Teil 32

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Ellie

„Dann komm mal herein." Mit einem schüchternen Lächeln deute ich in das Innere des Hauses. Jeder ein Baby auf dem Arm haltend betreten wir den Flur, schon hier hat sich eine Menge getan, eine Kommode mit Spiegel steht auf der einen Seite, auf der anderen ist die Tür zum Gästebad. Ich husche an Patrick vorbei, lege Noah in den Laufstall, der im Wohnzimmer steht, und nehme ihm dann Ivy ab, um sie neben ihren Bruder zu legen. Mit etwas Stolz drehe ich mich einmal um mich selbst und lasse das Wohnzimmer auch noch einmal auf mich wirken. Schön ist es geworden, das Herzstück ist die große Couch, auf der irgendwann alle Mitglieder des Haushaltes Platz haben werden. Auch Bowie schnüffelt neugierig in allen Ecken und lässt sich dann mit einem leisen Brummen auf dem flauschigen Teppich nieder. Patrick will ihn schon zurückpfeifen, doch ich schüttele den Kopf. „Lass ihn, er braucht doch auch einen Platz hier und anscheinend hat er ihn gefunden. Außer der Vermieter erlaubt keine Haustiere.", sage ich grinsend und stupse ihn leicht in die Seite.

„Da wäre der Vermieter schön blöd. Ich dachte nur... Der neue Teppich.."

In diesem Haus leben zwei Säuglinge die immer noch Probleme damit haben ihren Mageninhalt bei sich zu halten und ein Teenager, der seine Mahlzeiten gerne durch die Wohnung trägt auf der Suche nach dem perfekten Essplatz, glaub mir, die Entscheidung für den hellen Teppich werde ich schnell bereuen, aber ich wollte mir auch mal etwas gönnen.", lache ich und ziehe Patrick weiter in den ersten Stock. „Die Kinderzimmer sind alle fertig.", sage ich und öffne stolz die Tür zum Zimmer der Zwillinge. In liebevoller Kleinarbeit haben Jasmin und ich in den letzten Tagen einen Wald an die Wände gemalt, inklusive Waldbewohner. Ein Eichhörnchen huscht den Baumstamm hinauf, ein Vogel sitzt am Rand seines Nestes und füttert seine Vogelbabys, eine Igelfamilie läuft an kleinen Pilzen vorbei über den Waldboden. Außer zwei Gitterbetten, einem Sessel und einer Wickelkommode gibt es noch nicht viel in diesem Zimmer, in der ersten Zeit werden sie es eh nur zum Schlafen nutzen.

„Wow, wer hat das gemalt?" Mit offenem Mund und strahlenden Augen deutet Patrick auf die bemalte Wand.

„Jasmin und ich. Ich habe die Idee aus dem Internet und habe gedacht, dass es für das Babyzimmer viel schöner wäre als Tapete. Ich weiß, es ist ziemlich kitschig, aber...", fange ich an mich zu verteidigen.

„Und das wolltest du alles aufgeben? Einfach so? Die ganze Arbeit, die ganze Liebe, die ihr hier reingesteckt habt?" Patrick ist völlig fassungslos und ich sehe betreten zu Boden. Seine Hände streicheln über meine, fahren an meinen hoch bis zu meinen Schultern, wo sie liegenbleiben. „Du hast deinen Kindern hier ein wunderschönes Zuhause geschaffen, du hast so viel Liebe hineingesteckt, ich verstehe nicht, wie du das alles hast aufgeben wollen."

„Ich weiß es ja auch nicht mehr, da war einfach so viel Wut auf dich und Enttäuschung, schön doof, oder?" Ich lasse mich gegen ihn sinken und genieße einige Sekunden die Wärme, die sein Körper ausstrahlt. In meinem Kopf erklingt kitschige Musik, von der ich nicht weiß, wo sie auf einmal herkommt und ich kann es nicht verhindern, dass sich ein fettes Grinsen auf meinem Gesicht breit macht. Ich schlinge seine Arme um seine Hüften und ziehe ihn noch näher zu mir, kein Millimeter Platz ist mehr zwischen uns und ich atme tief den Duft ein, den er verströmt. Habe ich jemals etwas so Gutes gerochen? Eigentlich bin ich kein romantischer Mensch, ich würde mich eher als Realistin bezeichnen, ich lasse mich selten von meinen Gefühlen leiten, sondern eher von Fakten. Im Moment merke ich aber, wie mir mein Pragmatismus aus den Händen zu gleiten scheint und Gefühle und Hormone Besitz von meinem Körper, von meinen Gedanken Besitz ergreifen. Wenn es nach mir ginge, könnten wir einfach hier stehen bleiben, ich in seinen Armen, die Realität weit weg schieben und in unserer Blase bleiben, aber ein kleiner Teil meines Körpers schafft es noch klar zu denken und so schiebe ich ihn mit einem bedauernden Seufzen etwas von mir. „Wollen wir weiterschauen?", wispere ich, ich muss mich ganz dringend ablenken, um nicht komplett in meinem Gefühlsstrudel zu versinken, ich darf mich nicht so meinen Gefühlen hingeben warnt ein kleiner Teil meines Kopfes, so viele Was und Wenns und Wiesos. Was wenn ich mich ihm komplett hingebe, wenn ich mich ihm öffne, nicht nur körperlich, sondern wenn ich ihn ganz nah an mich heranlasse und er mich dann fallen lässt? Ich weiß nicht, ob ich so eine Schmach noch einmal verkrafte, ob ich noch einmal die Kraft habe die Scherben meiner Existenz aufzusammeln und wieder zusammenzusetzen. Ich hatte mir geschworen nie wieder jemanden so nah an mich und in mein Leben zu lassen und dann kommt Patrick in mein Leben gestolpert und wirft alles mit einem Fingerschnipsen über den Haufen und das macht mir Angst. Die Stärke meiner Gefühle macht mir Angst, das ist nicht dieses erste Verliebtsein, in dem man wie auf Wolken geht und die ganze Welt umarmen kann, das was ich fühle geht tiefer, es ist, als wenn er mein Innerstes erschüttert und auf links dreht.

Music my saviourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt