Kapitel 50

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Den ganzen Heimweg über weine ich und zuhause will ich direkt in mein Zimmer laufen. Allerdings werde ich von meinem Vater aufgehalten. Er wirkt aufgebracht, was ich nur sehr selten sehe. „Du bist uns eine Erklärung schuldig", sagt er und klingt sehr viel strenger als sonst. Verwirrt sehe ich ihn an, da zieht er ein Foto aus seiner Jackentasche. Er schmeißt es vor mich auf den Boden und mir wird schlecht, als ich es sehe. Es zeigt mich und Mila auf Annas Party. Es ist nicht zu übersehen, dass wir uns küssen und zwar nicht wie zwei gute Freundinnen. Tränen schießen erneut in meine Augen und zum ersten Mal in meinem Leben bekomme ich eine Ohrfeige von meinem Vater. Ich spüre den Schmerz des Schlages überhaupt nicht, weil in mir alles viel mehr weh tut. „Wir werden nicht hier bleiben", höre ich meinen Vater sagen. Erst dann sehe ich hinter ihm die gepackten Koffer stehen. Ich höre nicht mehr, was meine Eltern mir für Predigten halten. Ich bekomme nicht mit, wie sie meine Sachen packen und mich ins Auto bringen. Die ganze Fahrt über und auch noch in meinem alten Zimmer sehe ich nur Milas Augen vor mir. Augen, die mir nicht mehr vertrauen, weil ich ihr Herz zerbrochen habe. Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass ich eine Sünde begangen habe. Keine Buße dieser Welt kann meinen Fehler wieder gut machen. Kein Gebet und keine Beichte wird mir das Mädchen zurückbringen, das mir den wahren Himmel gezeigt hat.

POV Mila

Seit Stunden sitze ich mit Kopfhörern in den Ohren alleinan der Klippe am See und starre auf das Wasser. Nachdem die Wut sich gelegthat, konnte ich mich zum Glück mit Noah ablenken. Erst als ich ihn ins Bettgebracht hatte und für eine Sekunde allein war, habe ich angefangen etwasanderes zu spüren. Es ist nicht mehr die unbändige Wut, die meine Sinnebenebelt wie bei meiner Mutter damals. Es ist etwas viel schlimmeres und ichweiß, dass es daran liegt, dass Taylor für mich etwas Echtes war. Ich habe sieals meine zweite Chance gesehen und im Gegensatz zu meiner Mutter, habe ich sieabsichtlich an mich herangelassen. Ich wollte sie in meinem Leben haben und ihrmein Herz geben. Obwohl alles in mir weh tut und ich ständig wieder vor mirsehe, wie sie Chris küsst, habe ich keine Träne vergossen. Ich habe manchmaldas Gefühl, ich hätte alle Tränen meiner Mutter nachgeweint. Ich kann mirTaylors Verhalten beim besten Willen nicht erklären. Es gibt kaum etwas bei demich mir sicherer war als bei ihren Gefühlen für mich. Das zwischen uns warecht, das kann ich mir unmöglich eingebildet haben. Sie hätte nie etwas mit mirangefangen, wenn sie es nicht wirklich gewollt hätte. Allein rational gesehenwäre der Aufwand aufgrund ihrer Eltern viel zu hoch. Es gibt jedoch auch keinenGrund, warum sie diesen Jungen küssen sollte, wenn nicht aus Zuneigung. Taylorist kein Mensch, der aus dem Moment heraus, jemanden küsst. Genervt werfe icheinen Kiesel in das kalte Wasser. Warum mache ich mir so viele Gedanken, esmacht ja doch keinen Unterschied. Sie hat mein Vertrauen missbraucht, michbloßgestellt und tief verletzt. Sie hat keinen Platz in meinem Leben und erstrecht nicht in meinem Herzen verdient. Ich bin ein Idiot, wirklich gedacht zuhaben, ich hätte mal Glück im Leben. Die letzten Wochen verlieren erheblich anGlanz und ich weiß nicht mehr, ob irgendetwas davon ehrlich war.

Ich erschrecke mich halb zu Tode, als eine Hand meine Schulter berührt. Schnell nehme ich meine Kopfhörer heraus und erkenne Anna, die sich zu mir setzt. „Sorry, ich habe mehrmals versucht, dich anzusprechen", sagt sie und ich nicke, während ich ihr Platz neben mir mache. Anna winkelt ihr Bein an und lehnt ihren Kopf auf ihr Knie, sodass sie mich ansehen kann. In ihren kastanienbraunen Augen sehe ich Mitgefühl und sie flüstert: „Es tut mir leid." Ich schaue weiter auf das blaugrüne Wasser und spiele mit einem Stock in meinen Händen herum. Sie hat wohl gesehen, was passiert ist. Ich bin ihr dankbar, dass sie nach mir sieht, trotzdem werde ich nicht darüber reden. „Normalerweise hast du die ganzen Mädchen nicht verdient, die dich so anhimmeln, obwohl du sie wie Scheiße behandelst. Diesmal hat sie dich nicht verdient. Vielleicht bist du ohne sie besser dran." Ich weiß, dass Anna mich aufmuntern will, doch das ist kaum möglich. Es stimmt, Taylor hat mich nicht verdient. Obwohl ich noch gestern dachte, dass ich sie nicht verdient hätte. Als sie mir mit ihren Händen gezeigt hat, dass sie mich liebt, während ich in einem meiner schwierigsten Zustände war. Im Ring hätte ich ohne sie wieder nur rot gesehen und einen Fehler gemacht. Ich hatte ihr unbedingt sagen wollen, dass es mir unendlich viel bedeutet hat. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich ihr meine Gefühle nicht gestanden habe. Da ihre Liebeserklärung wohl keine Bedeutung mehr hat, sollte ich meine Gefühle lieber tief in mir vergraben. „Wir suchen dir einfach wen anders, das wird schon", ermutigt Anna mich, doch ich schüttele sofort den Kopf. Ich will niemanden mehr an mich heranlassen, wenn es diesen Schmerz bedeutet. Das Gefühl, das gerade in mir ist, will ich nur noch loswerden. „Sie ist doch nur ein Mädchen wie jedes andere", meint Anna und zum ersten Mal, seit sie neben mir sitzt, schaue ich in ihre Augen. Meine füllen sich langsam, aber sicher mit Tränen und ich schlucke. Annas Augen weiten sich und sie seufzt: „Du hast dich verliebt." Deprimiert vergrabe ich meinen Kopf in meinen Handflächen und spüre, wie Anna näher zu mir rückt. Sie legt ihren Arm um mich und wie von selbst lehne ich mich an ihre Schulter. Ich zeige nie Gefühle vor anderen, doch in diesem Moment überkommen sie mich in riesigen Wellen. Tränen laufen über meine Wangen und ich verfluche mich dafür, dass ich Taylor in mein Leben gelassen habe.

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