Kapitel 53

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POV Taylor

„Und wenn ich ihr auf Instagram schreibe?", fragt Sam, doch schüttele sofort den Kopf.

„Sie ist privat und würde dich nie annehmen. Sie hat mich blockiert und das hat seinen Grund", meine ich und seufze resigniert. Es gibt keine Möglichkeit für mich, Mila zu erreichen. Ich habe zwar wieder ein Handy, aber ihre Nummer nicht mehr und bei Instagram hat sie mich vor einigen Tagen blockiert. Ich kann zu gut verstehen, dass sie nichts mehr von mir wissen will. Ich habe aus dem Nichts einen Typen geküsst und bin dann weg, ohne ein Wort zu sagen. Sie wird wohl kaum denken, dass es einen unschuldigen Grund für mein Verhalten gibt. Mila hat immer sehr gut von mir gedacht, aber spätestens jetzt wird das anders sein. Meine Eltern haben genau das erreicht, was sie erreichen wollten. Ich bin wieder in einer christlichen Umgebung und habe keine Möglichkeit zurück zu gehen. Mittlerweile würde Mila mir sicherlich auch nicht mehr zuhören. Ich vermisse sie so sehr und es wird Tag für Tag schlimmer. Ihr Duft fehlt mir und die Art, wie sie mich zum Lachen bringt. Ich vermisse es, durch ihre Haare zu streichen und sie zu schubsen, wenn sie mich ärgert. Mir fehlt alles an ihr, weil ich immer noch mit jeder Faser meines Körpers in sie verliebt bin. Vor einigen Tagen war ich in unserer Kirche und hab zu Gott gebetet. Ich habe ihm meine Sünden gebeichtet und ihn um Vergebung gebeten. Es tat gut, meine Gedanken auszusprechen und seitdem geht es mir etwas besser. Meine Eltern haben nicht ein einziges Mal versucht, mich zu verstehen. Das Thema Mila und alles drum herum ist in unserem Haus tabu. Das alte Haus mit all seinem Charme und den großen Fenstern, in die morgens das Licht einfällt und die Dielen in ein warmes Gold tränkt, fühlt sich nicht mehr wie ein Zuhause an. Die konservative Einrichtung erdrückt mich förmlich und ich fühle mich wie unter Dauerbeobachtung. Hin und wieder betrachtet meine Mutter mich mit einem ganz bestimmten Blick, den ich nicht einordnen kann. Ich habe ein Mal mit Tante Jean telefoniert und ihr die Situation geschildert. Sie hatte Verständnis für mich und hat mir versprochen, mit meiner Mutter zu sprechen. Keine Ahnung, ob das bereits geschehen ist, jedenfalls hat sich am Verhalten meiner Eltern nichts geändert. Ich hatte zwar immer Geheimnisse vor ihnen, doch trotzdem hatten wir ein gutes Verhältnis. Jetzt fühlt es sich an, als würden sie in einer völlig anderen Welt leben und niemals in meine Welt kommen könnten. „Zumindest kannst du weiterhin boxen", muntert Sam mich auf und ich zwinge mir ein Lächeln auf. Das ist tatsächlich einer der wenigen Lichtblicke. Mein altes Boxteam ist glücklich, mich wieder zu haben und wir hatten sogar schon ein paar Kämpfe. Das Tanzteam hat dieses Jahr keinen Wettbewerb, was mir ganz recht ist. So muss ich nie zum Training gehen, kann meine Eltern aber im Glauben lassen, ich wäre da, während ich in Wahrheit Boxen gehe. Nur beim Sport kann ich meinen Frust loswerden und meinen Emotionen freien Lauf lassen. Ich habe jeden einzelnen Kampf gewonnen, seit ich wieder hier bin. Das Training mit Mila macht sich bezahlt und es freut mich, gleichzeitig schmerzt es. „Schluss mit meinen Sorgen. Wie finden wir einen Typen für dich?", wechsele ich das Thema und Sam muss sofort grinsen. Sie erzählt mir von einer Party in einem Nachbarort und wir schmieden Pläne, wie wir dort einen Jungen für sie finden. Vielleicht tut es mir auch gut, mal abzuschalten und etwas zu trinken. Alles ist besser als zuhause zu sitzen und an die eine Person zu denken, die ich nie mehr küssen werde.

POV Mila

„Warum kommt Taylor nicht mit?", fragt Noah traurig und schiebt seine Unterlippe schmollend nach vorne. Wir stehen vorm Kino und ich besorge uns zwei Karten für den neuesten Disneyfilm. Ich seufze, mir war klar, dass er irgendwann Fragen stellen würde. Mein Vater hatte gestern wieder einen Rückfall und liegt gerade zuhause betrunken im Bett. Zumindest hat er im Suff nichts gravierend Schlimmes gemacht. Trotzdem musste ich Noah aus dem Haus schaffen und mir ist auf die Schnelle nichts besseres als Kino eingefallen. Draußen regnet es in Strömen, der Herbst ist vollkommen angekommen. „Sie musste wieder zurück in ihre alte Heimat", erkläre ich Noah und er sieht sofort traurig aus. „Ist sie jetzt nicht mehr deine Freundin?", fragt er und Tränen steigen in seine Augen. Vor dem Kinosaal bleibe ich stehen und knie mich vor meinen kleinen Bruder. Er trägt noch immer Taylors Kette und ich will ihm nicht seine Hoffnung nehmen. Er soll in Taylor weiterhin den Engel sehen, der ihm dieses Schmuckstück geschenkt hat, als Zeichen ihres Vertrauens. „Sie ist immer noch deine Freundin. Sie hat mir gesagt, dass sie dich vermisst und es nicht erwarten kann, dich irgendwann wieder zu sehen." Ich bin erleichtert als meine Lüge funktioniert und Noahs Augen wieder zu strahlen beginnen. „Kannst du ihr sagen, dass ich sie lieb habe?", fragt er und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen bei seinen Worten. Die Tatsache, dass ich ihr gar nichts mehr sagen kann, tut mir unendlich weh. Ich nicke nur und bin froh, dass Noah keine weiteren Fragen stellt. Den ganzen Film über muss ich daran denken, wie es war, hier mit Taylor zu sitzen. In der Nacht, nachdem ich erfahren habe, dass sie weggezogen ist, habe ich in ihr T-Shirt geweint. Der Duft, der in diesem Stoff hängt, hat mich innerlich zerrissen und ich habe nur noch geschluchzt. Seitdem bin ich jeden Tag in der Turnhalle und boxe bis ich nicht mehr kann. Wenn ich trainiere, höre ich auf zu denken und dann tut es nicht mehr weh. Am Freitag stand Lea urplötzlich auf dem Schulflur vor mir und stotterte sich einen ab. Manchmal frage ich mich, wie ich mich jemals mit ihr verstehen konnte. Sie kannte mich mal sehr gut, doch mittlerweile halte ich sie zum Glück komplett aus meinem Leben fern. Sie entschuldigte sich für ihr provokantes Verhalten, doch ich verdrehte nur die Augen und ließ sie stehen. Es ist mir egal, was sie macht, sie soll mich einfach nur in Ruhe lassen. Ich habe genug Stress zuhause und will mich nicht in der Schule noch mit irgendwem herumschlagen. Anna will Lars im Frühjahr wieder besuchen fahren und wünscht sich, dass ich mitkomme. Sicherlich würde Jean mich und meinen Bruder sofort aufnehmen, aber das bringe ich nicht über mich. Ich will nichts mehr mit Taylor zu tun haben und somit auch nicht mit ihrer Familie. Als Noah und ich zuhause ankommen, schläft mein Vater zum Glück tief und fest und ich kann meinen Bruder in Ruhe ins Bett bringen. Er erzählt mir, wie sehr er sich auf den Schulausflug in zwei Wochen freut und schläft erst nach einer Geschichte schließlich ein. Es wird ganz angenehm sein, wenn Noah mal ein paar Tage weg ist. In meinem Zimmer lasse ich mich auf mein Bett sinken und betrachte das Bild von mir und meiner Mutter. Es ist einfach nur bitter, dass ich immer noch an ihr hänge. Genervt lege ich es mit der Vorderseite auf den Nachttisch und greife nach dem T-Shirt auf meinem Kissen. Ich will es wegräumen, doch letztendlich rieche ich doch daran und tue mir selbst damit weh. Taylors Duft hängt immer noch darin und erinnert mich an ihre weichen Lippen an meinem Hals. Er erinnert mich an ihre Haare, die meine Wangen kitzeln und ihr helles Lachen, das mich jede Nacht in meinen Träumen verfolgt. Ich seufze, schüttele den Kopf und schmeiße das Kleidungsstück im hohen Bogen durch mein Zimmer.

Es wird Zeit, nach vorne zu schauen.

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