~• Kapitel 1.3 •~

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Nachdem Emma bei der Mühle und bei der Hütte von Alex's Eltern war, ohne auch nur eine Spur von ihm gefunden zu haben, ist sie zu dem einzigen Ort gegangen, an dem sie ihn noch hätte finden können.
Ihre Lichtung...

Dort angekommen, sieht sie ihn tatsächlich auf der Bank sitzen und in den Wald blicken, der am heutigen Tage besonders ruhig darliegt.
Die kahlen Äste der Bäume strecken sich den Sonnenstrahlen entgegen, die den wolkenverhangenen Himmel ein wenig freundlicher wirken lassen.
Ein Hase hoppelt durchs Unterholz und schnuppert nach Nahrung. Immer wieder schnüffelt er an zarten Zweigen, um dann seinen Weg fortzusetzen.

Emma geht auf Alex zu, der sie keines Blickes würdigt.
Still setzt sie sich neben ihn, faltet die Hände in ihrem Schoß und blickt in die gleiche Richtung wie er.
Nach einiger Zeit der Stille, stellt sie fest: "Du warst heute nicht bei der Wahl."
Sie blickt ihn von der Seite an, wartend.
"Ich weiß", antwortet er monoton, ohne sie anzusehen.
Seine braunen Haare fallen ihm in Gesicht und normalerweise wischt er sie sich mit einem genervten Stöhnen hinters Ohr, doch nicht dieses Mal. Dieses Mal lässt er sie einfach da.
"Ich wurde erwählt", informiert sie ihn und lehnt sich zurück, um ihn besser ansehen zu können.
"Ich weiß", antwortet er genauso monoton wie zuvor.
"Du weißt es?", fragt Emma irritiert.
"Ich weiß es."
"Und wie? Du warst nicht da", fragt sie langsam.
"Ich wusste es bereits vor der Wahl."
Emma sieht ihn verwundert an und allmählich verspürt sie den Drang ihn schütteln zu wollen, sodass alle Antworten auf ihre Fragen aus ihm heraus purzeln.
"Ist etwas passiert?"
Emma berührt ihn sanft an der Wange und als hätte sie ihn aus einer Trance geweckt, sieht er sie plötzlich mit wachen Augen an. Verschwunden ist die Leere.

"Geh mit mir fort. Weit weg", sagt er plötzlich und überrumpelt sie komplett.
Er dreht sich ganz zu ihr und umfasst mit seinen rauen Händen ihre Oberarme.
Normalerweise mag sie es, wenn er sie mit diesen warmen Händen berührt, ihre Hand in der seinen hält oder einfach zärtlich über ihre Haut streichelt. Doch dieses Mal fühlen sich genau diese Hände anders an, weniger sicher und sanft, mehr fordernd und grob.
Emma kann diesem Gedanken keinen Ausdruck verleihen, denn Alex spricht bereits weiter.
Schnell, gehetzt, als wolle er nicht nur sie von seinem Sinneswandel überzeugen, sondern auch sich selbst.

"Ich kann für dich sorgen. Wir bauen uns einfach an einem anderen Ort ein Leben auf! Geh nicht zur Prüfung!"
"Was redest du für wirres Zeug?", fragt Emma nun doch nach und versucht seinen Griff abzuschütteln.
"Ich meine es ernst. Geh mit mir fort!"

"Alex, ich verstehe nicht, ich, Au! Du tust mir weh!"
Sie versucht aufzustehen, doch Alex lässt sie nicht.
Seine Griffe werden immer fester und Emma hat das Gefühl, als würde er ihr allmählich das Blut abschnüren.
"Alex!", ruft Emma energisch und schubst ihn weg.
Seine Hände verrutschen und das reicht ihr, um aufzuspringen und sich endgültig aus seiner Umklammerung zu befreien.
Sich die Arme reibend, steht sie vor ihm und blickt auf ihn nieder.
"Was ist los mit dir?", fragt sie fassungslos und ist bereits im Stande zu gehen, als seine klägliche Stimme sie innehalten lässt.

"Ich bin verwirrt, obwohl ich nicht genau verstehe warum, doch tief im Inneren weiß ich, dass du nicht an der Prüfung teilnehmen solltest."
Emma dreht sich um.
"Warum sagst du das?"
"Weil", er schluckt, "Ich einem Gespräch gelauscht habe. Ich wollte es eigentlich nicht, aber ich konnte auch nicht weg hören. Vetstehst du?" Bittend sieht er sie an.
"Nein, ich verstehe nicht. Wie auch, all das, was du gerade sagst steht im Gegensatz zu dem, was du sonst sagst. Ich verstehe es also nicht", antwortet Emma empört.
"Ja, ich verstehe es auch nicht", sagt er seufzend und fährt sich durch die Haare, "Der Älteste, er sprach mit Anna. Er sagte Dinge, die ich nicht verstand. Egal, wie lange ich darüber nachdenke, ich kann sie nicht verstehen."
Auch Emma seufzt und geht einen Schritt auf ihn zu.
"Alex, was hörtest du?"
Alex blickt auf. "Er sagte, dass es ihn wundere. Es sei das erste Mal, dass ihm die Entscheidung abgenommen wurde."
"Und?", fragt Emma und tippt mit dem Fuß auf den Boden, "Alex, nicht er trifft die Entscheidung, sondern Gott. Gott wählt die Mädchen aus und er verkündet es. Mag sein, dass er zuvor log und auch selbst Mädchen wählte. Aber nur deswegen willst du doch nicht etwa gehen?"

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt