Patrick
„Papi, Haupe! Bitte!" Ivy kommt im Schlafanzug zu mir getapst und sieht mich mit großen Augen an.
„Schon wieder? Können wir nicht mal ein anderes..."
„Nein! Haupe!", ihre Stimme klingt energisch und duldet keinen Widerspruch.
„Haben wir noch Zeit?", will ich von Ellie wissen, die in diesem Moment mit Noah auf dem Arm die Treppe herunter kommt. Grinsend schaut sie an sich herunter, sie trägt noch eine Jeans und ein ausgewaschenes T-Shirt, beides ist nass von der Wasserschlacht, die die Kinder in der Badewanne veranstaltet haben. „Gut, anscheinend bedeutet das ja." Ich hebe Ivy zu mir auf das Sofa und nehme Noah in Empfang.
„Papi, Haupe!" Schwungvoll klappt sie das Bilderbuch auf, das ich in den letzten Tagen gefühlt eine Millionen Mal vorgelesen habe. Die Zwillinge kuscheln sich an mich und ergeben schlage ich die erste Seite auf.
„Nachts im Mondschein lag auf einem Blatt ein kleines Ei. Und als an einem schönen, sonnigen Sonntagmorgen die Sonne aufging, hell und warm, schlüpfte aus dem Ei eine kleine?"
„Haupe!", ruft Ivy und hüpft begeistert auf und ab.
„Genau, eine Raupe." Ich blättere um und erzähle die Geschichte weiter. Während Noah langsam ruhiger wird und seine Augen immer wieder zufallen, dreht Ivy total auf.
„Metterling! Papi, ein Metterling!", ruft sie und rennt, mit den Armen flatternd, im Wohnzimmer herum.
„Komm kleiner Mann, wir gehen schon mal ins Bett.", sage ich zu Noah und hebe ihn vorsichtig hoch, um ihn nach oben in sein Zimmer zu bringen. Es dauert nicht lange, bis er im Land der Träume verschwunden ist. Wenn ich Ivy jetzt auch so schnell ins Bett bekomme, dann wäre das ein Traum, ich wüsste die Kinder schon gerne schlafend, wenn wir sie an Patricia übergeben. Auch wenn ich meiner Schwester grundsätzlich zutraue mit zwei Kleinkindern klar zu kommen, so gut kennen sie sich ja doch noch nicht und Pippa liegt immer noch ziemlich flach. "Ivy, Bettzeit!", rufe ich und fange die kleine Krabbe ein, die laut juchzend vor mir davon läuft.
"Papi nein, nis slafen!", ruft sie und strampelt hektisch mit Armen und Beinen.
"Lass sie doch Paddy, wir schauen uns einfach noch ein Bilderbuch an und dann bringe ich sie gleich ins Bett.", erklingt Patricias sanfte Stimme. Zögernd sehe ich Ellie an, diese zuckt mit den Schultern.
"Wir sollten wirklich langsam los, nicht dass unser Tisch gleich weg ist.", sagt sie und schlüpft bereits in ihre Schuhe, damit ist es wohl entschieden.
"Tüß Mami, tüß Papi!", ruft Ivy und winkt uns hektisch zu, anscheinend können wir ihr gar nicht schnell genug verschwinden, ich fühle mich nahezu rausgeworfen.Der Spanier, den ich für uns ausgesucht habe, ist heute gut besucht, zum Glück habe ich bereits am Telefon um einen Platz in einer ruhigen Ecke gebeten, heute möchte ich keine aufdringlichen Fans um uns haben, die nach einem Foto fragen oder kichernd, wie ein weißer Hai Kreise um unseren Tisch ziehen. Schweigend stecken wir beide die Nase in die Karte und mir läuft direkt das Wasser im Mund zusammen, alles klingt lecker und ich bin ziemlich ratlos, was ich bestellen soll. Auch Ellie schaut etwas verzweifelt drein, als der Kellner kommt, um unsere Bestellung aufzunehmen sind wir noch keinen Schritt weiter. Ich erkläre unser Dilemma und hoffe darauf, dass er eine Idee hat. "Dann empfehle ich die große Tapasplatte, da ist von allem etwas dabei und dazu den Hauswein?"
Fragend sehe ich Ellie an, diese nickt und erleichtert klappe ich die Karte zu. Immer wieder linse ich unauffällig auf mein Handy, ob Patricia schon Hiobsbotschaften von daheim geschickt hat.
"Wann bist du eigentlich zu Glucke mutiert?", kichert Ellie und legt ihre Hand auffordernd auf den Tisch. Ich ergreife sie und streiche vorsichtig über die weiche Haut.
"Keine Ahnung, ich erinnere mich noch, wie ich es am Anfang nicht verstehen konnte, dass du die Kinder nicht einfach bei Max und mir lässt und dich dauernd gemeldet hast, ob auch alles gut ist. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was du denkst, was schief gehen kann. Mittlerweile weiß ich, dass es eine Menge ist."
Ellie kichert leise und schüttelt den Kopf. "Quatsch, im schlimmsten Fall turnt Ivy einfach bis in die Puppen durch die Wohnung und ist morgen unausgeschlafen, ich vertrau deiner Schwester da schon, sie hat doch selbst zwei Kinder oder?"
"Mmh, zwei Jungs, aber die sind mittlerweile schon fast erwachsen."
"So etwas verlernt man nicht, schließlich war Pippa auch schon ein Teenager, als Iv und Noah auf die Welt gekommen sind." Nachdenklich blickt Ellie in die Flammen der Kerze. "Bereust du es manchmal?", fragt sie leise.
"Was soll ich bereuen?", ich runzele die Stirn und frage mich, was in Ellies Kopf nun wieder los ist, was sie jetzt zerdenkt.
"Dass du keine eigenen Kinder hast." Sie weicht meinem Blick aus.
"Ach Ellie..." Ich seufze, das Thema hat lange zwischen uns geruht und fast hatte ich geglaubt, dass Ellie es vergessen hat, es hätte mir allerdings klar sein müssen, dass es immer wieder aufploppt. "Nein, ich bereue es nicht, keine Sekunde habe ich es bereut, warum sollte ich auch? Und jetzt schieben wir diesen blöden Gedanken bitte einfach zur Seite und genießen den Abend, okay?" Ich hebe mein Glas mit dem dunkelroten Wein und klirrend trifft es auf Ellies Glas. "Weißt du noch, als wir das erste Mal Wein miteinander getrunken haben?"
"Ohja, es war ein schlimmer Tag mit Pippa, wir haben uns so gestritten, sie hat mich so zur Weißglut gebracht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das schon hundert Jahre her sein muss, dabei sind es noch nicht einmal zwei. Und jetzt sitzt da eine junge Frau zuhause, die auf ihr eigenes Baby aufpasst. Und dann fühle ich mich steinalt, früher habe ich gedacht, ich werde frühestens mit 60 Oma, nicht mit Anfang 40." Sie starrt in ihr Weinglas, dann schleicht sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Aber weißt du was, ich finde es auch ziemlich perfekt." Unser Essen wird gebracht und kurz verfallen wir in gefräßige Stille.
"Die Garnelen sind richtig gut, genauso wie die in Spanien.", sage ich mit vollem und und piekse meine Gabel in eine weitere Garnele. "Hättest du Lust, noch einmal mit mir in Spanien Urlaub zu machen? Aber dieses Mal richtigen Strandurlaub? Ich denke etwas Erholung haben wir uns alle verdient und wir waren immer noch nicht auf Hochzeitsreise. Wir könnten im Mai fliegen, bevor meine Open Airs losgehen."
"Klingt fantastisch, bevor der ganze Wahnsinn losgeht, ich muss gestehen, ich habe etwas Respekt vor dem Ganzen. Ivy wird dich vermissen."
Ich seufze, alleine der Gedanke, so lange von meiner Familie getrennt zu sein fällt mir schwer, daher habe ich Termine so gelegt, dass ich zwischen den einzelnen Auftritten zumindest immer kurze Phasen habe, in denen ich nach Hause kommen kann. Ob das wirklich eine gute Idee ist, werden wir sehen, oder ob ich beim nächsten Mal doch einen langen Block plane, um die Kinder nicht zu sehr durcheinander zu bringen. Alles Dinge, die mir früher hätten egal sein können und die nun mit bedacht werden müssen.
"Wer weiß, was dieses Mal dazwischen kommt.", sage ich scherzhaft, doch Ellie verzieht nur gequält die Miene.
"Ich befürchte, dann regelt Pino endgültig unsere Scheidung, er wartet doch nur auf die nächste schreckliche Nachricht, die irgendwas in Verzug bringt. Ich habe seinen Blick gesehen, als du ihm gesagt hast, dass ich nun wirklich wieder arbeiten gehen werde. Er hat Angst, dass ich zur Karrierefrau mutiere und dich als Hausmann zu Hause an den Herd fessele.""Das war ein wunderschöner Abend, das sollte wir öfter machen, uns kleine Auszeiten gönnen.", sage ich. Ellie und ich sitzen noch im Auto vor dem Haus und genießen die letzten Momente der Ruhe.
"Ja, vielleicht sollten wir uns wirklich mal auf die Suche nach einem Babysitter machen, ich kann ja mal in der KiTa nachfragen, ob die jemand vertrauensvolles kennen."
Als wir das Haus betreten stocke ich, aus dem Wohnzimmer erklingt Ivy Stimme. Ellie legt grinsend ihren Finger an die Lippen und wir schleichen uns zur Tür. Ivy sitzt neben Bowies Hundekörbchen, ein Buch auf dem Schoß, Bowie hat seinen Kopf auf dem Rand des Körbchens abgelegt.
"Haupe hat Hunger! Frisst Tuchen, mmmmh lecker! Frisst Täse, brrr mag Ivy nicht, dann Durke und Lollie. Haupe frisst und frisst und dann hat Haupe aua!" Ivy verzieht das Gesicht und streicht sich über den Bauch. "Haupe is müde, baut sich ein Haus, ein... Ein..." Sie überlegt. "Ein Croissant, dann släft Haupe!" Sie schnarcht leise.
"Gott ist das süß!", wispert Ellie, Bowie hat uns anscheinend gehört, denn er spitzt die Ohren. Ivy lässt sich davon nicht ablenken, mit wichtiger Miene blättert sie um. "Da tuck, Haupe ist ein Mettaling! Sooooo sön!" Ich betrete das Wohnzimmer, als Ivy mich erblickt springt sie auf und rennt zu mir. "Papi!", ruft sie, doch dann stockt sie, legt ihren Finger an den Mund. "Sssssss! Leise! Tante Tischa slaft!"
Mein Blick fällt auf das Sofa, auf dem meine Schwester liegt, ihre Brille hängt schief auf der Nase, ein Bilderbuch liegt auf ihrem Bauch und der Arm baumelt herunter. Ich muss ein Lachen verkneifen, so viel dann zum Thema sie sei die perfekte Babysitterin, wer hier wohl wen in den Schlaf begleitet hat.
"Komm Ivy, wir gehen ins Bett.", sage ich betont leise und trage sie zu unserem Schlafzimmer. "Ist es okay?", vergewissere ich mich bei Ellie, wir haben uns die heutige Nacht wahrscheinlich beide anders vorgestellt. Als ich das Licht anknipse zucke ich kurz zurück, auf meinem Kopfkissen liegt der Stoffdinosaurier von Noah, zwei klitzekleine Füße ragen unter meiner Bettdecke hervor. "Ich glaube, wir haben bereits einen Gast.", flüstere ich und lege Ivy in der Mitte ab. Als ich die Bettdecke vorsichtig zur Seite schlage kommt Noah zum Vorschein, der dort eingekuschelt selig schläft. Sanft schiebe ich ihn etwas in Richtung Mitte, dann schlüpfe ich aus Jeans und Hemd und lege mich dazu.
"So ist das Leben mit Kindern.", murmelt Ellie. "Man weiß nie, was passiert."
Ich drehe mich auf die Seite und greife über die Kinder hinweg nach Ellies Hand. "Weißt du eigentlich , wie sehr ich dich liebe?"
"Ich habe da eine Ahnung.", murmelt sie, ich höre, wie müde sie ist, mir geht es ähnlich, eine bleierne Müdigkeit ergreift mich und ich habe Schwierigkeiten die Augen offen zu halten. Im Halbschlaf streichele ich Noah und Ivy über die Köpfe und es ist reines Glück, das mich durchströmt. Alles ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, es ist nicht das Leben, das ich in meinen Träumen gesehen habe, aber es ist so viel besser als das, so viel perfekter. Gegen nichts auf dieser Welt würde ich das hier eintauschen, für nichts aufs Spiel setzen. Ich fühle mich angekommen, zuhause, ich habe endlich ein Zuhause, etwas, dass ich vor gut zwei Jahren, als es mich hierher verschlagen hat, nicht gedacht hätte. Manchmal schmiedet das Leben andere Pläne und nicht immer ist das schlecht, manchmal lohnt es sich loszulassen und sich darauf einzulassen, was das Leben für einen bereithält. Mit diesen Gedanken und einem Lächeln auf den Lippen schlafe ich ein.************************************
Tja, das ist es nun, das Ende. Etwas schneller als gedacht, mein innerer Monk hätte gerne die 100 voll bekommen, aber das hier ist ein stimmiger Zeitpunkt für mich. Nächste Woche beginnt ein neuer, sehr wichtiger Abschnitt in meinem Leben, Zeit loszulassen, Zeit darauf zu vertrauen, dass das Leben schon weiß wohin es will. Wir lesen uns wieder, versprochen!
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Music my saviour
FanfictionPerfektionist trifft Chaotin, aber was tut man nicht alles um an Hilfe zu kommen. Ein Bestatter im tiefsten Niederbayern, der eigentlich keiner ist und eine junge Frau, die sich nur zu gerne um den Finger wickeln lässt. Ganz nebenbei soll sich ein C...