~• Kapitel 10.2 •~

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"Kind, was wolltest du uns eigentlich zeigen", fragt Josef plötzlich an seine Tochter gerichtet, nachdem diese sich aus der Umarmung ihrer Eltern löste, "Du hattest uns doch nicht zum Streit hergebracht, oder?"
Sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischend, schüttelt Emma mit einem kleinen Schmunzeln den Kopf und sieht fragend zu ihrer Mutter.
Einzelne Strähnen aus ihrem Dutt hängen ihr ins Gesicht, die sie mit einer fließenden Bewegung hinters Ohr schiebt und dann, zwar ein wenig unsicher, ihrer Tochter zunickt.

Emma holt tief Luft und beginnt zu Erzählen was sie in der ganzen Zeit in Lukas Dorf herausfand.
Während sie spricht werden die Augen ihres Vaters immer größer.
Zunächst lehnt er vehement ab Emmas Worten Glauben zu schenken, doch je beharrlicher sie ist und als sich auch Margaret bestätigend einmischt, da kommt Josef nicht umhin die Worte zumindest anzunehmen, auch wenn die Skepsis in seinem Blick bleibt.

"Wie nanntest du sie? W- Wer...?"
"Werwölfe", springt Emma für ihren Vater ein und nickt, "Zumindest werden sie von den Menschen so genannt, die von ihrer Existenz wissen."
Josef nickt und scheint zu überlegen, "Und was sind Städte?", fragt er nach einiger Zeit.
"Das habe ich auch noch nicht ganz herausgefunden", Emma zuckt entschuldigend die Schultern, "Aus den Gesprächen mit Lorna gehe ich davon aus, dass es Orte sind, die viele Menschen beheimaten."
Josef kratzt sich an der Stirn, "Und du meinst der Älteste wusste von all dem?"
Emma zuckt erneut mit den Schultern. "Irgendetwas muss er gewusst haben", stellt sie fest, "Warum sollte er uns sonst von der Welt ferngehalten haben? Uns bestrafen, wenn wir gehen wollen?"
"Vielleicht denkt er wirklich, dass er uns damit schützt", gibt Margaret zu Bedenken.
"Alex wollte mit mir fliehen, als er ein Gespräch von ihm und Anna belauschte", kommt Emma zu dem Gespräch, das sie mit ihren Eltern schon länger führen wollte.
"Wirklich?", fragt Margaret nach und sieht ihre Tochter ruckartig an.
Emma nickt.

"Ich habe ihn zuvor noch nie so durcheinander erlebt. Er war nicht er selbst. Er hat das Handeln des Ältesten immer befürwortet und als ich erwählt wurde, stellte er all jenes in Frage. Ich verstand es nicht, aber ich vertraute ihm."
"Also seid ihr zusammen geflohen?", fragt Josef mit einem undefinierbaren Blick.
Emma nickt, "Wir haben einander verloren. Männer verfolgten uns und Alex hielt sie auf. Ich dachte, er sei hinter mir, als ich weiterlief. Ich mache mir die Vorwürfe. Weiß nicht was mit i..."
"Emma", unterbricht Margaret den Redeschwall ihrer Tochter, "Alex, er ist im Dorf."

Emma hält inne, einen Moment und noch einen weiteren.
"Er ist im Dorf?", wiederholt sie langsam und die Information sickert allmählich in ihren Geist.
Margaret nickt.
"Wurde er bestraft? Was haben sie mit ihm gemacht?", fragt Emma, deren Herzschlag sich prompt verdoppelt.
Margaret schüttelt den Kopf und Emma ist kurz davor ihre Mutter zu schütteln, damit die Worte aus ihr rauspurzeln.
"Mutter!", ruft Emma ungeduldig und muss sich beherrschen nicht auf sie zu zu springen.
"Ich weiß es nicht", antwortet Margaret abwehrend, "Wir sahen ihn, als wir aus unserer Hütte gezerrt wurden. Er stand abseits. Es war nur ein kurzer Augenblick."
Margaret sieht zu Josef, der die Schultern entschuldigend zuckt.
"Ich sah ihn nicht. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt die Knaben anzuschreien, dass sie mich gefälligst loslassen sollen."

Emma blickt gen Boden.
"Ich habe ihn im Dorf zurückgelassen, obwohl er fliehen wollte", denkt sie und spürt einen Stich in ihrem Herzen.

"Emma?", fragt Margaret vorsichtig, sodass sie den Blick hebt und ihre Mutter leicht anlächelt.
"Alles in Ordnung", winkt sie ab.
"Du wirst zurückgehen", stellt Margaret fest, die sich von dem Lächeln ihrer Tochter nicht täuschen lässt.
Schlagartig verschwindet es aus Emmas Gesicht und sie nickt.
"Das kommt nicht in Frage", bellt Josef plötzlich und greift nach Emmas Arm, "Wir sind erst heil aus der Sache rausgekommen. Ich dachte zweimal bereits meine Tochter verloren zu haben. Es wird kein drittes Mal geben!"

"Josef, lass", bitte Margaret in einem ungewohnt sanften Ton und streift seine Hand von Emmas Arm, "Emma ist nicht mehr unser kleines Mädchen und sie ist nicht so dumm alleine zu gehen, richtig?"
Sie sieht ihre Tochter fordernd an, sodass Emma nicht umhin kommt zu nicken.

Doch genau das hatte sie vor. Sie wollte alleine gehen. Denn egal wie gefährlich es ist, sie kann nicht von Lukas erwarten Alex zu retten. Immerhin sind sie und er seelenverwandt, doch Alex ist ihre erste Liebe. Wie solle sie das nochmal von ihm verlangen?

"Natürlich gehe ich nicht alleine", stimmt Emma der stummen Aufforderung ihrer Mutter zu und versucht das Thema zu wechseln, indem sie sagt: "Nun kommt, ich bekomme langsam Hunger. Das Abendmahl wartet."
"Wenn ich mitbekomme, dass du doch alleine gehst, sei dir sicher wir stehen gemeinsam als Leiche auf dem Acker, um all das hier zu vergelten", droht ihre Mutter und zeigt mit dem Zeigefinger auf Emma. Diese schüttelt nur den Kopf und antwortet: "Ja Mutter, sowie ihr es wünscht."
"Du kriegst gleich eine", erwidert Margaret und hebt die Hand, "Ungezogenes Gör!"
Emma versucht ihr Schmunzeln zu verbergen, mit mehr oder weniger großen Erfolg. Sicherheitshalber geht sie auf Abstand zu ihrer Mutter und kann sich nicht verkneifen zu antworten: "Das ich unerzogen bin liegt wohl in deiner Verantwortung."

"Hast du das gehört?", fragt Margaret und sieht hilfesuchend zu ihrem Mann, doch dieser brummt nur.

Emma sieht über die Schulter zu ihrer keifenden Mutter und ihrem schmunzelnden Vater zurück. Sie weiß, dass diese Momente kostbar sind und sie diese nicht aufgeben wird, auch wenn dieser nur dazu dient die eigene Nervosität und die ihrer Eltern zu mindern, da sie alle das was sie haben nicht mehr missen wollen.

- Fortsetzung folgt -

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