Teil31

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Patrick

Rastlos wandere ich durch mein Haus, seitdem ich Ellie nach Hause gebracht habe, ist es, als wenn kleine Stromstöße durch meinen Körper jagen, es ist unmöglich für mich zur Ruhe zu kommen. Die letzten Stunden haben meine Gefühlswelt komplett durcheinander gewirbelt, alles auf den Kopf gestellt. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich zu hoffen gewagt, was eingetroffen ist. Ich weiß, dass es ein Leichtes gewesen wäre die Nacht mit ihr zu verbringen, bei ihr zu bleiben, ich weiß, dass der Gedanke auch in ihrem Kopf präsent war, aber ich will nichts überstürzen. Ellie hat es verdient glücklich zu werden und für mich gehört es dazu, es langsam angehen zu lassen, wir müssen uns kennenlernen und ich bin wirklich sehr neugierig darauf, alles von ihr zu erfahren.

Im Osten beginnt es langsam zu dämmern, die Nacht muss dem neuen Morgen weichen, es ist immer wieder faszinierend mitzuerleben, wie alles im Fluss ist, jeder Tag, und ist er noch so schlimm, findet ein Ende in einer Nacht, um dann in einen neuen Tag zu münden. Das alles passiert so selbstverständlich, seit so vielen Millionen Jahren, ohne dass wir Menschen darauf Einfluss hätten.

Erleichtert atme ich auf, als meine Uhr endlich anzeigt, dass ich mich auf den Weg zum Bäcker machen kann. Interessiert studiere ich die Auswahl, habe ich doch keine Ahnung, was Ellie gerne isst. Nach reiflicher Beratung mit der Dame hinter dem Tresen verlasse ich kurz darauf mit einer großen Tüte unter dem Arm die Bäckerei. Auf dem Weg zu Ellies Hof werde ich immer wieder freundlich gegrüßt, eine ältere Dame, deren Namen ich nicht kenne, wird nicht müde mir immer wieder zu sagen, wie schön sie die Messe am vergangenen Sonntag gefunden hat. Während sie immer weiter spricht und mir erzählt, wie merkwürdig sie so manch neues Kirchenlied findet und wie schön doch solch Lieder im alten Stil sind und dass die Gemeinde froh sein kann, so jemanden wie mich gefunden zu haben. Mein Lächeln gefriert mit jedem Wort mehr zu einem gequälten Grinsen und immer wieder huscht mein Blick zu den Zeigern der Kirchturmuhr, die mit unerbittlicher Geschwindigkeit auf 9°°Uhr zurasen. Ich will nicht zu spät kommen, nicht direkt beim ersten Mal, ich werde noch tausend weitere Male nicht pünktlich sein, weil ich aufgehalten worden bin, weil Termine sich verschoben habe oder weil ich die Zeit mit Musik vergessen habe. „Ach herrje, ich halte Sie auf, oder? Sie wollen bestimmt frühstücken und ich rede und rede und rede." Mit einem lächelnd deutet sie auf die Brötchentüte in meinem Arm und mit einem erleichterten Lächeln nicke ich.

„Ihre Worte waren sehr nett, wirklich. Kommen Sie doch gerne zur Chorprobe vorbei. Morgen Abend um 20°°Uhr im Gemeindesaal." Damit nehme ich die Beine in die Hand und beeile mich, um noch halbwegs pünktlich bei Ellie aufzuschlagen. Vor der Tür versuche ich meinen keuchenden Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen, bevor Ellies Anwesenheit meinen Puls und meine Atmung gleich bestimmt wieder vollkommen außer Kontrolle bringen wird, dann drücke ich mit einem breiten Grinsen auf den Klingelknopf.

„Hey!" Schüchtern strahlt Ellie mich an und mir verschlägt es kurz den Atem, als ich realisiere, dass ihr Strahlen ganz und gar mir gehört.

„Hey!" Wir stehen und einfach nur gegenüber und sehen uns in die Augen, in einem romantischen Film wäre das jetzt wahrscheinlich der Zeitpunkt für kitschige Musik, für Weichzeichner und einen Kamerazoom. Stattdessen erklingt aus dem Haus ein klägliches Weinen, das uns augenblicklich ins Hier und Jetzt zurückholt.

„Sorry, Noah... Komm doch einfach rein." Ellie dreht sich um und verschwindet leichtfüßig Richtung Küche. Mit einem Schmunzeln registriere ich das gleichbleibende Chaos im Flur und erinnere mich an mein Entsetzen, als ich dieses Haus zum ersten Mal betreten habe. Nun erkenne ich tatsächlich Struktur im Chaos. Die Umzugskartons, die in jeder Ecke stehen und doch säuberlich beschriftet darauf warten, endlich ausgepackt zu werden, die vielen Jacken und Schuhen, die von der Existenz einer Teenagerin zeugen. Ein achtlos hingeworfenes Tragetuch und ein Korb voller Babywäsche der darauf wartet, dass die rumpelnde Waschmaschine frei wird. „Hast du dich verlaufen?", kommt es aus der Küche und ich reiße mich los, unangenehm ertappt, so als wenn ich in etwas eingedrungen wäre, das mir nicht zusteht. Als ich in die Küche komme hat Ellie beide Kinder auf die Krabbeldecke gelegt und füllt grade Kaffee in zwei Becher.

Music my saviourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt