Kapitel 76 - Epilog

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POV Mila

Zum wiederholten Mal schaue ich auf meine Armbanduhr und immer noch zeigt sie die gleiche Uhrzeit an. Taylor hat sie mir zum Geburtstag geschenkt und ich trage sie seitdem jeden Tag. Im Ziffernblatt sind ganz fein einige Worte eingraviert. Sie sind auf Latein und bedeuten so viel wie „breite deine Flügel aus". Wir haben uns seit Frühling immer nur am Wochenende gesehen und die ständige Reiserei war anstrengend. Trotzdem hätte ich es nicht ausgehalten, sie länger als eine Woche nicht zu sehen. Meistens hat sie mich bei Jean besucht, nur einmal habe ich bei ihr übernachtet. Taylors Eltern fällt es noch immer schwer, ihre Beziehung zu verstehen, doch sie geben sich Mühe. Es war schön, Sam an diesem Wochenende wiederzusehen und ihren Freund Kosta kennenzulernen. Sogar Taylors Schule konnte ich mir ansehen und ich weiß mittlerweile, dass ich dort niemals hingehen möchte. Ich kann mir gut vorstellen, warum sie ihre Sexualität so lange für sich behalten und unterdrückt hat. Außerdem besteht die Schule nicht nur aus Mädchen wie Taylor, die meisten sehen schlechter, braver und langweiliger aus. Taylor hingegen sieht seit ihrem mehr oder weniger offiziellen Outing jeden Tag noch besser aus. Man sieht ihr an, dass sie sich besser fühlt und mehr Selbstbewusstsein hat. Als sie mich an meinem Geburtstag überrascht hat, habe ich meinen Augen nicht getraut. Ihr Ausschnitt war so betont, dass ich nicht schnell genug von der Party wegkonnte. Einerseits um sie vor den Blicken der Typen zu schützen, andererseits, um sie auszuziehen. Seitdem ihre Eltern sie unterstützen, hat sie nicht einmal Anzeichen dafür gegeben, einen Rückzieher zu machen. Im Bett zögert sie nicht mehr, sondern verführt mich, wie es ihr gerade lieb ist. Ich bin ihr in jeglicher Hinsicht hilflos ergeben, doch es stört mich nicht. Ich vertraue ihr bedingungslos und Noah tut es genauso. Immer wenn sie da ist, ist er aufgedreht und generell blüht er in den letzten Monaten richtig auf. Jean ist längst eine Bezugsperson für ihn geworden und ich habe das Gefühl, dass diese Rolle ihr genauso gut tut wie ihm. Auch ich habe in Jean jemanden gefunden, dem ich vertraue und an den ich mich wende, wenn ich Probleme habe. Mein Vater macht noch immer eine Therapie in einer Entzugsklinik. Er hat mich von dort aus angerufen und unter Tränen beteuert, dass er sich selbst für seine Taten hasse und es ihm schrecklich leid täte. Letztendlich wusste ich das alles schon und habe ihm gesagt, was er hören musste. Damit er gesund wird, habe ich ihm vergeben und tatsächlich habe ich keine Wut in mir. Hin und wieder wenn die Narbe wehtut, denke ich zurück an den schlimmen Moment. Allerdings denke ich dann nie an meinen Schmerz, sondern allein an die Angst, die ich um Noah hatte. Ich weiß mittlerweile, dass er in Sicherheit ist und so kann ich mein Leben sorgloser genießen. Ich konnte nach den bestandenen Zwischenprüfungen die Schule wechseln und das Schuljahr an der neuen Schule beenden. Es war nicht schön, Anna zu verlassen, doch dank Lars ist sie öfters in der Stadt. Nach ihrem Abschluss will sie an der gleichen Universität studieren, sodass wir uns wiedersehen werden. Nach meinem Abgang hat Nick das Boxteam übernommen und Gerüchten zufolge soll er mit einem gewissen Jonathan anbandeln. Lea scheint, nach ihrem Abschluss um die Welt reisen zu wollen. Ich hoffe, sie lernt dort jemanden kennen, der sie so liebt, wie sie es verdient hat.

Ich zucke zusammen, als mir plötzlich von hinten die Augen zugehalten werden. „Erbitte Erlaubnis zum Boarding zu gehen, Käpt'n", ertönt Tays Stimme hinter mir und ich muss sofort lachen. Diesen Spitznamen werde ich wohl nie wieder los, auch wenn ich gar kein Kapitän mehr bin. Ich drehe mich zu meiner Freundin um und ziehe sie in einen innigen Kuss. „Gestattet", sage ich und sie lächelt mich an, während sie mit ihren Fingern über meinen Hinterkopf streichelt. Im Nachhinein bin ich echt froh darüber, dass ich mir meine Haare abgeschnitten habe. Es ist eine von Taylors Lieblingsbeschäftigungen durch meine Strähnen zu streicheln und sie nutzt jede Gelegenheit, um sie zu berühren. Regelmäßig schlafe ich dadurch vorm Fernseher ein, wenn wir zusammen einen Film gucken. Es entspannt mich zu sehr und in ihrer Nähe fühle ich mich so sorglos und geborgen, dass ich mich einfach fallen lasse. „Bist du bereit?", fragt sie und mustert mich prüfend. Es hätte keinen Sinn, sie anzulügen, weil sie mittlerweile all meine Gesichtsausdrücke genau kennt. Sie weiß immer, was ich fühle und auch, wie sie mir helfen kann. Auch heute sieht sie wieder aus wie der wahrgewordene Traum eines jeden pubertierenden Jungen. Ihre blonden Haare fallen ihr wunderschön über die Schultern und sie trägt kleine Ohrringe mit Perlen daran. Es ist wieder Sommer, sodass sie nur ein Top trägt, dass ihr echt gut steht. Ich streichele ihre Wange und mustere ihr Outfit. „Ich würde viel lieber die ganzen Ferien mit dir in irgendeinem Hotel verbringen und das Bett nicht mehr verlassen", flüstere ich in ihr Ohr und sie neigt ihren Kopf leicht weg, weil sie Gänsehaut bekommt. Sofort kassiere ich einen Schlag gegen den Oberarm und sie blickt mich streng an: „Vergiss es, du willst dich nur drücken." Ich seufze widerwillig und nehme ihr ihren Koffer ab. Sie hat Recht, ich würde mich wirklich gerne drücken. Vor wenigen Wochen habe ich Taylor von dem komischen Gespräch mit meiner Mutter erzählt. Sie erklärte mir, was ihr damals bei meiner Mutter aufgefallen war und zusammen beschlossen wir, dass mehr dahinterstecken muss. Also haben wir einen Flug gebucht und werden wohl oder übel die Ferien damit verbringen, wieder eine Beziehung zwischen mir und meiner Mutter herzustellen. Es macht mir ziemliche Angst, aber mit Taylor an meiner Seite fühle ich mich bereit. Noah fährt währenddessen mit Jean erst zu unserem alten Zuhause, um seine Freunde zu besuchen und dann weiter ans Meer. Je nachdem wie lange wir unterwegs sind, kommen wir dann noch nach.

„Na gut, aber ich sitze am Fenster", meine ich und grinse, „außer, dass unterbricht deine Verbindung zu Gott." Schmunzelnd verdreht Taylor die Augen und schnipst mir gegen die Stirn: „Wirst du jemals genug von diesen Witzen haben?" Lachend schüttele ich den Kopf und verschränke meine Finger mit ihren. Ich kapiere Taylors Glauben noch immer nicht, aber hin und wieder beobachte ich ihre Rituale und begleite sie in die Kirche. Vielleicht habe ich dann zumindest eine kleine Chance, auch mein Leben nach dem Tod mit meinem Mädchen zu verbringen. Vermutlich gibt es so etwas wie einen Himmel überhaupt nicht. Die Hölle allerdings habe ich lange genug gesehen und dorthin will ich nie mehr zurück. Sollte es Gott wirklich geben, dann bin ich mir sicher, dass er seinen schönsten Engel zu mir geschickt hat, um mich zu retten. Das Leben hat es mir nie leicht gemacht und ich trage an meinem Körper unzählige Male, die mich immer daran erinnern werden. Taylor hat mir jedoch gezeigt, dass aus allem Schlechten etwas Gutes wachsen kann. Wenn sie meine Narben betrachtet und meine kaputte Haut liebevoll berührt, fühle ich mich nicht mehr wertlos. „Lass uns in den Himmel fliegen", sagt Tay mit Vorfreude in der Stimme und hält mir ihre Hand hin. Ich lächele, betrachte die Kette an ihrem Hals, die mich daran erinnert, dass sie mich immer retten wird und lege meine Hand in ihre:

„Da bin ich bereits."

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Hey meine liebsten Leser*innen,

wieder geht eine Reise zu Ende und ich bin unendlich dankbar, dass ihr sie mit mir zusammen bestritten habt. Ich hoffe sehr, dass ich euch nicht zu viel zugemutet habe. Mich selbst macht es auch stets traurig, wenn ich eine Geschichte beende. Aber ein Ende ist ja meistens auch ein neuer Anfang :)

Behaltet euer Lächeln,

eure skamy2009

My own heavenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt