~• Kapitel 16.1 •~

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"Emma", ruft Illa freudestrahlend, als sie aufspringt und auf sie zugelaufen kommt.
Ehe Emma es verhindern kann, wird sie in eine feste Umarmung gezogen.

Illas überschwängliche Art ist Emma manches Mal ein Rätsel. Sie kennen einander kaum, doch scheinbar wurde sie von Illa auserkoren ihre beste Freundin zu sein. Zumindest bekommt Emma immer häufiger dieses Gefühl, wenn sie auf sie trifft.

"Schön, dass du hergekommen bist", sagt sie und löst sich von Emma, "Ich hatte fast nicht damit gerechnet."
"Ich habe einen Grund", antwortet Emma und sieht über Illas Schulter zu dem Jungen mit den braunen Haaren und den grünen Augen, der sie erwartungsvoll ansieht.
"Oh wirklich?", fragt Illa und folgt Emmas Blick. Ein weiteres "Oh" entkommt ihr, dass sich in Emmas Ohren dumpf anhört. Weniger überschwänglich als zuvor.

Emma geht an Illa vorbei und setzt sich in einem gewissen Abstand zu Alex.
"Wie geht's dir?", fragt sie.
"Ihm geht es gut. Mit Lornas Hilfe verheilte sein Bruch gut", antwortet Lukas anstatt Alex, der sich direkt neben Emma setzt.
Sie wendet ihren Blick nicht von Alex ab, bis er zaghaft nickt.

"Und Friedrich, wie geht's ihm?"
Emma fragt das nicht, weil sie ein besonderes Interesse an ihm hat, sondern weil er nun mal Alex Bruder ist und es käme ihr falsch vor, würde sie sich nicht nach ihm erkundigen, ganz zu schweigen davon, dass er sie beinahe tötete.
Alex blickt wortlos an Emma vorbei. Sie dreht sich und sieht Lukas die Zähne zusammen beißen, während er langsam den Kopf schüttelt.
Emma seufzt und wendet sich wieder Alex zu.
"Wie geht's dir damit? Alles in Ordnung?"
Alex fährt sich über die Stirn, dann durch die Haare.
"Es ist besser so", sagt er nach einiger Zeit, "Es tut weh, ja, aber die Welt ist ohne ihn besser dran, genauso wie ich."

"Hey! Lass das!"
Emma zuckt zusammen und wendet sich ruckartig dem See zu. Eine Gestalt schwimmt mit weit ausholenden, platschenden Bewegungen in ihr Blickfeld und schreit dabei lautstark, als hinge ihr Leben davon ab. Bei näherer Betrachtung macht sie sie als Tom aus.
Nur einen Augenblick später erkennt sie in einigem Abstand wie Ben ihm gemächlich hinterher schwimmt.
"Der will mich umbringen! Ertränken! Abmurksen! Tut doch was!", jammert der Verfolgte zwischen seinen Schwimmbewegungen, als er die Blicke seiner Zuschauer zu bemerken scheint.

Lukas schüttelt grinsend den Kopf, "Diese Kindsköpfe."
"Wollen wir auch ins Wasser?", fragt Illa plötzlich und schmiegt sich an Alex.
Noch immer ist es für Emma merkwürdig Alex mit Illa zu sehen, immerhin teilen sie viele Erinnerungen miteinander, aber, und es überraschte sie selbst ein wenig, tut es ihr nicht weh.

Als sie erfuhr, dass die Beiden ineinander ihren Seelenverwandten gefunden haben, freute sich Emma sogar ein wenig.
Zwei einsame Seelen fanden zusammen.

"Gleich", antwortet Alex liebevoll und legt einen Arm um sie.
Er wendet sich an Emma und blickt ihr tief in die Augen.
"Du weißt, dass mir alles was ich sagte und tat leid tut, oder?"
Emma nickt, während Illa seufzt.
Sie hatten seit ihrer Ankunft nicht darüber gesprochen, was geschehen war. Haben sich kaum gesehen und dafür war Emma dankbar, so konnte sie in Ruhe alles Revue geschehen lassen.

"Ich möchte nur eine Sache wissen", sagt Emma, "Was war deine Funktion im Dorf?"
Alex fährt sich durch die Haare, ehe er antwortet: "Ich habe kontrolliert, ob der Älteste sich an die Abmachung hält."
"An die Abmachung euch Mädchen zu servieren?"
Alex nickt und Emma sieht ihm an, wie schwer es ihm fällt.
"Dafür hat Friedrich dafür gesorgt, dass keine Fremden das Dorf erreichen, sodass das Dorf weiterhin isoliert bleibt."
"Das war die Forderung des Ältesten?"
Alex nickt erneut.

Emma überlegt.
"Der Abend vor meiner Wahl, da hat dein Bruder uns beobachtet, ist es nicht so? Deswegen wurde ich erwählt, wegen meiner Beziehung zu dir?"
"Ja, ich hatte ihn nicht bemerkt. Sonst achtete ich immer darauf. An diesem Abend war ich unkonzentriert und selbst, als du gehen wolltest, habe ich nicht erkannt wer uns da beobachtete. Ich hielt ihn wirklich für ein Wildschwein. Aber als ich vom Ältesten erfuhr, dass Friedrich dich wählte, wusste ich wie arg ich mich täuschte und habe die Flucht geplant", erzählt er.
"Ich verstehe", erwidert Emma langsam, während sie über Alex Worte und an die Nacht in ihrer Zelle nachdenkt.

"Könnt ihr nicht Vergangenheit Vergangenheit sein lassen?", mault Illa.
"Lass sie, sie müssen darüber sprechen", weist Lukas sie an, was Illa zum Schweigen bringt, allerdings nicht ohne einen Schmollmund zu ziehen.
Dankend, aber auch überrascht sieht Emma ihn an.
Er nickt ihr einfach zu.

"Du dachtest, dass ich nicht wiederkäme und hast so versucht dich zu retten. Das verstehe ich, auch wenn es mir weh tat."
"Ich habe versucht meinem Bruder zu vermitteln, dass ich einen Fehler beging, den ich nicht wiederholen wolle. Doch, um ehrlich zu sein, missfiel mir immer mehr, was wir taten. Was ich tat... Als du nicht mehr da warst, fiel es mir deutlich einfacher, so zu tun als ob. Es fiel mir so leicht, dass ich es selbst glaubte. Doch mit deiner Rückkehr bröckelte dieses ganze Schauspiel und auf der Lichtung", er stockt und atmet tief ein, "Ich konnte nicht zulassen, dass er dich tötet. Es ging einfach nicht."

Emma setzt sich auf und krabbelt auf allen vieren zu ihm herüber, den Blick von Illa ignorierend.
Sie setzt sich vor ihm hin und greift nach seiner Hand.
Tränen rinnen ihre Wange hinab.

"Ich bin dir mehr als dankbar, dass du so entschieden hast. Es tut mir leid, was wir alles durchmachen mussten, doch Alex, unsere Entscheidungen haben uns genau hier hergebracht."
Sie lächelt Illa an, die ihr Lächeln zaghaft erwidert.
"Wir haben etwas gewonnen, nicht?", fragt Alex und drückt ihre Hand, während er voller Liebe Illa ansieht.

Es gab mal eine Zeit, da dachte Emma Alex würde sie lieben, doch wenn sie jetzt seinen Blick betrachtet, mit dem er Illa ansieht, dann weiß sie, dass er sie nie wirklich geliebt hat und das ist gut so.

Durch ihre Flucht haben sie einander verloren, doch dafür haben sie etwas anderes gefunden.

Emma dreht sich nach Lukas um, krabbelt auf ihn zu und setzt sich ganz nah neben ihn.
Ihren Kopf lehnt sie an seine Schulter. Es fühlt sich ungewohnt an ihm so nah zu sein, doch irgendwie ist es auch ein schönes Gefühl, das durch die kleinen Schmetterlinge in ihrem Bauch bestätigt wird.

Lukas hingegen erstarrt zunächst, scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass sie plötzlich seine Nähe sucht. Es dauert einen Moment, bis sie spürt, wie er sich entspannt. Fast zögerlich legt er ihr einen Arm um die Schultern.

Gemeinsam blicken sie auf den See, dessen Wasseroberfläche wie zig Diamanten im Sonnenlicht funkelt und Emma spürt, dass sie angekommen ist.

- Fortsetzung folgt -

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt