Emma spornt sich immer mehr an, obwohl das Rennen schon jetzt seinen Tribut fordert und ihre Beine sich anfühlen, als hätte man Bleigewichte an sie gebunden.
Jeder weitere Schritt ist eine bewusste Entscheidung, die die Luft dünner werden und ihr Herz schneller schlagen lässt.Sie wirft einen Blick über die Schulter, nur um feststellen zu müssen, dass der Knabe bereits seinen Arm nach ihr ausgestreckt.
Als ihre Blicke sich treffen, es ist ein kurzer Moment, erscheint auf seinem Gesicht ein gehässiges Grinsen und sie kommt nicht umhin an den Wolf von dem Abend mit Erik zu denken. Hätte der Wolf, der sie trieb, auch eine menschliche Miene besessen, hätte sie genauso ausgesehen.Emma beginnt zu stöhnen, als sie überanstrengten Muskeln auffordert mehr zu geben.
Das Blut in ihren Ohren rauschend hören, springt sie über eine hervorstehende Wurzel.
Kurz bevor ihre Füße wieder die dünne Schneedecke berühren, springt der Knabe ihr in den Rücken und reißt sie um.Mit einem kurzen Schrei landet Emma auf dem Boden und durch den Aufprall schießt ein Schmerz durch Emmas Körper, der ihre Sicht kurz verschwimmen lässt.
Es ist, als habe sie ein Dejavue, als sie mit dem Bauch auf dem Boden liegt, doch dieses Mal ist es anders, denn dieses Mal thront der Knabe auf ihr und nagelt sie mit seinem Gewicht am Boden fest.Sie beginnt sich zu winden.
"Runter von mir!", keucht sie und versucht über ihre Schulter zu blicken, doch sofort greifen Hände nach ihrem Kopf und verhindern dies.Während Emma sich immer stärker windet, hört sie den Jungen siegreich sagen: "Hab ich dich. Einfach weglaufen, während einer Unterhaltung ist unhöflich, haben dir das deine Eltern nicht beigebracht?"
"Und haben dir deine Eltern die ordentliche tracht Prügel vergönnt, die du so dringend nötig hast?", fragt Emma und versucht sich hochzudrücken.
Der Junge scheint zu überlegen, bis er sagt: "Keine Ahnung, ich kann mich nicht an sie erinnern.""Das erklärt einiges und nun runter von mir! Ich habe es eilig", ruft Emma und versucht den Knaben von sich zu schubsen.
Dieser lacht, angesichts ihrer mühseligen Versuche.
"Ich soll dich zum Ältesten bringen. Wir haben hier normalerweise keine Fremden und die Lüge mit deinem Dorf war kreativ, doch das bleibt sie auch, eine kreative Lüge", flüstert der Junge nahe ihres Ohr, sodass sie seinen Atem an ihrem Hals spüren kann.Er steigt von ihr runter und zieht sie in einer fließenden Bewegung auf die Füße und während er mit ihr losläuft, spürt sie, dass ihre Entscheidung zur Mühle zu gehen die schlechteste war, die sie hätte treffen können und sie spürt noch etwas anderes; den Schlamm, den getrockneten Schlamm, der allmählich von ihrem Gesicht bröselt und während Emma überlegt, wie sie der Situation entflüchten kann, hört sie den wilden Thesen des Knaben zu.
Die, die dabei am häufigsten hervorgeht, ist die einer Kundschaft, bei der Emma aus der Welt geschickt wurde, um aus dem Dorf berichten, damit auch hier der Tod seine Krallen in die Menschen versenken kann.Durch all seine Theorien spricht der Älteste und Emma fragt sich, ob sie früher genauso sprach. Würde sie in seiner Haut ähnlich denken?
~•~
Als sie den Dorfplatz betreten und auf die Hütte des Ältesten zulaufen, nimmt Emma Gemurmel war.
Ein kurzer Blick verrät ihr, dass einige der Bewohner in Grüppchen zusammenstehen und leise miteinander reden.
Als der Knabe Emma an ihnen vorbeiführt, verstummen sie schlagartig und bevor ihre Augen auf Emmas Gesicht treffen, senkt sie ihren Blick wieder.
Je näher sie der Hütte des Ältesten kommen, desto nervöser wird sie.Ausladende Treppenstufen führen hinauf zu der Tür der Hütte, die doppelt so breit ist und viel höher gebaut wurde, als alle anderen Türen im ganzen Dorf.
Auch wenn es nur eine Tür ist, symbolisierte genau diese Tür für Emma immer Macht.
Unzählige Male musste sie auf diesen Stufen als Kind Strafen für aufmüpfiges Verhalten absitzen und jedes Mal betrachtete Emma diese Tür dabei.
Wie sie von zwei Fackeln zu ihren Seiten in ein orange farbenes Licht getaucht wurde, das die roten Verzierungen nur noch auffälliger erscheinen ließ.Ein kurzer Blick verrät Emma, dass ihre Kindheitserinnerungen gleich zu dem Jetzt sind. Nichts hatte sich an dieser Tür verändert.
Ihr wird schwer ums Herz, als sie vor den Stufen stehen bleiben, hinter sich die Meute, die still Stück für Stück nachrückt und sich wie ein Halbkreis um sie schart.
Als verbreite sich die Nachricht wie Lauffeuer, kommen immer mehr Menschen hinzu.Emma blickt weiter gen Boden, während ihr ein Gedanke kommt, der zwar absurd ist, aber eine Möglichkeit darstellt.
"Wenn man mich im Keller des Ältesten einsperrt, dann würde ich da vielleicht Alex finden."
Sie hatte zuvor die ganze Zeit überlegt wie sie es schafft dorthin zu kommen. Scheinbar wird ihr das jetzt abgenommen und man wird sie zunächst einsperren, da ist sie sich sicher."Ältester! Kommt und seht!", ruft der Knabe laut.
Emma neigt den Kopf, lässt sich ihre verdreckten Haare ins Gesicht fallen, sodass ein Spalt entsteht, durch den sie zu der Tür blickt.
Langsam öffnet sich diese und zum Vorschein kommt Anna.
"Was macht sie denn dort?", fragt sich Emma überrascht in der Stille ihrer Gedanken und sieht zu, wie die ründliche Frau lächelnd vortritt.
Von dem Ältesten fehlt jede Spur."Was möchtest du?", fragt Anna und auch der Knabe wirkt ein wenig überrascht.
"Ich- ich möchte mit dem Ältes-ten sprechen", stottert der Junge.
"Der Älteste? Ja?", fragt Anna langsam nach, "Verzeih, der ist leider gerade unabkömmlich. Vielleicht kann ich dir weiterhelfen?"
Unschlüssig blickt der Knabe von Anna zu der Tür des Ältesten.
"Ich habe sie hier entdeckt und glaube sie soll uns auskundschaften."
Er gibt Emma einen Schubs, sodass sie auf ihren Knien nach vorne stolpert.Anna tritt hervor.
"Das hast du gut gemacht", sagt sie und wendet sich einem der Männer zu, "Entlohn den Jungen für seine Aufmerksamkeit!"
Eilig greift der hargere Mann in seine Tasche und fördert zwei Silbermünzen zu Tage.
Der Knabe grinst über beide Ohren, als der Mann diese in seine geöffnete Hand fallen lässt."Sie hätten ihm auch Pferdeäpfel schenken können. Als ob die Münzen irgendeinen Wert hätten. Ob man sich etwas kaufen kann, entscheidet der Älteste. Bei Nahrungsknappheit ist dies nicht möglich. Was bringt einem Silber, wenn man es nicht nutzen kann, wenn man es braucht?", denkt Emma verbittert, als sie von der Seite zusieht wie sich die Finger des Jungens schließen.
Plötzlich greift eine warme, fleischige Hand nach ihrem Kinn.
Anna zwingt Emma sie anzusehen und als ihre Augen einander treffen, tritt ein Funkeln in den Blick der ründlichen Frau.
Fauliger Atem erreicht ihre Nase, als Anna flüstert: "Willkommen Zuhause, Emma."- Fortsetzung folgt -
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When the snow falls
ParanormalFernab der Zivilisation, versteckt in einem tiefen, endlosen Wald liegt ein kleines Dorf. Jedes Jahr, sobald der erste Schnee fällt, wird ein Mädchen erwählt, die zu sein, die diesem Ruhm und Reichtum einbringen soll. Dafür muss es das Dorf verlasse...