~• Kapitel 6.2 •~

1.2K 83 25
                                    

Das Licht ihrer Flamme wird immer kleiner und das Schwenken macht dies nicht besser.
Aber nur so kann sie diese Bestie auf Abstand halten, doch das ist keine Lösung von Dauer und sie muss sich schleunigst was einfallen lassen. Sie kann nicht warten bis die Flamme erlischt, sie muss zumindest irgendwas versuchen.

Emma hält inne, sieht dem Wolf direkt in Augen, hält seinem Blick stand und wirft ihm kurzerhand die Fackel entgegen.
Sie sieht nicht, ob er von ihr getroffen wird oder nicht, denn zu dem Zeitpunkt hat sie sich schon umgedreht.

Sie läuft so schnell sie ihre Beine tragen, vollkommen blind in die Dunkelheit hinein. Weg vom Dorf, weg von dem schützenden Zaun. Am liebsten würde sie kehrt machen und genau dorthin laufen, doch zwei Wölfe blockieren ihren Weg und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als in die andere Richtung zu laufen.

Zweige schlagen ihr ins Gesicht, fühlen sich wie kleine Peitschenschläge an und hinterlassen Schrammen auf ihrer Haut.
Ihr Atem rasselt laut in ihrer Kehle.
Dumpfe Geräusche werden hinter ihr laut und ohne sich umzudrehen, weiß sie, dass sie sie verfolgen.
Sie spornt sich noch mehr an, wird noch schneller und unterdrückt das Bedürfnis zurückzublicken.

Die Geräusche kommen näher und Emma ist nach Schreien zumute, als sie von ihrer Rechten sowie ihrer Linken kommen.
Sie sind mit ihr auf einer Höhe. Die Wölfe, sie flankieren sie, versteckt in der Dunkelheit und es ist nur eine Frage der Zeit, wann einer von ihnen zum Angriff ansetzt.
Sie treiben sie.
Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es können.
Es scheint ihnen Vergnügen zu bereiten ihr zu verdeutlichen, dass sie keine Chance hat und als Emma das klar wird, bleibt sie abrupt stehen.

Laut keuchend und die Hände zu Fäusten geballt, blickt sie in die Schwärze.
Die Geräusche sind verstummt und es herrscht eine tödliche Stille.
Emma weiß, dass sie noch da sind, dass sie warten und lauern.
Sie muss sie nicht hören, nicht sehen; sie spürt es mit jeder Faser ihres Körpers, spürt ihre Blicke.

Laut atmend steht sie da und nicht nur diese Bestien warten, auch sie wartet.
Wartet auf das, was als nächstes geschieht. Die Zeit fühlt sich an, als würde sie langsamer vergehen. Wie eine zähflüssige Masse verläuft sie.

Plötzlich kommt Bewegung in die Dunkelheit.
Einer der Wölfe tritt auf sie zu und betrachtet sie. Kommt ihr immer näher und bleibt direkt vor ihr stehen. Er ist so nah, dass sie nicht mal den Arm ausstrecken müsste, um sein Fell zu berühren.
Emma atmet zitternd ein und bohrt ihre Fingernägel in ihre Handflächen.
Heißer Atem streicht über ihren Kopf und ein übelriechender Geruch nach faulen Eiern und Verwesung steigt ihr in die Nase.
Sie unterdrückt nur mühevoll das Würgen und gibt keinen Ton von sich.
Der Atem, der sie streift, fühlt sich heißer, feuchter an und Emma muss nicht aufblicken, um zu wissen, was er tut. Er kommt ihr mit seinem Maul näher und als sie seine Zähne über ihre Kopfhaut schrammen fühlt, kneift sie die Augen zu.
Ein leises, langgezogenes Quicken entkommt ihren Lippen, als sie die Schultern hochzieht und auf das Unausweichliche wartet.
Tränen rinnen ihre Wangen hinab und plötzlich schießen ihr zig Bilder in den Kopf.
Da ist Alex, ihre Eltern, das Dorf, Lukas, Ben, Tom, die liebe Lorna und Finn.
Schluchzer entkommen ihrem Mund, als sie den unbändigen Drang zu Leben verspürt.

Kurzerhand lässt sie sich fallen, entkommt so dem Maul, das kurz davor war zuzuschnappen und krabbelt auf allen Vieren unter dem Wolf hindurch. Sie versucht es zumindest, doch der Wolf lässt sie nicht entkommen.
Mit einem wütenden Knurren springt er herum und drückt mit seinen Vorderpfoten Emma zu Boden.
Ein erstickter Laut entkommt ihren Lippen, während sie sich beginnt zu winden.
Dieses Mal wird sie es ihm nicht leicht machen, sie wird sich nicht ergeben.

Quitschend und zappelnd versucht sie seine Pfoten von ihrem Rücken runter zu bekommen, doch er ist zu schwer und zu stark.
Dem Wolf scheint der Spaß vergangen zu sein, denn er stößt ein lautes Heulen aus und stößt seine Zähne in ihren Arm.

Emma reißt die Augen auf und aus ihrem Mund entkommt ein schrille, stöhnende Töne.
So einen Schmerz hat sie noch nie empfunden. Tausend Blitze schießen durch ihren Arm, versengen ihr Fleisch. Warmes Blut tränkt ihren Ärmel.
Sich wie wild windend, versucht Emma mit der freien Hand die Zähne aus ihrem Fleisch zu bekommen.
Sie schlägt auf die Schnauze des Wolfes, zieht an seinen Lefzen, doch ihm scheint das gar nichts auszumachen. Denn er verharrt in dieser Position, so als wolle er sie quälen, als hätte er Freude daran und in dem Moment weiß Emma, dass alles wahr ist, was sie sah. So verhält sich kein Tier. Diese Bestie, sie muss auch ein Mensch sein. Ein sadistischer, ekelerregender Mensch.

Der Wolf löst seine Zähne aus ihrem Fleisch, was Emma mit einem Kreischen beantwortet.
Sie glaubte der Schmerz würde dann schwinden, doch dem ist nicht so.
Der Wolf steigt von ihr herunter.
Emma rollt sich auf den Rücken und zuckt zusammen als die Blitze erneut durch ihren Arm fahren.
Der Wolf steht direkt über ihr, sie sieht seinen großen schemenhaften Kopf.
Er stellt eine Pfote auf ihren Brustkorb.
Erstickte Laute entkommen ihren Lippen.

"Bi-t-te", krächzt sie und umfasst die Pfote. "Bi-tte."
Der Wolf schüttelt langsam seinen Kopf, reißt sein Maul auf und kommt ihrem Gesicht näher.
Emma kneift erneut die Augen zusammen.

Plötzlich ertönen zig laute Geräusche. Donnernde Pfotenschläge, aggressives Knurren und lautes Jaulen.
Emma schluchzt erstickt. Nun ist sie endgültig dem Tode geweiht. Das Biest hat noch mehr Freunde.
Sie hatte so schon keine Chance.

Die Geräusche kommen bei ihnen an und anders als erwartet stürzen sich nicht zig Bestien auf sie, um sie zu fressen, sondern das Gewicht von ihrem Brustkorb verschwindet und ein lautes Knallen folgt.
Emma nimmt einen tiefen Atemzug und setzt sich unbehändig auf.
Verwirrung tränkt ihren Geist, als sie vier große Gestalten sieht, die sich wie ein Schutzwall um sie rum positionieren.

"Was zum...", murmelt Emma, doch kommt sie nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn eine menschlich aussehende Gestalt schiebt sich durch den Schutzwall und lässt sich neben Emma auf den Boden fallen.
Sie spürt kalte Hände, die sie abtasten.
"Wer...?", fragt Emma langsam und rutscht keuchend von der Person weg.
"Ruhig, ruhig. Beweg dich nicht so viel. Die Wunde ist tief", antwortet diese.
"Lorna?", keucht Emma fassungslos, "Ich, was?"
"Pscht", macht Lorna, "Alles andere später. Wir müssen dich hier weg schaffen. Kannst du aufstehen?", fragt sie über das Knurren und Schnappen ihres Schutzwalls hinweg.
"Ja-a", antwortet Emma stockend und drückt sich mit Lornas Hilfe in die Höhe.
Sie schwankt so stark, dass Lorna den Kopf schüttelt.
"Das geht so nicht", sagt sie und kniet sich mit dem Rücken zu Emma nieder, "Ich trag dich."
"Ich bin zu schwer", antwortet Emma und muss sich an Lornas Schultern festhalten, um nicht umzukippen.
"Ach Blödsinn, steig auf."
Emma, der mehr als schwindelig ist und die keinen einzigen Gedanken mehr fassen kann, lässt sich einfach nach vorne plumpsen und hält sich mit ihrem gesunden Arm an Lornas Schulter fest.
Diese steht mit ihr auf, als wäre Emma leicht wie eine Feder.

"Du bist auch nicht normal, oder?", fragt Emma langsam, während sie den Geruch von Kräutern einatmet.
"Kommt drauf an, was du unter normal verstehst", antwortet Lorna und geht mit ihr in Richtung Dorf.
Die Wölfe machen ihnen Platz und versperren danach direkt wieder den Weg.

"Ich habe vieles gesehen, das ich nicht verstehe", murmelt Emma, "Riesige Wölfe, die böse sind und Erik, er hat sich... Was ist mit Erik?"
"Es geht ihm gut", antwortet Lorna.
"Dem Wolf oder dem Menschen?", fragt Emma und sie merkt, wie sie langsam wegdämmert, ob aufgrund ihrer Verletzung oder wegen dem was sie erlebte, kann sie nicht sagen.
"Sowohl als auch", hört sie Lorna noch antworten, bevor sich ihr Bewusstsein in eine Dunkelheit verabschiedet, die Emma dieses Mal willkommen heißt.

~• Fortsetzung folgt •~

Hallo ihr Lieben,

ich hoffe euch gefällt meine Geschichte bisher.
Über Feedback bin ich immer dankbar.
Habt einen schönen Tag.

Liebe Grüße
Emily

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt