Es ist mittlerweile neun und Noah wird langsam, aber sicher quengelig. Jean hat für uns Nudeln gekocht und wir haben ein paar Runden Uno gespielt. Es war ein schöner Abend und ich merke, dass mir dieses miteinander fehlt. Zuhause bei meinen Eltern fühle ich mich nicht mehr so wohl und meist sind unsere Gespräche von dieser Schwere begleitet. Hier bei meiner Tante ist alles einfach und schön, ich muss mich nicht verstellen und kann einfach ich selbst sein. Nachdem ich Noah ins Bett gebracht habe, laufe ich wieder runter und biete meiner Tante an, ihr abtrocknen zu helfen. Sie lächelt und meint: „Dann hol noch ein Handtuch von hinten aus der Kammer."
Ich laufe wieder hinaus in den Flur und öffne die Schranktür als ein Schatten mich zusammenzucken lässt. Ich habe das Licht nicht angemacht, sodass ich mich halb zu Tode erschrecke. Schnell weiche ich einen Schritt zurück und drücke den Lichtschalter. Bevor ich sie sehe, höre ich bereits, wie sie ihren Rucksack in die Ecke schmeißt und ihre Jacke auszieht. Scheinbar hat es draußen geregnet, denn sie ist von Kopf bis Fuß nass. Erst als sie sich durch die Haare streicht, schaut sie auf und erstarrt in der Bewegung. Mein Herz rast bereits und meine Hände sind ganz schwitzig. Meine Tante hat mir nicht gesagt, dass sie noch kommen würde. In ihren Augen sehe ich, dass sie mindestens genauso überrascht ist wie ich selbst. Ich muss an ihre Operation denken und mustere sie prüfend, um zu sehen, ob es ihr gut geht. Mein Mund ist ganz trocken, ihre Haare hängen ihr nass ins Gesicht und selbst ihr Shirt ist durchnässt. Es macht mir die ganze Sache nicht leichter, dass man unter dem Stoff ihre Bauchmuskeln erahnen kann. Ich habe mir oft in den letzten Wochen eingeredet, dass sie nichts Besonderes sei. Doch in diesem Moment kann ich nicht einmal meinen Blick von ihr abwenden. Sie ist meine persönliche Perfektion mit ihren ausgeblichenen Vans und der Hose, die einen Tick zu schick für sie wirkt. Sicher hat sie sie nur angezogen, um einen guten Eindruck zu machen, weil die Prüfung wichtig war. Mila bemerkt meinen besorgten Blick und wirkt kurz verwirrt. Da erinnere ich mich daran, was ich den anderen gesagt habe und räuspere mich. „Jean hat es mir erzählt", rede ich mich heraus und die Lüge funktioniert zum Glück. Als ich rede, verändert sich in Milas Blick etwas und sie mustert mich ebenfalls. „Geht es dir gut?", frage ich, weil ich es einfach wissen muss. Die ganzen letzten Wochen habe ich mir solche Sorgen um sie gemacht. „Jap", ist das Einzige, was sie sagt und doch erzeugt es eine Gänsehaut auf meiner Haut. Ich habe ihre Stimme so sehr vermisst. Im Krankenhaus hatte ich Angst, ich könnte sie nie wieder hören. Sie bekommt ebenfalls Gänsehaut, doch das liegt mehr an ihren nassen Klamotten. Erst jetzt kapiere ich, dass ich ihr voll den Weg versperre und trete schnell beiseite. „Sorry", murmele ich und schaue auf den Boden. Als sie an mir vorbeigeht, brauche ich meine ganze Selbstbeherrschung, um sie nicht an mich zu ziehen. Ihr Duft ist so vertraut und weckt in mir eine Sehnsucht, die ich lange unterdrückt habe. Verdammt, ich muss mich zusammenreißen, sonst verletze ich sie nur wieder.
POV Mila
Meine Brust hebt und senkt sich schwer, als ich im Bad stehe und mich im Spiegel betrachte. Sie ist tatsächlich hier und stand mir eben gegenüber. Sie weiß nicht, dass ich von Leas miesem Spiel weiß und das werde ich ihr auch nicht sofort sagen. Erst muss ich wissen, warum sie hier ist. Noah schläft bereits und vielleicht sollte ich das auch, aber erst muss ich was essen. Also laufe ich herunter in die Küche, wo ich auf Jean treffe, die noch Hausarbeit verrichtet. Sie sieht mich, lächelt lieb und erkennt dann wohl meinen Blick. Ein Teil von mir ist sauer auf sie, ein anderer schätzt das, was sie tut. „Sie wusste nicht, dass du hier bist. Rede mit ihr, dann wird vielleicht alles klarer", sagt sie und es erklärt zumindest, warum Taylor hier ist. Sie hatte wohl einfach nur vor, ihre Tante zu besuchen. Nachdenklich schnappe ich mir eine Dose Cola und trinke einen Schluck. „Sie ist oben und wird sicherlich nicht böse sein, wenn du sie störst", sagt Jean mit Nachdruck und ich verdrehe seufzend meine Augen. Sie könnte wirklich gut die Mutter sein, die ich so lange nicht hatte. Beim Gedanken an meine leibliche Mutter wird mir ganz schlecht, sodass ich ihn schnell wieder aus meinem Kopf verbanne. „Warum sollte ich mit ihr reden?", frage ich sie leicht genervt. Sie hat schließlich nie irgendeinen Versuch gestartet, sich bei mir zu melden. Natürlich ist sie mir nicht egal, aber ich bin zumindest etwas stolz. Jean seufzt und schaut hinaus in den dunklen Garten: „Ich erinnere mich an zwei Mädchen, die vor einiger Zeit hier waren. Damals habe ich gesehen, dass sie etwas verbindet." Sie sieht wieder zu mir und zieht eine Augenbraue hoch: „Aber vielleicht habe ich mich da auch getäuscht." Ich kneife die Augen zusammen, weil ich genau weiß, was sie vorhat. Mich an den letzten Herbst zu erinnern, ist einfach nur unfair. Es war vielleicht das schönste Wochenende meines Lebens und das lag vor allem an Taylor. Ich stöhne genervt auf und lasse meine Cola stehen.
Als ich die Treppe hochlaufe, meine ich, Jean hinter mir kichern zu hören.
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My own heaven
RomanceTaylor ist eine fleißige, kluge junge Frau, die ihr Leben genau so führt, wie ihre Eltern es für sie vorgesehen haben. Doch sie trägt ein Geheimnis mit sich, sie fühlt sich zu Mädchen hingezogen. Das widerspricht ihrem Glauben und den könnte sie nie...