

"Weißt du, Emma, ich bin nicht unfehlbar. Ich reagiere über und gehe mit Situationen auch nicht immer so um, dass ich sie im Nachhinein vor mir selbst vertreten kann. Es war ein Fehler dich dort alleine zu lassen, im Nachhinein betrachtet. In dem Moment aber erschien es mir richtig."

"Richtig?", echot Emma.

"Ja, richtig. Ich hätte mich vor dir schlecht verwandeln können. Ich machte mir Sorgen um Finn und ich war verwirrt von den Empfindungen meines Wolfes. Verwirrt von der plötzlichen Sehnsucht zu jemanden, den ich zuvor noch nie gesehen habe. Es hat mich überfordert und natürlich auf dich bezogen war es falsch, aber auf mich bezogen war es angemessen."

Das nimmt Emma den Wind aus den Segeln. Sie lehnt sich zurück und lässt ihre Hände von der Tischplatte rutschen.

"Ich war aufgewühlt, als ich im Dorf ankam und erzählte davon. Ben entschied dich zu holen, nicht weil ich es ihm sagte, aber weil er wusste, dass ich es bereuen würde, wenn dir da draußen was geschieht, auch wenn ich dich nicht kenne. Nachdem ich dich erlebte, dein Sosein kennenlernte, war es einfacher für mich dich als Seelenverwandte anzusehen. In dem Sinne hatte Ben recht, er hat das Unvermeidliche vorgezogen."

"Hattest du mir nicht gesagt, Ben hätte ich mich auf deinen Wunsch hin ins Dorf gebracht?", fragt Emma, die Augen zu Schlitzen verengt. Misstrauen schwingt in ihrer Stimne mit.
Lukas stöhnt leise und reibt sich übers Gesicht.
Er scheint sich zu fassen und sagt: "Da hattest du gerade erfahren, dass wir anders sind. Hätte ich dir von alledem auch noch erzählt, hätte dich das vermutlich komplett durcheinander gebracht. Du musstest das eine erstmal verdauen. Deswegen erschien es mir als sinnvoll dir das zu sagen. Du solltest es wie eine Wiedergutmachung meines Angriffs deuten."
Emma lässt seine Worte auf sich wirken, überlegt wie sie sich damals fühlte und kommt zu dem Ergebnis, dass er Recht hat. Sie hätte alles auf einmal nicht so einfach verdauen können. Nun ist sie ihm fast dankbar, dass er so entschieden hat, doch sie ist nicht bereit ihm das zu zeigen. Viel zu viele Fragen wirbeln durch ihren Kopf und das Bedürfnis diese beantwortet zu bekommen ist größer, als ihm zu zeigen, dass sie Einsicht hat.

Um das Thema zu wechseln, fragt Emma: "Und du empfindest auch so für mich oder nur deine Wolfsseele?" Lukas sieht einen Moment wartend an, scheint zu überlegen. Antwortet ihr aber dann.

"Die Gefühle von ihr sind stark, sie schwappen auch in meine Gefühle hinein. Aber ich glaube, dass ich dich nicht liebe. Zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht auch nie. Wer weiß das schon. Aber ich mag dich. Es ist ein wenig schwer das zu unterscheiden."

Emma nickt stumm. Sie kann keinen Gedanken fassen und kein Wort herausbringen. Sie wüsste nicht welches.
Lukas sieht sie an.
"Ich habe mich nun dir erklärt. Was sagst du dazu?"

"Ich... ich..." stammelt Emma plötzlich und fühlt sich komplett überrumpelt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er von ihr eine Antwort verlangt. "Ich... weiß... nicht."

"Du musst es nicht wissen. Aber ich wollte es dir endlich sagen. Es lag mir schon eine Zeit lang schwer auf der Seele. Ich wusste zuvor nicht wie."

"Ich bedanke mich für deine Offenheit", sagt Emma, die sich nicht sicher ist, ob sie es auch so meint. "Ich weiß nicht wie ich fühle, ich fühle mich gerade irgendwie erschlagen und ich weiß einfach nicht."

Lukas nickt verständnisvoll.
"Lass dir alle Zeit das zu verarbeiten."

Emma steht mit wackeligen Beinen auf. "Ich...", sie schluckt, "gehe jetzt."
Lukas nickt erneut und sieht sie mit einem undefinierbaren Blick an.
"Eins möchte ich noch sagen", er hält sie sanft am Arm fest, "Auch, wenn du nicht so empfindest wie meine Wolfsseele empfindet, möchte ich dir sagen, dass das keine Rolle spielt. Lass uns ein wenig mehr kennenlernen. Der Rest ergibt sich oder auch nicht. Es ist in Ordnung dann."

Emma nickt einfach und entwickelt allmählich das Gefühl weg zu wollen. Sie versteht ihn, versteht warum er das sagt. Sagt es, um ihr Sicherheit zu geben und den Druck zu nehmen, doch bei ihr löst es einfach nur Übelkeit aus. Sovieles ist in ihrem Leben in Unordnung und nun kommt eine Seelenverwandtschaft hinzu, von der sie sich nicht mal im Ansatz vorstellen kann was diese zu bedeuten hat.

"Lukas, ich, mir wird das gerade zuviel. Ich möchte jetzt bitte gehen", bringt sie mit Mühe hervor. Sofort lässt er seinen Arm sinken und gibt so ihren frei.
Emma nickt ihm zu und kehrt ihm den Rücken zu.
Sie gibt sich alle Mühe langsam zu gehen, während sie der Tür nach draußen immer näher kommt, obwohl ihr gerade mehr nach Laufen ist.

Ihre Gedanken wirbeln, drehen sich im Kreis und einer von ihnen ist der lauteste.

Alex...

~•~

Emma ließ das Abendmahl am Feuer ausfallen und begab sich direkt auf den Weg zu Lornas Hütte.

Dort angekommen schlägt ihr, beim Öffnen der Tür, warme Luft entgegen. Sie zieht ihren Mantel aus und lässt sie sich auf einen der Hocker fallen.
Den Kopf auf die warme Tischplatte legend, versucht sie ihre Gedanken zu sortieren.

Doch auch nach einiger Zeit ist ihr dies noch immer nicht gelungen. Stattdessen erfasst sie einer bleiernde Müdigkeit.
Auch, wenn Emma darüber nachdenkt aufzustehen, so spürt sie wie sich ihr Bewusstsein allmählich verabschiedet und es ist gut so.
Soll sie am Tisch einschlafen, sollen die Gedanken verstummen. Sie will an gar nichts mehr denken.

- Fortsetzung folgt -

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt