Patrick
Ich ziehe Ellie in eine feste Umarmung, mag sie gar nicht wieder loslassen. In meinem Kopf spielt sich ein Szenario ab, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellen. Doch langsam wird mir auf dem Küchenboden kalt und mit leichtem Widerwillen löse ich mich von ihr und helfe ihr hoch. „Komm, wir sollten ins Bett verschwinden, es ist schon spät, du bist bestimmt müde." Schweigend stapfen wir die Treppe nach oben, schweigend putzen wir uns die Zähne, erst als wir nebeneinander im Bett liegen räuspert Ellie sich.
„Warum bist du hier? Ich dachte du bist irgendwo in... Ich weiß auch nicht."
„Berlin, ich war in Berlin. Ich hatte so ein blödes Bauchgefühl, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass was nicht stimmt und... Dann habe ich den Umweg über zuhause gemacht, was vollkommen richtig war."
„Zuhause...", murmelt Ellie schläfrig. „Das klingt schön. Gut, dass du da warst. Ich kenne Steve so nicht, er hat wahrscheinlich zu viel getrunken, ich weiß auch nicht, es tut ihm bestimmt schon leid."
„Nimm den Idioten nicht auch noch in Schutz, er ist ein Arsch und ich hoffe, er lässt sich hier nie wieder blicken." Ich kann ihm nur raten sich nie wieder in Ellies Nähe zu wagen, ansonsten kann ich für nichts garantieren.
"Ich muss dir übrigens etwas beichten." Das schlechte Gewissen ist deutlich in meiner Stimme zu hören und ich winde mich innerlich, bevor ich die nächsten Sätze sage. „Ich kann nicht bleiben, ich habe morgen einen Termin in Wuppertal, eigentlich hätte ich heute Nachmittag dorthin fahren sollen." Ich streiche durch Ellies Haare und küsse sie sanft auf die Stirn.„Mmmh, war mir klar.", brummt sie verschlafen. „Wann musst du los? Kannst du noch bis zum Frühstück bleiben?" Es klingt so viel Hoffnung in ihrer Stimme, ich weiß, was ich ihr zumute, wenn ich so viel weg bin, ich vermisse sie genauso, wie sie mich, aber andersherum vermisse ich auch meine Arbeit und ich weiß, dass ich unausstehlich bin, wenn ich nicht das tun kann, was ich liebe. Im Kopf gehe ich noch einmal den Zeitplan durch, selbst wenn ich sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen ignoriere und meinen zu spät kommen Bonus so weit wie möglich ausreize, wird das nicht möglich sein.
„Nein leider nicht, ich muss spätestens um vier hier starten." Ich vergrabe meinen Kopf in ihrem Haar, atme ihren Duft ein, fühle mich dabei wie in einem kitschigen Kinofilm, aber das ist mir egal. Ich will jedes Detail aufnehmen, damit ich die nächsten Tage davon zehren kann. Wir vermeiden beide den Blick auf den Wecker, wissen wir doch, dass er uns unerbittlich zeigen würde, wie wenig Zeit uns bleibt. „Schlaf jetzt! Ich pass auf dich auf." Ich bemerke, wie Ellies Atemzüge langsamer werden, tiefer, wie ihr Körper all die Anspannung verliert und ich hoffe, dass sie gut schlafen kann. Vorsichtig angele ich nach meinem Handy, um Pino zu schreiben, dass ich morgen wirklich pünktlich bin. Sein Blick heute Nachmittag hat Bände gesprochen, er hat mich für komplett verrückt gehalten, mir gesagt, dass doch auch gut jemand von Ellies Familie vorbeischauen könnte. Natürlich hätte ich Max bitten können, ich hätte auch Ellie bitten können doch weiterhin bei mir zu übernachten, ich hätte ihr ein Hotelzimmer bezahlen können. Wobei, letzteres hätte Ellie nie zugelassen. Ich wollte es allerdings alleine regeln, ich wollte für sie da sein, auch wenn ich momentan on the road bin. Ich werde sie nicht immer retten können, es wird noch so viele Momente geben, in denen ich nicht da sein kann, aber ich werde immer versuchen, es möglich zu machen.
Unruhig windet Ellie sich aus meiner Umarmung und wickelt sich in die Bettdecke, die kühle Nachtluft kriecht sofort über meinen Körper und ich beginne zu frösteln. Mein Handy zeigt mir unerbittlich die Uhrzeit an, einschlafen lohnt sich überhaupt nicht, im Gegenteil, wahrscheinlich wäre ich nach zwei Stunden Schlaf deutlich unausgeglichener als ohne. Darauf bedacht Ellie nicht zu wecken, krabbele ich aus dem Bett und tapse auf nackten Sohlen ins Kinderzimmer. Noah schnarcht leise, er liegt auf dem Bauch, den Po hat er weit in die Höhe gereckt, der Schnuller ist anscheinend irgendwann aus seinem Mund gepurzelt. Ivy scheint grade schlecht zu träumen, unruhig dreht sie sich hin und her, ihre Augenlider flackern und ihr kleines Stofftier ist aus dem Bett gefallen. Ich hebe es auf und lege es neben sie, streiche ihr kurz über die Wange, halte ihre kleinen Händchen fest. Ivy öffnet die Augen blinzelt in das schummerige Licht, dass durch den Spalt der Tür ins Zimmer dringt, dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht. „Papa!", ruft sie und streckt ihre Arme nach mir aus. Ohne groß darüber nachzudenken, nehme ich sie hoch, warm schmiegt sich ihr Körper an meinen. „Papa!", da ist es wieder, das Wort das wie pures Adrenalin durch meinen Körper rauscht, das dafür sorgt, dass sich die feinen Härchen an meinen Armen aufstellen und mir ein glückseliges Lächeln ins Gesicht zaubert. Ich bugsiere uns zu dem Sessel, der neben dem Wickeltisch steht und setze mich vorsichtig. Ivy schnaubt leise, ist immer noch ganz schlaftrunken, irgendwo gefangen zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich summe ein Schlaflied und streiche ihr immer wieder über den Rücken. Ihre Finger spielen in den Haaren in meinem Nacken, eigentlich müssten sie dringend wieder geschnitten werden, aber ich liebe es einfach, wenn Ivy oder ihre Mama im Halbschlaf damit spielen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich solche Gefühle für Kinder entwickeln könnte, die nicht meine eigenen sind. Ich weiß nicht, wie es sich bei einem eigenen Kind anfühlen würde, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es viel anders ist. Diese Liebe und Zuneigung, die durch jede meiner Adern rinnt, mich von Kopf bis Fuß einhüllt und mein Herz in genau solchen Momenten fast zum Platzen bringt. Es fällt mir nicht nur schwer Ellie immer wieder zurückzulassen, auch bei Noah und Ivy schreit alles „Bleib!", ich habe Angst etwas zu verpassen, sie werden so schnell groß, sie lernen so viele Dinge, jedes Mal, wenn ich weg bin und wieder komme, können sie etwas Neues. Ein kleiner, egoistischer Teil, meines Herzens möchte die Drei einfach mitnehmen. Es wäre überhaupt kein Problem, die Hotelzimmer sind groß genug, Pino müsste mehr off Tage einplanen und mehr Zeit zwischen den Terminen einplanen, aber andere Kollegen schaffen es auch. Ich müsste auf nichts verzichten, nicht auf meine Familie und nicht auf meine Arbeit. Der realistische Teil von mir weiß, dass er dieses Opfer nicht verlangen kann. Ich weiß selbst, wie schwer es als Kind für mich war, nicht dort aufzuwachen, wo ich eingeschlafen bin. Keine richtigen Freundschaften knüpfen zu können, da man immer auf dem Sprung war, etwas, das sich durch mein Leben zieht. Ich bin gut darin Kontakte zu knüpfen, ich schaffe es schnell, mich locker mit Menschen zu verbandeln, ich stelle schnell Beziehungen her, aber langfristige Freundschaften, tiefe Bindungen, so etwas gab es bislang nur selten in meinem Leben. Natürlich gibt es Menschen, denen ich mich zugeneigt fühle, denen ich mehr vertraue als anderen, aber langfristige, tiefe, echte Freundschaften suche ich in meinem Werdegang vergeblich. Ich käme niemals auf die Idee Ivy, Noah und Ellie so zu entwurzeln, ich will ihnen die Chance geben normal aufzuwachsen und ich hoffe, dass hier der perfekte Ort ist. Dass wir, sobald Ellies Haus fertig renoviert ist, ein gemeinsames Zuhause haben. Ich bin gespannt, wie es sich anfühlt, wenn ich endlich sesshaft bin, bislang bin ich von Wohnung zu Wohnung gehüpft und bei allem war ich mir sicher, dass es nur eine Übergangslösung und nicht auf Dauer ist. Dieses Mal steht da ein Für immer über der ganzen Sache, etwas, das mich ziemlich kribbelig macht.
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Music my saviour
FanfictionPerfektionist trifft Chaotin, aber was tut man nicht alles um an Hilfe zu kommen. Ein Bestatter im tiefsten Niederbayern, der eigentlich keiner ist und eine junge Frau, die sich nur zu gerne um den Finger wickeln lässt. Ganz nebenbei soll sich ein C...