Ellie
Ich lehne mein Gesicht an die kühle Scheibe des Zugabteils und beobachte die vorbeirauschende Landschaft, nur noch wenige Minuten und ich bin in München. So ganz alleine unterwegs zu sein fühlt sich an, eine schwere, zappelnde Tasche vergessen zu haben, wann war ich das letzte Mal ganz allein? Gut, ganz allein bin ich nicht, da ist die ältere Dame, die mich schon seit einiger Zeit immer wieder lächelnd beobachtet, der kaugummikauende junge Mann, der direkt nach dem Einsteigen seine Kopfhörer aufgesetzt und die Augen geschlossen hat und der Geschäftsmann, der wie ein Verrückter auf seinem Laptop herumhackt.
Johannes war erst sehr überrascht, als ich ihn darum gebeten habe, den Babysitter zu spielen, hat sich aber doch irgendwie geehrt gefühlt. Ich habe ihm eine mehrseitige Liste mit Dingen, die zu beachten sind, dagelassen, sowie sämtliche wichtigen Nummern, meine und Patricks Handynummer, die von Jasmin und Max, Pippas, dem Giftnotruf, dem ärztlichen Notdienst und dem Hotel, in dem wir sind. Er hat zwar mit den Augen gerollt, die Liste dann aber mit einem Grinsen auf den Wohnzimmertisch gelegt.
"In wenigen Minuten erreichen wir München Hauptbahnhof, der Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung links. Wir verabschieden uns von allen Gästen, die hier aussteigen und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt in München." Sofort bin ich hellwach, springe auf und hole meinen Rucksack aus dem Gepäcknetz, die ältere Dame lächelt mir zu. "Machens Urlaub in Minga?", will sie wissen.
"Ja, so ähnlich. Ich treffe mich mit... Jemandem.", murmele ich verlegen.
Sie nickt wissend und zwinkert mir zu. "Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaub."
Kaum, dass der Zug hält, reiße ich die Tür auf und springe leichtfüßig auf den Bahnsteig, das Handy in der Hand, um Patrick zu schreiben, dass ich angekommen bin. Ich habe kaum die ersten Worte geschrieben, da sehe ich im Augenwinkel, wie sich eine Gestalt aus dem Schatten einer Mauer löst und auf mich zukommt. Meine Lippen formen ein tonloses "Oh", während ich ihn ungläubig ansehe.
"Hallo hübsche Frau, suchen sie eine Mitfahrgelegenheit.", raunt er an meinem Ohr, was mir sofort eine Gänsehaut beschert.
"Was machst du hier? Ich dachte... Du hast doch gesagt, dass es zu gefährlich ist mich abzuholen.", murmele ich und trete unbewusst einen Schritt zurück, blicke mich unsicher um. Noch steige ich nicht so ganz durch, was das nun mit ihm ist, wie bekannt er ist und was es eigentlich genau für uns bedeutet, aber dass eine romantische Begrüßung hier am Bahnhof, wo hunderte Menschen um uns herum sind, nicht angebracht ist, das kann ich mir denken.
"Ich dachte, so ist es einfacher. Hier sind so viele Menschen, da fallen wir kaum auf, im Hotel schon eher. So können wir direkt von der Tiefgarage mit dem Aufzug zu meiner Etage und sparen uns den Weg durch das Foyer. Die Angestellten haben zwar alle eine Schweigepflichtsklausel unterschrieben, aber manchmal dringt dann doch etwas nach außen und im Moment... Ich bin halt offiziell noch nicht getrennt." Betreten sieht er mich an und ich schlucke schwer. Es sind so viele Kleinigkeiten, die bedacht werden müssen, es fühlt sich fast an, wie in der Zeit, in der ich Steve betrogen habe. So viele Heimlichkeiten, von denen ich dachte, dass ich so etwas nie wieder machen muss. Ich weiß, dass es dieses Mal eine ganz andere Situation ist, dass wir nichts Verbotenes machen, ein ungutes Gefühl bleibt allerdings. Mit reichlich Unbehagen drücke ich mich in die weichen Ledersitze, meine Augen flackern angesichts der vorbeirauschenden Häuser. Souverän lenkt Patrick sein Auto in die Tiefgarage, öffnet mit der kleinen Chipkarte das Tor und parkt in der hintersten Ecke.
"So, da wären wir.", schwungvoll öffnet Patrick die schwere Zimmertür und stellt meinen Rucksack ab. "Worauf... Worauf hättest du Lust? Wir könnten eine kleine Tour durch München machen oder aber...", mit einem Kopfnicken deutet er in Richtung Zimmer.
Das letzte Mal, dass ich in München war ist viele Jahre her, kurz bevor ich nach England gezogen bin habe ich mit Jasmin und dem Rest der Clique ein feucht fröhliches Wochenende hier verbracht, viele Erinnerungen sind allerdings nicht geblieben, eine Runde Sightseeing klingt daher absolut verlockend, doch mein Blick in sein Gesicht zeigt mir, dass dies die Alternative ist, die ihm am wenigsten behagt. "Lass uns hier bleiben, es soll nachher noch gewittern haben sie vorhin im Wetterbericht gesagt.", erwidere ich daher.
Mit einem breiten Grinsen stellt er meinen Rucksack ab und zieht mich an sich. „Ich habe dich vermisst.", murmelt er und vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge.
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Music my saviour
FanfictionPerfektionist trifft Chaotin, aber was tut man nicht alles um an Hilfe zu kommen. Ein Bestatter im tiefsten Niederbayern, der eigentlich keiner ist und eine junge Frau, die sich nur zu gerne um den Finger wickeln lässt. Ganz nebenbei soll sich ein C...