~• Kapitel 14.2 •~

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Knurrgeräusche erfüllen die Luft und Emma ist sich sicher, dass sie das absichtlich tun. Sie lassen absichtlich das Knurren in ihren Kehlen anschwillen, um ihr zu verdeutlichen, dass es vorbei ist, dass sie keine Chance gegen sie hat, dass sie nicht zu kämpfen braucht.
Sie denkt an Alex, der genau deswegen nichts unternahm. Der, sich seinem Schicksal unterordnete und sich von dem gescheiterten Versuch, etwas zu ändern, entmutigen ließ.
Was hatte sie ihm gesagt?

Als Emma sich daran erinnert, hebt sie den Kopf und setzt sich aufrecht hin. Auch wenn die Angst ihr die Kehle zuschnürt, als sie mit ihrem Kopf denen der Wölfen näher kommt, wird sie nicht mit ihm im Dreck liegend sterben.

Die Wölfe begleiten ihr Aufrichten mit Schnappgeräuschen. Mit jedem Schnappen zuckt sie kurz zusammen, dennoch richtet sie sich auf, sodass sie auf den Knien sitzt. Emma blickt durch die zwei Wolfskörper hindurch, um das Fell des Wolfes zu betrachten, der hinter dieser knurrenden Wand sitzt und sich scheinbar nicht am Einkesseln beteiligt.

"Alex", sagt sie entgegen des Geräuschspegel, "Du musst nichts von alledem tun. Du musst nicht so leben, wenn du es nicht willst. Man hat immer eine Wahl!"
Ihre letzten Worte entkommen schrill ihrer Kehle, als der größere Wolf, Friedrich, ihr seinen Kopf entgegen neigt.
Würde sie den Kopf in den Nacken legen, könnte sie in den schwarzen Schlund blicken.
Sie tut es nicht, sondern sieht weiterhin das hellbraune Fell an.

Heißer Atem streift ihre Kopfhaut, lässt Schauder ihren Rücken hinab laufen. Sie unterdrückt ein Würgen, als fauliger Geruch sie umhüllt. Sie riecht den Tod, dessen ist sie sich sicher und sie weiß, dass es auch ihrer sein wird.

Der Atem wird heißer, Speichel tropft auf sie hinab und sie muss den Kopf nicht heben, um zu wissen, dass der tödliche Schlund ihr näher kommt.
Sie spürt, wie eine feucht-kalte Nase ihren Hals entlangfährt und kann nicht unterdrücken, dass ihrem Mund ein Fiepsen entkommt, während sie ausharrt.
Sie unterdrückt den Drang aufzuspringen und zu schreien.
Still und starr kniet sie dar und blickt zum hellbraunen Fell, versucht sich darauf zu konzentrieren. Versucht nichts anderes wahrzunehmen.

Sie spürt wie Friedrich mit seinem Maul ihre rechte Schulter umfasst, spürt die Zähne auf ihrer Haut, während ihr stumm die Tränen die Wangen herunter rinnen. Noch nicht schmerzhaft oder gar tödlich, doch es ist nur dieser Moment. Dies kann sich in jeder Sekunde ändern und die Ungewissheit, wann sie diesen Schmerz spüren wird, lässt sie fast verrückt werden.

Je länger Friedrich in dieser Position ausharrt, desto nervöser wird Emma. Sie kann nicht verhindern, dass ihrer Kehle ein Schluchzen entkommt und diesem noch viele folgen.

Ein ohrenbetäubendes Knurren ertönt und plötzlich kommt Bewegung auf die Lichtung.
Das hellbraune Fell, das sie solange anstarrte, ist fort, aber auch die Schnauze, die ihre Schulter umfangen hielt, ist fort.

Die Wölfe stieben auseinander und endlich kann Emma wieder die Bäume der Lichtung sehen.
Dämmriges Licht taucht die Umgebung in einen lilanen Ton. Die Sonne ist bereits hinterm Horizont verschwunden, als wollte sie nicht Emmas Schicksal mitansehen. Dennoch sendet sie durch ihre Strahlen noch ein wenig Licht.

Emma dreht sich, blickt an die Stelle an der Friedrich eben noch saß und erblickt den hellbraune Wolf, wie er sich vor Emma aufbaut.
Der größere wirkt überrascht. Taumelt steht er auf, scheint nicht damit gerechnet zu haben, dass er von seinem Vorhaben abgehalten wird.
Kurz sieht er nach links und rechts, woraufhin die restlichen Wölfe wieder beginnen sie zu umkreisen, doch dieses Mal nicht nur sie, sondern auch den hellbraunen Wolf, Alex.

Er hat sich für sie eingesetzt. Seinem eigenen Bruder die Stirn geboten.

Friedrich knurrt mittlerweile so sehr, dass jedes Mal Speichel von seinem Maul spritzt.
Man sieht ihm die unbändige Wut an. Seine Augen sprühen Funken, während er seinen Bruder fokussiert.
Dieser beantwortet das ebenfalls mit Knurren, während er immer weiter rückwärts geht.
Den Körper starr, den Kopf abgesenkt, folgen seine Augen den Bewegungen der anderen Wölfe.

Plötzlich nimmt Emma eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.
"Vorsicht!", schreit sie.
Alex springt herum und schnappt nach dem Wolf, der versuchte seine ungeschützte Seite zu attackieren.
Er springt wieder zurück, reiht sich wieder ein, nicht ohne Alex laut anzuknurren.
Sofort dreht Alex sich wieder um, steht nun aber eher schräg zu den Wölfen, sodass er alle vier mehr oder weniger im Auge behalten kann.

Friedrich macht einen Satz, springt auf Alex, doch dieser weicht im letzten Moment aus.
Ein anderer springt vor und auch dem weicht Alex aus, während er von seiner Seite aus versucht einen Angriff zu starten. Doch dem weicht der andere Wolf aus.

Es sieht wie ein Spiel aus, wie die Wölfe einander versuchen zu verletzen und dafür einen kurzen Angriff starten, nur um dann selbst ausweichen zu müssen.
Es ist ein Kampf auf Distanz und auf Zeit, das wird Emma klar.
Während die vier Wölfe sich abwechseln können und so ihre Kräfte schonen können, muss Alex alle abwehren und auch noch eigene Angriffe starten.
Das zerrt früher oder später an seinen Kräften und das wird sein Nachteil sein.
Sie müssen etwas tun. Das Muster durchbrechen.

Plötzlich halten die Wölfe inne. Alle gleichzeitig. Als hätte die Zeit angehalten. Sie harren aus und es scheint so, als würden sie lauschen.
Emma richtet sich ein wenig auf.
Es dauert nur einen Moment, da hört sie es. Dumpfe, schwere Geräusche.

Die Wölfe springen zusammen, richten ihre Körper dem Waldrand entgegen, während sich Alex schützend vor ihr aufbaut.
Lautes, anschwillendes Knurren erfüllt die Luft. Als wollten sie so den Fremden sagen, dass sie hier nicht willkommen sind.

Die dumpfen Geräusche werden noch lauter und Emma hört, dass es viele sein müssen.
Als würde der Wald zum Leben erwachen, als würden Bäume ihre Wurzeln aus dem Boden ziehen.

Emma atmet zitternd ein und rutscht unwillkürlich nach hinten. Weg von den Geräuschen, die eine Vorahnung darauf sind, was ihnen da immer näher kommt.

Während sie Alex betrachtet, weiß sie, dass ihre eh schon kleine Chance, heil hier raus zu kommen, gerade noch kleiner wird.

- Fortsetzung folgt -

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt