~• Kapitel 8.1 •~

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"Setz dich", fordert er, nachdem er die Tür hinter sich schließt. Emma folgt seinen Worten, wenn auch widerwillig. Sein Verhalten, ja allein seine Ausstrahlung wirkt so fremd auf sie.

"Worüber möchtest du reden?", fragt sie und blickt zu ihm empor. Er steht vor dem eichenbraunen Tisch und sieht nicht so aus, als wolle er ihr es gleichtun.
Sich am Kopf kratzend, tritt er von einem Fuß auf den anderen.
Unschlüssig..., unsicher...

Emma kann es kaum glauben. Sie hat schon viele Eigenschaften an ihm gesehen. Unsicherheit gehörte noch nicht dazu. Allein diese Tatsache lässt Emma nervös werden und sie kommt nicht umhin sich zu fragen, ob sie das was er nun sagen will, überhaupt hören will.
Sie wartet und wartet, beginnt innerlich zu zählen, doch Lukas bringt kein Wort über die Lippen.
Stattdessen starrt er sie an, kratzt sich dann am Kopf, tritt auf und ab, seufzt und starrt sie wieder an.

Emma, die diese merkwürdige Stille nicht länger aushalten kann, fasst sich ein Herz.
"Lukas", sagt sie, zu ihrer eigenen Überraschung, recht sanft und streckt ihren Arm nach ihm aus. Sie erreicht ihn nicht, doch wollte sie ihn auch nicht berühren, sondern eher auf sich aufmerksam machen. "Was möchtest du sagen?"

Er seufzt erneut, sieht sie kurz an und lässt sich dann tatsächlich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen.
"Ich habe dir etwas zu sagen, dass ich dir schon länger hätte sagen müssen", beginnt er und stockt kurz darauf.
Aufmunternd nickt sie ihm zu.
Er reibt sich die Stirn, seufzt.
"Ich versuche es mal. Ich stelle mich dabei wirklich dümmer an, als ich dachte." Ein schwaches Grinsen zieht über sein Gesicht.
"Nur Mut. Nichts kann so schlimm sein, dass du so mit dir hadern musst."
Lukas Grinsen wird breiter, bitterer. "Das sagst du jetzt. Warte mal ab..."
Emma ignoriert seine Worte und lächelt ihm weiterhin aufmunternd zu.

"Du weißt ja bereits, dass meine Welt ein wenig anders ist, als die, die dir bekannt ist."
Emma nickt, auch wenn Lukas keine Frage stellte.
"Es gibt noch einiges was du nicht über uns weißt. Eines davon möchte ich dir gerne erzählen."
"In Ordnung", rutscht es Emma raus und sie will sich am liebsten auf die Zunge beißen. Nicht, dass sie nun seinen Redefluss unterbrochen hat.

"Weißt du wie wir unsere Partner wählen?", fragt er und Emma muss sich ein erleichtertes Aufatmen verkneifen.
"Vermutlich wie jeder andere auch, weil ihr euch verliebt", antwortet Emma kurz darauf.
"Auch, ja, aber das ist unsere menschliche Seele. Unsere Wölfe handhaben die Suche nach einem potentiellen Partner ein wenig anders."
Lukas wartet, sieht sie an und legt seine Arme auf den Tisch. Er wirkt angespannt, auch wenn es so aussieht, als wolle er es unterdrücken.

"Und wie?", fragt Emma.
"Über den Geruch", antwortet Lukas ernst.
"Über den Geruch?", echot Emma und kommt nicht umhin sich ein riesigen Wolf mit der Schnauze auf dem Boden vorzustellen, der sich seinen Weg zu seiner potentiellen Partnerin erschnüffelt. Emma hat Mühe das Lachen zu unterdrücken, das ihre Kehle emporsteigt.

Lukas, der ihren nahenden Lachanfall nicht bemerkt oder einfach ignoriert, spricht unbeirrt weiter.
"Jeder von uns hat seinen eigenen einzigartigen Geruch. Du, bespeilsweise, riechst nach frisch gefallenem Schnee, Kräutern und Tannennadeln."
Emma verzieht das Gesicht. Sie riecht nach Schnee..

Lukas, der ihren Gesichtsausdruck bemerkt, beginnt zu lachen.
"Wärst du ein Wolf, wüsstest du wie Schnee riecht. Es riecht gut, wirklich. Meinem, meinem Wolf gefällt es sehr."
Er sieht sie an und sie erwidert seinen Blick.
Nach einiger Zeit sagt sie: "Also wie handhaben eure Wölfe es?"
Lukas seufzt und murmelt etwas.

"Also", beginnt er und richtet sich auf, "Ist ein Geruch ausgemacht, der dem Wolf gefällt, folgt er diesem und wenn er seinem potentiellen Partner gegenüber steht, entscheidet nur ein Blick in die Augen des anderen darüber, ob sich der Wolf binden möchte. Wenn er es tut, dann fühlt es sich wie ein Knall an. Die Gefühle wirbeln umher, es fühlt sich heiß an, es brennt förmlich wie Feuer. Nicht schmerzhaft, es fühlt sich eher wie eine Welle des Begehren und des Verlangens an."

Emma muss soviele Informationen in dieser kurzen Zeit erstmal verarbeiten.
"Also der Geruch weckt Interesse und einander in die Augen zu sehen schmiedet das Band?"
Lukas nickt. "Interessant, dass du es so ausdrückst. Das Band", wiederholt er, "In unseren Überlieferungen heißt es tatsächlich so. Das Band, das zwei Seelen miteinander verknüpft. Wir nennen es Seelenverwandtschaft."

"Das hört sich irgendwie romantisch an", gesteht Emma und wird rot. Sie muss an Alex denken.
Wären sie beide Werwölfe, wären sie sicherlich seelenverwandt.
"Und diese Seelenverwandtschaft ist die beidseitig? Empfindet der andere das gleiche?", fragt sie neugierig.
"Bei Werwölfen ist das der Fall, ja. Findet einer seine Seelenverwandte, dann empfindet diese das Gleiche."
"Hmmhmm...", macht Emma nachdenklich, "Und was wäre, wenn diese so nicht fühlen würde?"
"Das ist noch nie vorgekommen. In unseren Überlieferungen heißt es, dass es nur den einen Partner für einen Wolf gibt. Findet er diesen hat die Beziehung bis zum Lebensende der beiden Bestand. Auch wenn einer stirbt, so bleibt die Beziehung bestehen. Sprich, derjenige oder diejenige würde sich nach solch einer Beziehung nie wieder auf einen anderen Partner einlassen. Man ist gebunden, selbst über den Tod hinaus."

Auf der einen Seite findet Emma dies sehr romantisch, auf der anderen hört es sich aber auch sehr einsam an, in dem Falle des Todes des Partners.
Sie blickt auf, "Was ist mit eurer menschlichen Seele?", fragt Emma daraufhin, "Wenn der Wolf sich bindet, empfindet ihr als Menschen dann auch so?"

"Normalerweise schon", antwortet Lukas und verschränkt die Arme vor der Brust.
"Normalerweise?", fragt Emma nach.

"Hast du dich bisher nicht einmal gefragt, warum ich dir das erzähle?", fragt Lukas plötzlich ernst und überrumpelt Emma.
Fragend sieht sie ihn an, blickt in seine Augen und überlegt.
Nein, sie hatte sich tatsächlich nicht gefragt.
Sie wiederholt ihr Gespräch im Geiste, hört all jenes, was er ihr vor kurzem sagte.
An einer Stelle bleibt sie hängen.
Wiederholt es, bleibt hängen.
Warum hatte sie es überhört.
Sein Wolf mag ihren Geruch.

Sie denkt an den Moment, als sie Lukas zum ersten Mal begegnet war. Nicht dem Menschen Lukas, sondern dem Wolf.
Nahe ihrer kaputten Hütte, er griff sie an, sie schloss mit ihrem Leben ab, doch dann sahen sie einander in die Augen.
Emma erinnert sich genau daran was sie fühlte. In dem Moment hätte sie sich von ihm fressen lassen, es war ihr gleich was geschieht. Sie war schwerelos und dann nur einen Moment später, sprang Lukas weg, als hätte er sich verbrannt und sie, sie sah ihm lange nach.

Als sie im Dorf ankam, haben die Bewohner Ben gescholten. Er hätte dies nicht entscheiden dürfen. Er hatte sie ins Dorf gebracht, in Lukas Dorf. Er hatte das Unausweichliche vorgezogen. Das hatte Ben immer in diesen Konfrontationen gesagt.
Unausweichlich...

Und eben gerade, da hat es Lukas gesagt. Sie hatte sein Interesse geweckt, das seines Wolfes.
Ihm würde ihr Geruch gefallen.

Interesse wecken und ein Blick...

Emmas Mund formt sich zu einem O. Sie sieht Lukas fassungslos an.

"Willst du etwa sagen, dass ich deine Seelenverwandte bin?"

~• Fortsetzung folgt •~

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt