~• Kapitel 6.1 •~

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Langsam geht Emma neben Erik her.
Ihr Herz schlägt laut in ihrer Brust und mit jedem weiteren Schlag hat sie das Gefühl die Dunkelheit um sie herum würde dichter werden.
Als sei der Lichtkegel ihrer Fackel eine kleine, sichere Insel in einem Meer voller Gefahren.

Eriks ganze Haltung wirkt verändert. Hatte er vorhin noch zur Eile gedrängt, wirkt er nun wie eine Statue, der gerade soviel Leben eingehaucht wurde, dass sie sich bewegen kann.
Sein Gesicht ist verkrampft und seine Augen blicken konzentriert in die Ferne.

Das Rascheln und Knacken ist seit einigen Schritten verstummt. Nun umgibt sie nichts als Stille, die von ihren eigenen Schritten auf dem schneedurchtränkten Boden immer wieder kurzzeitig unterbrochen wird.
Doch Eriks Anspannung hat sich seit diesem Moment nicht verändert. Während in Emma der Gedanke keimt, dass sie wieder alleine sind, sieht Erik so aus, als würde er durch die Hölle laufen, in der Sorge, dass jeden Moment der Teufel selbst sich in seinen Weg stellen könnte.

"Ich glaube, es ist weg", flüstert Emma.
Erik wendet ihr blitzartig seinen Kopf zu.
"Still!", zischt er leise und doch wirkt seine Stimme in ihren Ohren laut.
Fragend sieht sie ihn an, doch er schüttelt einfach nur den Kopf und blickt über seine Schulter.
Emma folgt seinem Blick und ihre Augen nehmen schemenhaft die Zweige von Büschen wahr.
Ansonsten sieht sie nichts und hört auch nichts mehr.
"Was nimmst du wahr, was mir verborgen bleibt?", fragt sie sich in der Stille ihrer Gedanken, während Erik sie mit sich zieht.
Egal was es ist, sie will einfach nur noch aus diesem Wald raus und am liebsten würde sie einfach losrennen, doch Eriks Hand hindert sie, zwingt sie zur Langsamkeit.

Sie gehen weiter, immer weiter. Schritt um Schritt, weiter.

Emma kann bereits den hohen Zaun des Dorfes und durch ihn Lichter schimmern sehen. Ihr Herz macht einen Satz. Nicht vor Panik, sondern vor Erleichterung. Es ist nicht mehr weit.
"Wir haben es gleich gescha...", sagt Erik leise, doch er kommt nicht dazu seinen Satz zu beenden, denn ein Knall, der so laut ist, als wäre ein Baum gefällt worden, unterbricht ihn.
Beide wirbeln herum und blicken in eine Dunkelheit, die lebendig geworden zu sein scheint.
Emmas Augen sind nicht gut genug, um zu sehen was sich dort verbirgt, doch etwas ist da, es bewegt sich und es ist groß.

Emma stolpert zurück und würde Erik ihre Hand nicht halten, wäre sie gestürzt.
"Was ist da?", flüstert Emma.
"Ein großes Unglück", antwortet Erik in normaler Lautstärke, während er ihr die Fackel übergibt und vor Sie tritt.
"Wa-a-as?", fragt Emma nach. Sie versteht nicht, doch sie weiß, dass gleich etwas geschehen wird.
Sie spürt es mit jeder Faser ihres Körpers.

"Du solltest es nicht so erfahren. Das war nicht der Plan", sagt Erik, ohne sich umzudrehen.
Ihr wird heiß und kalt.
Worüber redet er da bloß?
"Egal, was du gleich siehst, egal, was du hörst, bleib immer hinter mir", weist er sie ernst an.
"Aber, aber, was, ich", stammelt Emma, ohne einen ganzen Satz herauszubekommen.
Ihr Herz donnert so stark in ihrer Brust, dass sie das Gefühl hat, sie könne nicht mehr atmen.

Erik blickt geradezu, als würde er etwas sehen, dass nur er sehen kann.
"Hör auf dich zu verstecken! Du weißt doch bereits, dass wir dich entdeckten. Komm raus!", ruft er und Emma hofft irgendwie das Nichts raus kommt und Erik einfach nicht mehr ganz bei Sinnen ist, doch ihre Hoffnung wird enttäuscht und das was sie erblickt, lässt ihr Herz still stehen und das Blut in ihren Adern gefrieren.
"Oh mein...", sie kann nicht mal den Gedanken zu Ende bringen.
Ihr Mund wird staubtrocken, ihre Hände schweißnass, als sie mit weitaufgerissenen Augen das Wesen betrachtet, das aus der Dunkelheit heraustritt.

Es ist ein Wolf, ein riesiger Wolf von majestätischer Statur und er erinnert sie an den Wolf, den sie damals an ihrer Hütte traf. Nur ist der hier viel größer und wirkt auch viel bedrohlicher.
Damals fand sie die Größe des Wolfes schon eigenartig, doch sie konnte diese Begegnung gut verdrängen, bis jetzt...

When the snow falls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt