~• Kapitel 2.2 •~

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"Wer bist du denn?", fragt sie das kleine Wollknäuel und stellt die Schüssel neben ihre Füße.
Ein kleiner Welpe tapst zaghaft aus dem Gebüsch und lässt sie währenddessen nicht aus den Augen.

Er hat komplett schwarzes Fell, außer an der Nase, dort befindet sich ein weißer Fleck und spitze Ohren, von dem eines in die Höhe steht und eines nach vorne hängt.

"Wo kommst du denn her?", fragt Emma sanft und geht einen Schritt auf ihn zu.
Sofort zuckt der Kleine knurrend zurück, um im nächsten Moment ein kurzes Jaulen von sich zu geben.
Er blickt auf seine Pfote und Emma folgt seinem Blick.
"Oh, du Armer", sagt sie mitfühlend, als sie das Blut sieht.
Kurzerhand entscheidet sie dem Welpen zu helfen.

Sie geht in die Hocke und redet beruhigend auf ihn ein.
"Ruhig, es ist alles gut. Ich werde dir kein Leid zufügen. Bitte beiß mich nicht, wenn ich dich gleich hochhebe."
Sie weiß, dass er kein einziges Wort versteht, dennoch hat sie das Gefühl, dass das Sprechen hilft, denn der Kleine wirkt merklich ruhiger, auch wenn seine braunen Augen sie noch immer fokussieren.
Als sie ihn erreicht, hält sie kurz inne und sieht ihm einfach mit ihrem ganzen Wohlwollen in die Augen. Stumm betrachten sie einander und Emma hat das Gefühl, als würde eine Art Vertrauen zwischen ihnen entstehen.

Langsam atmet sie aus, sammelt all ihren Mut zusammen und streckt ihre Hand dem Kleinen entgegen.
Dieser bewegt sich keinen Zentimeter. Er schaut ihr einfach nur in die Augen.
Ihre Fingerspitzen berühren ihn sanft an der Schulter. Sie spürt sein raues und doch weiches Fell durch ihre Finger gleiten, als sie ihn vorsichtig streichelt.
"Beiß mich nicht. Ich hebe dich jetzt hoch", murmelt sie und Schweißperlen bilden sie auf ihrer Stirn, als sie ihn unterm Bauch berührt.
Noch immer bewegt sich der Kleine keinen Zentimeter.
Emma nimmt ihre andere Hand hinzu und mit beiden Händen hebt sie ihn langsam auf ihren Schoß.

"Alles ist gut", murmelt sie immer wieder, als sie sich mit ihm im Arm in die Höhe drückt.
Sie spürt sein kleines Herz rasen und wie sein kleiner Körper zittert.
Mitleid macht sich in ihr breit. Sie würde ihm so gerne den Schmerz und vorallem die Angst nehmen.
Vorsichtig geht sie mit ihm auf den Teich zu, bis sie bis zu den Knöcheln im Wasser steht.
Langsam lässt sie den Welpen herab, der plötzlich wie wild zu zappeln beginnt.
"Hör auf, ich muss doch deine Wunde reinigen. Bitte halt still", fleht sie aus Angst, dass er sich aus ihren Händen windet.
Als hätte er sie verstanden, hält er jaulend inne.
"Ich weiß, du hast Angst, aber ich verspreche dir, dass ich dir nichts tun werde. Ich werde deine Pfote jetzt reinigen und ja, das tut weh, aber danach wird sie heilen", erzählt Emma dem Hund und fragt sich kurzzeitig, ob sie ihn oder sich selbst beruhigen will.
Langsam taucht sie seine Pfote ins Wasser. Ein Ruck geht durch seinen Körper und er beginnt zu fiepen. Emma zerreißt es fast das Herz, dass sie ihm nun doch weh tun muss.

Sie verlagert ihr Gewicht, während sie ihn in einer Hand hält und mit der anderen das Blut von seiner Wunde wäscht.
Sie gibt sich alle Mühe die Töne, die er dabei von sich gibt, zu ignorieren und selbst nicht in Tränen auszubrechen.
Beim Befühlen fällt ihr allerdings auf, dass weder seine Pfote noch sein Bein gebrochen ist.
Zumindest etwas gutes.

"Fertig", weist sie ihn darauf hin und richtet sich auf.
Es wirkt fast so, als würde der Kleine in ihrem Arm erleichtert ausatmen.
Am Ufer angekommen, setzt sie sich mit ihm auf den Boden und kramt aus der Tasche ihres Kleides einige Blätter Gundermann.
Diese reibt sie in den Fingern, bis sie dessen Flüssigkeit spürt.
"Also", sagt sie und atmet tief ein, "Ich lege dir diese Blätter nun auf deine Wunde. Es wird kurz brennen, aber sie werden deine Wundheilung unterstützen."
Der Kleine sieht sie ruhig an und schließt die Augen, so als wolle er sich seinem Schicksal ergeben.
"Gut", murmelt Emma und legt die Blätter auf die Wunde. Wie vorhergesagt, zuckt der Welpe zusammen.
Emma reißt ein Stück aus dem Saum ihres Kleides und verbindet seine Pfote damit.
"So, ganz fertig", stellt sie zufrieden und erleichtert fest, während sie den Welpen am Hals krault.
Nachdem was die beiden durch haben ist sie sich sicher, dass er sie nicht beißen wird.
"Sag mal Kleiner, du bist allein. Ich bin allein. Möchtest du mit zu meinem Unterschlupf kommen?"
Der Welpe sieht sie an und es wirkt fast so, als würde er sie anlächeln.
Emma weiß, dass das verrückt ist; sie redet mit einem Hund, aber irgendwie fühlt sie sich so nicht so allein.
"Das nehme ich als Ja", erwidert sie und lächelt.

~•~

Die Sonne geht bereits unter, als sie in ihrer kleinen Kammer ankommen.
Emma schnappt sich die Jacke und legt sie sich über die Schultern.
"Nachts kann es hier kalt werden, aber keine Sorge, ich wärme dich. Du kannst auf meinem Schoß schlafen und morgen suche ich dir was zu fressen. Vielleicht schaffe ich es ja dir einen Fisch zu fangen oder einen Hasen. Das würde dir bestimmt schmecken", erzählt sie ihm, während sie sich mit ihm auf den Boden gleiten lässt und ihn auf ihren Schoß setzt.
Sie deckt sich und ihn mit den Seiten der Jacke zu.
"Ich bin irgendwie froh, dass wir einander fanden. Ich vermisse Gesellschaft und das obwohl es noch nicht lange her ist, dass ich welche hatte."
Emma lehnt ihren Kopf an die kalte Wand und denkt an Alex, an ihren Vater, ja sogar an ihre Mutter.
Eine kalte Nase reißt sie aus ihren Gedanken und bringt sie zurück ins Hier und Jetzt. Sie blickt hinab und sieht den Welpen, wie er seine Nase an ihren nackten Arm drückt.
"Wie heißt du eigentlich?", fragt sie und prustet kurz darauf los, als ihr auffällt, dass er ihr gar nicht antworten kann.
"Ich gebe dir einfach einen Namen", kichert Emma und wuschelt durch sein Fell.
Als würde er zustimmen, jault er kurz auf.
"Mal überlegen", sagt sie und tippt sich mit dem Finger gegen die Unterlippe, "Ich nenne dich..."

Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Emma zuckt so doll zusammen, dass der Kleine beinahe von ihrem Schoß gepurzelt wäre.
Der Welpe beginnt sich unruhig auf ihrem Schoß zu bewegen.
"Was ist denn los?", fragt sie ihn, während ihr das Herz bis zum Hals schlägt.
Er schiebt sich unter ihrem Arm hindurch, rutscht von ihrem Schoß herunter und tappst mit wackeligen Schritten auf den Ausgang der Hütte zu.
"Warte!", ruft sie und springt auf.
Sie hastet ihm nach.

Als Emma aus der Hütte tritt, taucht die untergehende Sonne alles in rotes Licht und genau das macht das Bild noch viel angsteinflößender.
Emma keucht erschrocken auf, taumelt wie von einem Schlag getroffen zurück und findet gerade so Halt an der Hüttenwand.
Mit geweiteten Augen blickt sie zu dem Welpen, der hechelnd neben einem Wolf steht.
Einem riesigen Wolf, der sie an Größe bestimmt zweimal mit ihrer eigenen Körpergröße übertrumpft und trotz dieser Größe elegant wirkt. Dieses Wesen fokussiert sie nun aus blauen Augen heraus, während es sie bedrohlich anknurrt und dabei eine Reihe rasiermesser-scharfe Zähne zeigt.

~• Fortsetzung folgt •~

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt