Kapitel 5

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POV Taylor

Am nächsten Morgen hänge ich mich gleich an Lea und ihre Freunde dran, um nicht allein zu sein. Im Unterricht arbeite ich konzentriert mit und werde dafür von Mila mit einem genervten Blick bestraft. Wieso muss sie eigentlich in jeder Stunde neben mir sitzen? Ich bereue es wirklich, am ersten Tag nicht besser darauf geachtet zu haben. In der Mittagspause setze ich mich extra nicht zu Lea und ihren Freundinnen, weil ich ihnen erzählt habe, ich könnte mittwochs nicht zum Tanzen. Ich hatte das Gefühl, dass Lea meine Vorliebe fürs Boxen nicht wirklich verstehen würde. Also sitze ich in einer Ecke des Schulhofes, in der mich keiner sieht und höre Musik. Die Pause ist glücklicherweise nicht so lang und ich kann in die Turnhalle gehen. In der Umkleide fürs Boxen erkenne ich erstmal niemanden aus meiner Klasse, was ganz gut ist. Es sind mehr Mädchen als ich erwartet hatte, da es ein gemischtes Team ist. Bisher war ich nur in einem reinen Mädchenteam, sodass ich etwas nervös bin. In der Halle machen sich schon einige warm und ich schnappe mir ein Springseil. „Hey, bist du neu? Ich habe dich hier noch nie gesehen", spricht mich ein Junge an, der groß aber relativ schlank ist und dessen Haare ihm ins Gesicht hängen. Ich nicke und er lächelt nett: „Cool, ich bin Nick." Ich stelle mich vor und wir plaudern ein wenig, während wir uns warm machen. Nick ist wie ich siebzehn und wir merken schnell, dass wir eine Vorliebe für schnulzige Romanzen teilen. Er ist super lieb und nimmt mir damit meine Nervosität. Nach dem Aufwärmen kommen alle in der Mitte der Halle zusammen und die Trainerin hält eine kleine Ansprache. „Wir haben auch ein neues Gesicht", sagt sie am Ende und zeigt auf mich. „Bei uns ist es Tradition, dass die neuen vom Kapitän eine kleine Einführung bekommen. So können wir auch besser einschätzen, auf welchem Level du bist." Ich nicke nur und mustere die anderen. Mein Blick bleibt an einem großen, breit gebauten Typen hängen, bei dem ich mir gut vorstellen könnte, dass er der Kapitän ist. „Auf geht's", sagt die Trainerin und alle wissen wohl, was sie tun müssen. Neben mir ertönt ein genervtes Stöhnen, das ich in den letzten Tagen öfter gehört habe. Mila steht vor mir und mustert mich mit der gleichen Abwertung im Blick wie immer. „Los, zieh dir Handschuhe an", grummelt sie und erst jetzt kapiere ich, dass sie der Kapitän sein muss. Wieso muss ausgerechnet dieses Mädchen auch boxen? Ich dachte ich könnte hier einen Ort finden, an dem ich mich wohlfühlen kann. Ich seufze und ziehe meine Bandagen fest. Mila zieht sich zwei Boxpratzen an und ich schließe meine Handschuhe. Unmotiviert hält sie sie hoch und meint: „Box abwechselnd gegen." Ich fixiere ihre Augen und sehe in ihrem Blick sofort, dass sie mich unterschätzt. Innerhalb von Sekunden fälle ich die Entscheidung, dass ich diesen Vorteil ausnutzen werde. Also stelle ich mich dumm und frage bei jedem Schlag nach, was ich anders machen kann. Ich schlage nicht fest und ungenau, was ihre Erwartungen stützt. Nach einigen Minuten meint sie: „Das reicht. Mach ein paar Liegestütze, ich bin gleich wieder da." Bevor sie gehen kann, stelle ich mich vor sie und frage: „Kannst du mir den Ring zeigen?" Sie mustert mich und scheint kurz zu überlegen, dann zuckt sie die Achseln und zeigt mir, ihr zu folgen. Der Ring ist an einem Ende der Halle aufgebaut und etwas größer als ich gedacht hätte. Mila steigt vor mir nach oben und ich kann nicht anders als sie von hinten zu mustern. Ihre Beine sind von der Sonne gebräunt und man sieht, dass sie schon lange Sport treibt. Das Sportshirt und die Shorts stehen ihr, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Als wir beide im Ring stehen, frage ich: „Und wie sieht das dann aus, wenn man gegeneinander boxt?" Sichtlich genervt stellt Mila sich vor mir auf und zeigt, wie sie ihre Deckung hochnimmt. Ich tue so, als würde ich ihr nachmachen und boxe ein paar Mal leicht gegen ihre Arme. Sie kann die Schläge leicht abwehren, sodass sie ihre Deckung viel zu locker nimmt. Mit einem schnellen, gezielten Schlag streife ich ihren Kiefer so, dass es wehtut, aber kein Schaden entsteht. Sofort weicht sie einen Schritt zurück und reibt sich die Stelle, die ich getroffen habe. Sie runzelt die Stirn und mustert mich prüfend. „Oh sorry, das wollte ich nicht", stelle ich mich weiter dumm und nach einigen Sekunden, scheint sie es mir abzukaufen. Sie schaut durch die Halle und meint dann: „Geh zu Nick, er weiß, was zu tun ist." Ich steige aus dem Ring und als ich sehe, dass sie sich nochmal die Wange reibt, muss ich grinsen. So leicht lasse ich mich nicht kleinmachen.

Mit Nick zu trainieren, macht Spaß, obwohl er mir klar unterlegen ist. Er boxt allerdings auch erst seit einem Jahr, während es bei mir schon sieben sind. Nach dem Training bin ich nicht wirklich ausgepowert, aber es hat trotzdem gut getan. Bevor ich gehen kann, kommt die Trainerin zu mir und meint: „Kannst du die nächsten Male etwas früher kommen? Du scheinst noch nicht so weit zu sein wie die anderen, deswegen wird Mila dir ein paar extra Stunden geben." Erstaunt weiten sich meine Augen, wie bitte? Jetzt muss ich ernsthaft noch mehr Zeit mit diesem Mädchen verbringen? Als die Trainerin weg ist, läuft Mila an mir vorbei und wirft mir einen genervten Blick zu. „Glaub nicht, dass ich Bock drauf habe", sage ich, worauf sie nur seufzend abzieht. Was habe ich ihr eigentlich getan?

POV Mila

Auf dem Weg zum Kindergarten zünde ich mir eine Zigarette an. Ich bin schon den ganzen Tag genervt, weil mein Vater heute Morgen einfach so gegangen ist, ohne zu sagen wohin. Zu allem Überfluss muss mir diese Barbie jetzt auch noch den einzigen Platz weg nehmen, an dem ich meine Ruhe hatte. Es hat mich überrascht sie in der Halle zu sehen, doch ihr Talent hält sich auch wirklich in Grenzen. Ich habe echt keinen Bock darauf, dass sie mich jetzt vorm Training immer mit ihren blöden Fragen nervt. Meine Wange tut immer noch etwas weh, weil ihr ungeschickter Schlag echt fest war. Man muss ihr lassen, dass sie wirklich eine perfekte Figur im Sportoutfit macht, das Tanzen scheint sich bezahlt zu machen. Dann habe ich bei den Trainingseinheiten vielleicht zumindest was fürs Auge. Ich ziehe an der Zigarette und schüttele über mich selbst den Kopf, ganz sicher finde ich dieses Mädchen nicht attraktiv. Außerdem will ich nicht so eklig sein wie die ganzen Typen, die abends an der Bar sitzen. Selbst wenn sie nervig ist, vermutlich sollte ich meine schlechte Laune nicht an ihr auslassen. „Mimi", reißt die helle Stimme meines Bruders mich aus meinen Gedanken. Ich nehme seine Hand und murmele: „Du sollst mich nicht so nennen." Nachdem ich der Erzieherin kurz dankbar zugenickt habe, gehen wir nach Hause. Noah erzählt mir von seinem Tag und meine Laune wird etwas besser. Ich höre meinen Vater erst mitten in der Nacht heimkommen und bin froh, als er sich direkt hinlegt.

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