~• Kapitel 10.1 •~

1.1K 61 11
                                    

"Ich verstehe, warum du gegangen", sagt Lorna, nachdem Emma's Erzählungen endeten.
"Wirklich?", fragt Emma fast hoffnungsvoll nach und erhält daraufhin ein Nicken.
"Dein Dorf ist anders, als unseres. Wir arbeiten auch hart, aber wir sind eine Gemeinschaft dabei. Bei deinem Dorf klingt es eher danach, als ob ihr arbeiten musstet, nicht der Gemeinschaft willen, sondern für euer eigen Überleben."
"So war es auch", seufzt Emma und streicht sich die Haare aus dem Gesicht, "Der Dorfälteste predigte zwar, dass wir einander helfen und schützen, doch was das wirklich heißt, lernte ich erst hier bei euch."

"Und dieser Dorfälteste, was ist das für ein Mann?", fragt Lorna.
"Hmm...", macht Emma und verschränkt die Arme vor ihrer Brust, "Er ist alt und kalt, ja, ich denke, dass ist der richtige Ausdruck. Als ich noch ein Kind war, hatte ich Angst vor ihm und versteckte mich hinter meiner Mutter, wenn er zu uns kam. Als ich älter wurde, fand ich ihn einfach irgendwie respekteinflößend. Wenn er lächelte, erreichte das Lächeln nie seine Augen und manchmal hatte ich das Gefühl, als könne er in mich hinein sehen und meine geheimsten Gedanken lesen."
Emma schüttelt sich, während sie sich über die Arme reibt.
"Solche Zeitgenossen sind auch mir nicht fremd. Ich fragte mich nur, wie er zu seiner Position kam?"
Emma zuckt die Schultern und greift nach dem, mittlerweile kalt gewordenen Tee, "Sowie Lukas auch, denke ich. Vererbt bekommen."
"Du denkst?", echot Lorna und zieht eine Augenbraue hoch.
"Er hat nie davon erzählt. Von meinen Eltern weiß ich, dass diese auch im Dorf geboren sind und er damals schon der Älteste gewesen sein soll, wobei er da selbst noch ein junger Mann war und meine Großeltern kann ich nicht mehr fragen, ob vor ihm sein Vater der Älteste war. Ich muss ehrlich gestehen", sagt Emma und sieht Lorna plötzlich aus wachen Augen an, während sie sich nach vorne beugt, "Mich hat schon die Geschichte des Dorfes interessiert. Wie es entstand und vorallem wann."
"Hast du jemals die älteren deines Dorfes gefragt?"
Emma schüttelt den Kopf, "Wir sprechen im Dorf nicht darüber was mal war. Das ist nicht erlaubt."

Lorna nickt und greift plötzlich nach Emmas Hand, "Es ist auch nicht mehr von Belang. Du bist hier und deine Eltern auch." Sie lächelt und der Stein in Emmas Bauch fühlt sich noch schwerer an.
"Ich weiß dennoch nicht was mit Alex ist. Ob er im Dorf ist oder nicht."

Lorna lächelt mitfühlend und tätschelt Emmas Handrücken, als sie aufsteht und sich einen neuen Becher Tee holt. Während sie die dampfende Flüssigkeit aus dem Kessel schöpft und in den Becher kippt, fragt sie: "Musst du es wissen?"
Emma atmet tief ein und wieder aus, reibt sich über die Stirn und massiert daraufhin ihre Schläfen.

"Ich weiß es nicht", gesteht sie ehrlich und blickt auf die Tischplatte, "All jenes was ich zuvor erlebte, scheint wie ein Traum, auch...", sie stockt und wagt es nicht zu atmen, "Auch Alex. Er wirkt nicht mehr so präsent und irgendwie als würde er eine Nebelgestalt sein."
Mit einem lauten Stöhnen lässt Emma den Kopf gen Tischplatte fallen, die sie vor kurzem noch eingehend betrachtet hat.
"Ich bin ein Verräter!", stöhnt sie, "Ich verrate nicht nur ihn und das was er tat, sondern auch meine Gefühle, die ich...", sie stockt erneut, blickt schlagartig auf und auf ihrem Gesicht ist ein schmerzverzerrter Ausdruck zu erkennen.
"Ich bin so durcheinander, ich weiß nicht mal mehr, ob ich Gefühle hatte, habe oder nur ein bisschen, ob ich ihn liebe, noch liebe. Alles ist anders."
Lorna dreht sich um und läuft auf Emma zu, "Emma es ist..." "Schwieriger, kompliziert", redet Emma einfach weiter und wirft die Hände in die Luft, bevor sie wild zu gestikulieren beginnt, "Ich meine die Welt ist anders, als ich es dachte. Soviel, das ich nicht wusste. Auf der einen Seite die bekannte Welt mit Alex."
"Emma", versucht Lorna das junge Mädchen erneut zu unterbrechen.
"Und Schatten und auf der anderen Seite eine Welt, wie sie wohl wirklich ist und auch wenn mir diese neue Welt Angst macht, so fühle ich mich in ihr sicherer als jemals zuvor in meinem Leben. Ich..."
"Emma!", schreit Lorna nun lauter, als sie es eigentlich wollte und unterbricht den Redeschwall, der Emma über die Lippen sprudelte.
Diese blickt sie aus großen Augen an, während sich ihre Brust hektisch hebt und senkt.
"Es ist verständlich, dass du verwirrt bist. Du musst nichts wissen, nichts entscheiden. Du hast deine Eltern gerettet und wolltest Alex finden."
"Aber", setzt Emma zum Widerspruch an und wird prompt von Lorna unterbrochen.
"Kein Aber, du hast dir nichts vorzuwerfen. Mach dich nicht verrückt. Es wird sich alles finden und nun solltest du schlafen gehen. Du kannst nicht mehr klar denken."
Mit einem Augenzwinkern lässt Lorna Emma alleine, die noch lange am Tisch saß.

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt