Teil 92

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Patrick

Geschockt starre ich auf Ellie, die bleich und klein in dem viel zu großen Bett liegt und immer wieder nach Steve ruft. Ich will zu ihr ans Bett eilen, doch die Pflegerin hält mich sanft zurück. „Lassen wir ihr ein paar Minuten Zeit, es ist nicht ungewöhnlich, dass Patienten nach so einem traumatischen Ereignis an einer retrograden Amnesie leiden. Ich habe die Ärztin bereits angepiepst, sie ist unterwegs und schaut sich Ihre Frau einmal an. Wollen Sie so lange einen Kaffee trinken?"

Ich schüttele den Kopf, immer wieder gleitet mein Blick zu Ellie, wie gerne würde ich zu ihr gehen und ihr sagen, dass sie das Arschloch Steve vergessen soll. Die Ärztin betritt mit ernster Miene den Raum, sie nickt mir nur kurz zu und geht dann zu Ellie. „Kommen Sie, wir lassen die Ärztin in Ruhe mit ihrer Frau sprechen." Sanft werde ich durch die Tür auf den Flur bugsiert. „Ich weiß, das ist alles sehr beängstigend und nicht so, wie man sich das vorstellt, in Filmen wachen die Patienten aus monatelangem Koma aus und sind sofort wieder die Altern. So ist das leider nicht, geben Sie Ihrer Frau einfach etwas Zeit. Ich weiß, dass es schwer ist, zermürbend und langwierig, aber es wird wieder gut werden."

Als die Ärztin das Zimmer verlässt springe ich wie von der Tarantel gestochen auf. „Wie geht es meiner Frau?", will ich wissen.

„Herr Kelly, lassen sie uns etwas setzen." Sitzen? Ich will nicht mehr sitzen, ich habe das Gefühl, dass ich vor lauter Adrenalin gleich an die Decke gehe. Unruhig wippen meine Beine auf und ab und nervös knibbele ich an meinen Fingern. „Herr Kelly, wir sprechen bei Ihrer Frau von einer retrograden Amnesie, das ist zumindest die vorläufige Diagnose. Das ist nach traumatischen Erlebnissen nicht ungewöhnlich und nur ein temporärer Zustand. Wir möchten Ihre Frau trotzdem morgen gerne ins CT schicken um zu überprüfen, ob es nicht doch Läsionen im Gehirn gibt, die vielleicht übersehen wurden und die für die Gedächtnislücken verantwortlich sind. Danach können wir gezielt therapieren. Wichtig ist, dass Ihre Frau jetzt wach ist, die Schmerzen sind laut ihrer Aussage aushaltbar."

Läsionen, CT, temporär, retrograde Amnesie, all diese Begriffe geistern durch meinen Kopf, so vieles was ich nicht richtig verstehe. „Kann ich nochmal zu ihr?" Auch wenn ich Angst vor ihrer Reaktion habe, so ist das doch die Sehnsucht sie zu sehen, ihre Hand zu halten, mit ihr zu sprechen.

„Sie schläft, sie ist noch ziemlich erschöpft. Ich weiß, dass es paradox klingt, aber diese kurze Wachphase war sehr anstrengend für Ihre Frau, gönnen wir ihr etwas Ruhe und Schlaf. Kommen Sie morgen um 13Uhr in mein Büro, dann habe ich alle Ergebnisse und wir besprechen, wie es weitergeht."

Mit geschlossenen Augen nicke ich, das alles lastet tonnenschwer auf meinen Schultern und am liebsten würde ich mich jetzt hier auf dem Stuhl zusammenrollen und weinen. Aber es nützt nichts, ich werde gebraucht, die Kinder brauchen mich und Ellie braucht mich genauso. Mit gesenktem Kopf trotte ich zum Aufenthaltsraum wo ein ziemlich gestresst wirkender Pino und Jasmin mit den Kindern auf mich warten.

„Wie geht es ihr?" Jasmin springt auf und zieht mich in ihre Arme, ich lasse alles willenlos mit mir geschehen.

„Können wir nach Hause.", wispere ich und schließe Noah in die Arme, der sich müde an meine Brust schmiegt. „Danke, dass du auf die Kinder aufgepasst hast Pino." Ich nicke in seine Richtung, greife nach Ivys Hand und schlurfe den Flur entlang Richtung Ausgang. Dass ich Pino verdutzt und irritiert zurück lasse ist mir in dem Moment total egal.

„Soll ich fahren?", bietet Jasmin an, dankbar reiche ich ihr den Schlüssel, schnalle alle Kinder an und sinke erschöpft auf den Beifahrersitz. „Magst du erzählen was los ist?", hakt sie noch einmal nach.

Mögen mag ich nicht, aber sie hat ein Recht zu erfahren, was mit Ellie los ist. „Ellie ist wach und es geht ihr wohl den Umständen entsprechend ganz okay. Allerdings hat sie irgendwelche Probleme mit ihrem Gedächtnis. Sie hat..." Ich muss schlucken und kneife die Augen zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. „Sie hat mich nicht erkannt, sie hat die ganze Zeit nach Steve gefragt."

Music my saviourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt