Kapitel 73

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Müde trotte ich die Treppen am nächsten Tag herunter, weil ich kaum geschlafen habe. Ich habe mich bereits angezogen und zumindest etwas meine Haare gekämmt. Es ist vielleicht albern, aber ich will vor Mila nicht schlecht aussehen. Meine Tante steht in der Küche und trinkt Kaffee, während Noah und Mila am Frühstückstisch sitzen. „Iss anständig", ermahnt Mila ihren Bruder gerade, doch der erblickt mich und grinst mit den Wangen voller Nutella. Ich setze mich neben ihn, sodass ich Mila gegenüber sitze. Sie sieht mich kurz an, widmet sich dann aber wieder ihrem Brötchen. Auch ihre Haare sehen so aus, als hätte sie sie bereits gemacht, obwohl das bei ihr auch fast immer der Fall ist. Seit sie die Haare kurz hat, scheint es ein regelrechter Fabel für sie zu sein, dass sie immer gut liegen müssen. „Wir grillen heute, Tay", erzählt Noah gleich aufgeregt und ich lächele ihm zu. Wir frühstücken und lassen uns dabei von Noah unterhalten. Immerhin wird es so nicht unangenehm, obwohl meine Tante uns ständig beobachtet. Ich wüsste gerne, ob Milas Mutter noch in der Gegend ist, kann sie aber wohl schlecht fragen. Nach dem Frühstück gehe ich mit Noah in den Garten und wir spielen mit Tony. Mila bleibt drinnen, was mir erstmal ganz recht ist. Ich weiß nicht, wie ich mich in ihrer Nähe verhalten soll und habe ständig Angst, etwas Falsches zu sagen. Irgendwann ruft Jean mich allerdings und schickt uns beide zum Einkaufen los. Ich verstehe nicht, warum sie will, dass wir uns vertragen. Sie weiß doch genau, dass meine Eltern es nicht zulassen werden.

Der Weg zum Laden wird von unangenehmem Schweigen begleitet und ich bin froh, als wir ankommen. Ich besorge die Dinge von der Fleischtheke und suche dann nach Mila bei den Getränken. Als ich sie finde, ist sie gerade dabei, eine Flasche Fanta aus einem Pack herauszureißen. Dabei reißt sie allerdings die halbe Packung auseinander und die Hälfte der Flaschen fallen raus. Mit größter Mühe fängt sie sie auf und hält alles irgendwie zusammen, was echt lustig aussieht. Ich kann nicht anders, als leicht zu lachen. Sie sieht mich an und meint: „Hilf mir doch mal." Sie will dabei böse klingen, doch ich gehöre genau, dass sie selbst auch leicht lachen muss. Schnell hebe ich einige Flaschen aus ihren Armen und helfe ihr, alles wieder hinzustellen. „Du hattest schon mal bessere Reflexe", sage ich und bereue sofort, dass ich sie aus Gewohnheit stichele. Du überschreitest Grenzen, ermahnt mich meine innere Stimme der Vernunft. Zu meiner Überraschung geht Mila jedoch darauf ein und erwidert: „Um deine Sprüche abzuwehren, reichen sie noch." Ich muss leicht lächeln und als ihr Blick meinen trifft, erkenne ich in ihren Augen ein winziges Leuchten. Es erinnert mich an unsere Gespräche früher und lässt mein Herz schwer werden. Ich vermisse es unendlich, bescheuerte Sachen mit ihr zu machen und sie zu ärgern. Sofort unterbricht sie jedoch den Moment wieder und geht in Richtung Kasse. Ich folge ihr und auf dem Heimweg traue ich mich, sie zu fragen, wie es Anna geht. Da es dabei nicht um unsere Probleme geht, ist unser Gespräch relativ locker. Ich erzähle von Sams neuen Freund und wir reden über einen Kinderfilm, den Noah ganz toll findet. Es ist sicherlich nicht ratsam, unsere Probleme zu verschweigen, doch für den Moment hilft es. Wieder zuhause angekommen, hat Jean bereits den Grill angeschmissen und wir decken den Tisch.

Noah und ich bereiten zusammen einen Salat vor und ich schneide schnell eine Paprika. Als Mila in die Küche kommt, schaue ich auf und kann kaum wieder wegsehen. Sie hat sich umgezogen und trägt jetzt ein kürzeres blau-weiß-gestreiftes Shirt, bei dem man leicht die Haut ihres Bauches sehen kann. Unter dem Stoff kann ich ein Stück von ihrer Narbe erahnen und für einen Moment passe ich nicht auf. Da brennt mein Finger plötzlich und ich ächze auf und lege das Messer weg. Ich habe mich voll geschnitten, weil ich ein kompletter Idiot bin. Die Stelle blutet ziemlich und ich suche in meiner Umgebung nach einem Pflaster, als Mila mir zuvorkommt. Sie weiß scheinbar genau, wo hier alles ist. Denn innerhalb von Sekunden hat sie ein Pflaster in der Hand und greift nach meinem Handgelenk. Ich lasse zu, dass sie die Stelle wäscht und dann trocken tupft. Sie ist dabei so sanft, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Noch immer beschützt sie mich genauso als wäre ich ein Teil ihrer Familie. Ihre Strähnen sehen weich aus und zu gerne würde ich mit meinen Fingern durch ihre Haare streichen. „Das sollte reichen", sagt sie, nachdem sie mir das Pflaster vorsichtig um den Finger geklebt hat. Ich nicke dankbar, doch Noah zerrt an Milas Shirt und sagt: „Du musst noch den Spruch sagen." Ich ziehe gespannt eine Augenbraue hoch und Mila wirkt nicht begeistert von dem Einfall ihres Bruders. Sie scheint, ihm aber immer noch keinen Wunsch abschlagen zu können, also seufzt sie. Dann nimmt sie meine Hand sanft in ihre, beugt sich zu meinem Finger und berührt mit ihren Lippen federleicht die Stelle über dem Pflaster. Eine Gänsehaut schießt über meinen Arm und mein Herz klopft mit einem Mal viel schneller. Ich habe nicht damit gerechnet, ihre Lippen nochmal an meiner Haut zu spüren. „Mit Liebe heilt es schneller", sagt Mila leise und Noah klatscht glücklich in die Hände. Kurz trifft ihr Blick meinen und ich spüre mehr als deutlich, dass uns immer noch etwas verbindet. Dieses Mädchen wird für mich nie nur irgendeine Person sein. Sie wird mir immer wichtig sein und das kann ich nicht leugnen.

Als sie meine Hand schließlich loslässt und die Küche verlässt, fühle ich mich allein und wünsche mir, ihre Lippen würden wieder meine Haut berühren.

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