Patrick
Gedankenverloren schwenke ich das Glas mit dem dunkelroten Wein hin und her, Jacinta hat es mir eben unaufgefordert auf den Tisch gestellt. Es ist merkwürdig wieder hier zu sein, im Dorf meiner Kindheit, auch wenn ich noch gar nicht so viel davon gesehen habe. Ich blicke auf, als Ellie sich mit einem leisen Seufzen setzt, sie sieht müde aus, abgekämpft. Ivy und Noah waren heute Abend vollkommen überdreht und es hat ewig gedauert, sie zum Schlafen zu bringen.
„Endlich Ruhe!", murmelt sie und greift nach meinem Weinglas, leert es in einem Zug. „Ich hoffe, sie lassen uns morgen früh etwas länger schlafen."
Ich räuspere mich und sehe sie entschuldigend an. „Ich treffe mich morgen früh um halb fünf mit dem Team."
„Halb fünf?" Sie sieht mich ungläubig an und so ganz traue ich mir selbst auch noch nicht über den Weg, das ist gar nicht meine Zeit.
„Mmh, irgendwas wegen dem Sonnenaufgang und dem Licht und so, keine Ahnung."
„Vino?" Jacinta bringt ein zweites Glas und eine Flasche Rotwein zum Tisch. Bevor ich etwas sagen kann, hat sie mir das Glas mit der dunkelroten Flüssigkeit gefüllt und schiebt es mir mit einem zahnlosen Grinsen zu. „Sie ist dir übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten.", plappert sie in diesem Spanischen Dialekt, den ich nur mit Mühe verstehe.
„Wer?", frage ich irritiert.
„Deine Tochter! Sie hat das gleiche spitzbübische Grinsen, die gleichen Löckchen und diese Augen. Du warst so ein wunderschöner kleiner Junge!" Sie seufzt und so schnell, dass ich nicht ausweichen kann, hat sie mir in die Wange gekniffen.
Ich räuspere mich und versuche Ellies als Hustenanfall getarnten Lachflash zu ignorieren. „Ivy ist nicht meine Tochter.", beginne ich, doch Jacinta winkt ab.
„Ah, ganz wie deine Mama, sie hat auch nie einen Unterschied zwischen euch Kindern gemacht." Ich merke, wie meine Augen bei der Erwähnung meiner Mutter feucht werden, das Umfeld macht mich viel zu emotional.
„Du kennst mich und meine Familie?", versuche ich von meiner Unzulänglichkeit abzulenken, was Jacinta ein kehliges Lachen entlockt.
„Wer kennt euch nicht? Ihr wart selbst für unser Dorf der bunte Hahn. Warte kurz." Sie tätschelt meine Hand, dann steht sie auf und verschwindet in dem kleinen Hinterzimmer.
„Was hat sie gesagt?", will Ellie wissen. Mit hektischen Worten gebe ich wieder, was Jacinta mir gesagt hat.
Nachdenklich legt Ellie den Kopf schief und betrachtet mich genau. „Ich weiß nicht, aktuell sehe ich wenig Ähnlichkeit zwischen dir und Ivy, aber vielleicht bin ich da auch betriebsblind. Existieren Fotos von dir?"
„Nicht so viele, ich selbst besitze kaum eine Handvoll, vielleicht haben meine Geschwister noch mehr."
Jacinta kommt mit wackelnden Schritten zu uns zurück, in der Hand hält sie eine kleine Schatulle. Schnaufend lässt sie sich auf den freien Stuhl fallen und zieht ein Foto hervor. „Mein Mann Jose und ich hatten damals den kleinen Krämerladen, ihr Kelly Jungs habt dauernd an unseren Fensterscheiben geklebt und die Süßigkeiten angestarrt. Das Geld war immer knapp bei euch, auch schon, als eure Mutter noch gelebt hat. Ihr wart so viele Kinder und die Arbeit eures Vaters hat kaum gereicht, um alle hungrigen Münder zu stopfen. Trotzdem hat deine Familie immer gute Laune gehabt, ihr habt so viel Lebensfreude ausgestrahlt, ihr hattet die Musik im Herzen. Deine Brüder hatten immer nur Unsinn im Kopf, mehr als einmal haben sie Bonbons mitgehen lassen. Ich habe immer ein Auge zugedrückt, aber wenn Jose sie erwischt hat, dann gab es eine Tracht Prügel. Aber auf einmal war die Fröhlichkeit verschwunden, alle haben sich gewundert, was mit deinem lebenslustigen Vater geschehen ist. Erst wollte er nicht mit der Sprache herausrücken, aber dann hat er von der schrecklichen Diagnose berichtet und von dem neuen Baby. Wir waren alle geschockt, das ganze Dorf hat euch unter die Arme gegriffen. Dein Vater ist ein stolzer Mann! Sehr stolz! Und es ist nicht leicht, einem stolzen Mann zu helfen. Deine Mutter war da weicher, sie wollte für euch Kinder nur das Beste und hat jede Hilfe angenommen, die sie bekommen konnte. Nachdem sie gestorben ist, lag große Trauer über deiner Familie, dein Vater war auf einmal ein gebrochener Mann. Jose und ich... Wir haben uns Sorgen um euch Kleinen gemacht, das Baby, deine Schwester und um dich. Ihr wart so klein und habt nicht verstanden, was geschehen ist, die Größeren wussten genau was es bedeutet und die Älteren haben auf einmal alle Verantwortung getragen. Jose und ich... Wir sind nie mit Kindern gesegnet worden und wir haben deinem Vater den Vorschlag gemacht euch jüngeren zu uns zu nehmen, zumindest für eine Zeit, aber Familie ging bei ihm über alles. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen auch nur daran zu denken euch Kinder wegzugeben."
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Music my saviour
FanfictionPerfektionist trifft Chaotin, aber was tut man nicht alles um an Hilfe zu kommen. Ein Bestatter im tiefsten Niederbayern, der eigentlich keiner ist und eine junge Frau, die sich nur zu gerne um den Finger wickeln lässt. Ganz nebenbei soll sich ein C...