~• Kapitel 15.1 •~

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Die Wölfe beginnen hinter ihr zu scharren, das hört sie, auch wenn sie so tut, als täte sie es nicht.
Fast schon konzentriert streichelt sie Alex' Hals weiter, der unter ihrer Hand zittert.

Sie atmet aus, lässt die Hand sinken und dreht zunächst den Kopf, dann ihren ganzen Körper den Wölfen zu.

"Ihr werdet ihm nichts mehr tun", sagt sie mit einer Gewissheit in der Stimme, die sie selbst ein wenig überrascht.
Sie steht auf, stellt sich schützend vor den großen Wolfskörper und blickt den Wölfen ernst entgegen.
"Nie wieder", sagt sie und blickt zum Himmel empor. Der Mond steht mittlerweile an seinem höchsten Punkt.

"Gleich", flüstert ihre innere Stimme, während ihr Blick noch immer auf den Mond gerichtet ist, "Gleich ist es soweit."

Emma blickt zu dem Waldrand, aus dem sie kam, als sie vor Friedrichs Wölfe davon lief. Überall hatte sie mit ihren Händen die Bäume berührt. Überall sich abgestützt, überall ihre Finger entlang streifen lassen.

Die Wölfe folgen ihrem Blick und als Emma bemerkt, dass ihre Ohren zucken, weiß sie, dass nun der Moment gekommen ist.

Sie sinkt auf die Füße sinkt und beugt sich zu Alex' Ohr hinab.
"Nun sind wir sicher", flüstert sie ihm zu und auf ihr Flüstern ertönen dumpfe Pfotenschläge.
Doch dieses Mal empfindet Emma keine Angst, sondern endlose Erleichterung, die sich so anfühlt, als würden ihr ganze Felsen vom Herzen fallen.

Fast, hatte sie gedacht, würde sie es nicht schaffen. Hatte nicht mit Werwölfen gerechnet und beinahe die Hoffnung verloren, doch sie lebt. Dank Alex, lebt sie.

Die Wölfe beginnen zu tänzeln, während sie auf den Waldrand blicken.
Sie schnappen nach einander, bis einer von ihnen ein lautes Heulen ausstößt.
Emma sieht sich nach den anderen um und bemerkt, dass die restlichen Wölfe, die sich noch ein Kampf liefern, von Friedrichs Männern ablassen.
Sie schwenken herum und betrachten wie ihre Mitglieder den Wald.

Friedrichs Männer wirken mitgenommen, während er noch immer dort sitzt, wo Emma ihn das letzte Mal sah. Er hat sich am Kampf also nicht beteiligt, während sein dreistelliges Rudel es mit vier Werwölfen aufgenommen hat.
"Feigling", denkt sie bei dem Anblick.

Wölfe brechen aus dem Unterholz, laufen auf die Lichtung und harren aus, bis aus ihnen heraus der Größte tritt. Emmas Herz macht einen Satz.

Lukas kam und er hat gefühlt sein ganzes Rudel mitgebracht.
Eine Welle aus großen, muskulösen Körpern bricht aus dem Wald, während die vorderen ihre Gegner betrachten.
Die Wölfe, die ihnen entgegen stehen, sehen, dass sie keine Chance haben.
Einige kneifen den Schwanz zwischen ihre Beine und legen sich fiepsend auf den Boden, während andere versuchen zu fliehen, darunter auch Friedrich.
Doch er kommt nicht weit, denn aus dem Waldrand, in den er fliehen will, treten noch weitere Werwölfe.

Panisch wirft er den Kopf hin und her, versucht einen Ausweg zu finden, während Lukas Wölfe ihn umkreisen.
Emma kann sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen.
"Soll er seine eigene Medizin probieren. Ich hoffe, sie schmeckt ihm", denkt sie sich und wendet den Blick ab, als der große Wolf auf sie zutritt.

"Du bist gekommen", stellt sie fest und lächelt leicht. Er sieht sie an, in seinen Augen ein stummer Vorwurf.
"Ich erkläre es dir, wenn es Ben noch nicht ausreichend tat, versprochen", beantwortet sie seinen Blick und nickt dann zu Alex, "Bitte hilf ihm."

Lukas neigt den Kopf, sieht sich den fast leblosen Körper von Alex an und sieht daraufhin wieder zu Emma.
Sie nickt, "Ja", sagt sie, "Das ist Alex."
Lukas schnauft, dennoch wendet er sich seinen Männern zu und gibt kurze Bellgeräusche von sich.
Vier Wölfe lösen sich von den anderen und gehen auf Alex zu.

Lukas brummt, sodass Emma ihn wieder ansieht.
Er liegt auf dem Bauch und nickt mit seinem Kopf seiner Schulter zu.
Emma tapst an seine Seite, während er mit dem Boden versucht zu vetschmilzen.
Vorsichtig setzt sie einen Fuß an seine Seite und zieht sich hoch.

Mit ihr auf seinem Rücken erhebt sich Lukas und geht gemächlichen Schrittes los.

Als würde der Tag seinen Tribut fordern, spürt Emma plötzlich eine bleiernde Müdigkeit, die sie dazu bringt sich mit dem Oberkörper nach vorne zu lehnen.

Die Wange im warmen Fell von Lukas, sieht sie zu wie Baumstämme und Büsche an ihr vorbeiziehen.

"Ich weiß, dass du mich eigentlich nicht gehen lassen wolltest. Du wolltest, dass ich mich dir anvertraue und ich tat es nicht. Ich habe dich damit verletzt und dafür entschuldige ich mich."
Lukas brummt zustimmend.
"Aber weißt du", fügt Emma hinzu, "Ich wusste nicht wie ich dich bitten sollte nochmal mit mir wegen Alex loszuziehen. Es kam mir falsch vor dies nochmal von dir zu verlangen."
Stille beantwortet ihre Worte, doch Emma weiß genau, dass er sie hörte.
"Die Entscheidung, die ich traf, war gefährlich. Ich weiß, doch ich musste sie treffen. Es war etwas, was ich tun musste, dem ich mich stellen musste. Vielleicht vergleichbar, als du dich deinem Vater gestellt hast. Das musstest du tun und ich, ich musste mich meinem Dorf stellen."

Lukas brummt und Emma kommt nicht umhin zu glauben, dass er sie nachvollziehen kann.
Manchmal gibt es einfach Dinge, die man durchstehen muss.
Vor denen man nicht davonlaufen kann, da man sie immer mit sich herumträgt. Die man nicht loslassen kann, da man sie fest umklammert.

"Ben missachtete deinen Befehl übrigens nicht. Er kam nur wieder. Hielt mich auf und schloss mit mir einen Kompromiss, wie du weißt", sagt sie und zwickt ihm spielerisch in die Seite, "Dass er zurückkam und mit mit vereinbarte, dass ihr kämt, sobald der Mond am Himmel steht, hat mir das Leben gerettet. Ich dachte nicht, dass ich auf Werwölfe treffen würde", gesteht sie.
Lukas schnauft erneut und bäumt sich kurz auf.
"Hey!", ruft Emma erschrocken aus und hört ein kehligen Ton.
Man könnte es für Lachen halten.
"Mach das nicht nochmal. Ich habe meine Lektion gelernt", verspricht sie mit einer von Müdigkeit getränkten Stimme.
Sie schmiegt ihre Wange weiter ins dichte schwarze Fell.

Lukas Schritte wiegen sie allmählich in den Schlaf, während seine Wärme sie vor der Kälte schützt und sie weiß nun, dass sie ihm vertrauen kann.
Immer und zu jeder Zeit.

Er kam und er lässt sie nicht fallen.

- Fortsetzung folgt -

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt