Teil 60

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Jo

Mit etwas mulmigen Gefühl im Bauch stehe ich vor dem Reihenhaus meiner Schwester. Ihr Freund Patrick hat mich gestern angerufen und verzweifelt um Hilfe gebeten. Zu sagen, dass ich überrascht war, dass er ausgerechnet mich angerufen hat, wäre untertrieben, ich hatte bei unserem letzten Aufeinandertreffen das Gefühl, dass er mich nicht sonderlich mag. Zögernd drücke ich auf die Klingel, straffe die Schultern und atme noch einmal tief durch.

„Hey Jo, gut, dass du kommen konntest." Müde und geschafft lehnt Patrick am Türrahmen und beobachtet, wie ich meine Reisetasche die wenigen Stufen nach oben hieve.

„Klar, gar kein Problem, wenn meine Schwester Hilfe braucht, dann bin ich natürlich zur Stelle. Wie geht es ihr?"

Er seufzt leise und schüttelt den Kopf. „Nicht gut. Sie hat immer noch hohes Fieber, sie ist total berührungsempfindlich, sagt, dass ihre Haut schmerzt. Der Arzt ist besorgt, dass sich eventuell eine Lungenentzündung entwickelt, er kommt momentan zwei Mal am Tag vorbei."

„Scheiße, das klingt übel. Und wie geht es dir? Wenn ich das so sagen darf, du siehst nicht unbedingt aus wie das blühende Leben." Er sieht wirklich beschissen aus, die Haare hängen ihm wirr ins Gesicht, er hat dunkle Ringe unter den Augen und hustet immer wieder.

„Ich bin schon wieder auf dem Weg der Besserung, aber... Ich kann mich so nicht um Ivy und Noah kümmern und Pippa muss in die Schule. Jasmin muss arbeiten und hat selbst eine Familie und... Es ist toll, dass du kommen konntest."

Ich winke ab und sehe mich möglichst unauffällig um, das Wohnzimmer sieht aus, als wenn ein Tornado hindurch gefegt wäre, überall liegen Klamotten und Kinderspielzeug, aus den Augenwinkeln sehe ich das Geschirr, dass sich in der Küche stapelt.

„Sorry, es sieht wirklich nicht gut aus hier, aber..."

„Du brauchst dich nicht entschuldigen, ihr seid krank und jetzt bin ich ja hier. Ich habe eine Woche Urlaub und kann zur Not verlängern." Dass meine Chefin nicht begeistert war, dass ich kurz vor Weihnachten wegen eines familiären Notfalls spontan um eine Woche Urlaub gebeten habe, lasse ich elegant unter den Tisch fallen. Leise schnaufend lässt Patrick sich auf einen Stuhl fallen und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

„Wärst du mir sehr böse, wenn ich dich mit dem Chaos hier alleine lasse? Mein Kreislauf spielt verrückt und ich würde einfach gerne wieder ins Bett. Du kannst dich im Gästezimmer breit machen wie du magst, in der Küche liegt ein Zettel mit den Zeiten wann Ivy und Noah was essen, aber Pippa kommt auch bald aus der Schule, sie hilft dir auch. Noch schlafen die Zwillinge, aber ich denke, sie werden bald aufwachen." Wieder hustet Patrick und sein Körper wird durchgeschüttelt.

„Sieh zu, dass du wieder ins Bett kommst, ich komme schon irgendwie zurecht, so schwer kann das ja nicht sein." Schwerfällig erhebt er sich und nickt mir noch einmal zu, dann bin ich alleine.

Zögerlich sehe ich mich um, ich bin kein guter Hausmann, ich habe keine Ahnung wie ich das hier in den nächsten Tagen wuppen soll, vor allem habe ich Angst, wie ich mit den Zwillingen klarkomme. Bei meinem letzten Besuch waren sie noch klein, ich rechne nach, mittlerweile müssten sie um die neun Monate alt sein. Können Kinder in dem Alter schon laufen? Sprechen? Wie bekomme ich sie beschäftigt? Und was, wenn sie die ganze Zeit weinen? Bevor ich mir noch weiter blöde Gedanken mache, bringe ich schnell meine Reisetasche in das kleine Gästezimmer. Erschrocken zucke ich zusammen, als aus dem Babyphon, das auf dem Esstisch steht, ein energisches Quaken kommt. Ich haste die Treppe in den ersten Stock hinauf und muss kurz überlegen, hinter welcher Tür sich das Kinderzimmer der Zwillinge verbirgt, das immer lauter werdende Weinen weist mir dann recht schnell den Weg. Vorsichtig trete ich an die kleinen Betten und mustere die Zwillinge, das Weinen wird schlagartig leiser und ich werde aus großen Augen angesehen. „Na ihr kleinen Hosenscheißer, heute ist der Onkel da, kennt ihr mich noch?" Vorsichtig hebe ich Noah aus seinem Bett und bemerke sofort den Grund seines Weinens. „Ihr gewährt mir auch keine sanfte Eingewöhnung, oder?", murmele ich, gehe mit ihm zum Wickeltisch und beäuge argwöhnisch die unterschiedlichen Töpfchen, Tuben und Flaschen. „Okay, erst einmal raus aus den nassen Sachen und dann... Windeln... Wo sind wohl die Windeln?" Ich öffne die erste Schublade der Kommode und stelle erleichtert fest, dass ausreichend Windeln und Klamotten vorhanden sind.

Music my saviourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt