Kapitel 63

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POV Taylor

Meine Hände sind schwitzig und mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich die Treppen zu unserem Haus nach oben steige. Ich habe keine Ahnung, wie ich meine Mutter von einem Flug quer durch die Staaten überzeugen soll. Im Zug habe ich nach Milas Mutter gesucht und nur zwei Personen unter dem Namen gefunden. Die eine wohnt in Italien, die andere in Kalifornien. Die Möglichkeit, dass sie in Europa lebt, besteht zwar, aber ich glaube, mich daran erinnern zu können, dass sie immer noch in Amerika wohnt. Ich muss einfach darauf hoffen, dass sie es ist. Vorsichtig schließe ich die Tür auf und trete in unseren Flur. Es dauert keine zehn Sekunden, bis meine Mutter aus der Küche gelaufen kommt. Sie sieht besorgt und wütend zugleich aus, Sam muss ihr erzählt haben, wo ich war. Mein Vater scheint noch an der Arbeit zu sein, was bedeutet, dass sie es ihm nicht verraten hat. „Du kannst doch nicht einfach so wegfahren, ohne Bescheid zu sagen", ermahnt meine Mutter mich und schüttelt verärgert den Kopf. Ich nicke: „Ich weiß, es tut mir leid. Kann ich bitte mit dir reden?" Verdutzt verharrt meine Mutter in der Bewegung und schließt den Mund, der mir sicher noch einige Predigten halten wollte. Sie mustert mich und muss sofort erkennen, dass ich den ganzen Weg hierher geweint habe. „Okay", sagt sie schließlich und wir setzen uns ins Wohnzimmer.

Ich knete meine Hände nervös in meinem Schoß und erzähle meiner Mutter von Milas Verletzungen. Sie hört mir zu und in ihren Augen sehe ich, dass sie Mitgefühl mit ihr hat. „Das arme Mädchen", murmelt sie und ich schlucke, um meine Tränen zurückzudrängen. „Sie braucht eine Organspende und dafür muss ihre Mutter davon erfahren", erkläre ich und meine Mutter runzelt die Stirn. „Dann soll sie jemand informieren", meint sie und ich seufze. Ich erkläre ihr grob Milas familiäre Situation und ich sehe sofort, dass meine Mutter jetzt erst versteht, mit wem ihre Tochter sich damals eingelassen hat. Ihr Blick wird kritisch, sie will mich vor solchem Chaos beschützen. „Tut mir leid, Schatz, aber das ist nicht dein Kampf. Diese Familie ist nicht deine", sagt sie mit Nachdruck und will das Gespräch damit wohl beenden, doch so leicht gebe ich nicht auf. Als meine Mutter aufsteht, springe ich auf und stelle mich in ihren Weg. Ich hebe die Hände, um sie aufzuhalten und sage: „Es ist auch mein Kampf, weil ich Mila nicht sterben lassen kann. Ich weiß, dass du es nicht verstehst, aber ich liebe sie!" Tränen bahnen sich ihren Weg über meine Wangen und ich sehe in den Augen meiner Mutter ihren inneren Kampf. Sie will mich und unseren Glauben schützen, doch sie weiß auch, dass ich die Wahrheit sage. Trotzdem schüttelt sie den Kopf: „Es liegt nicht in unserer Hand." Schluchzend versuche ich es ein letztes Mal und greife nach der Hand meiner Mutter: „Bitte, hilf mir nur das eine Mal. Dann werde ich nie mehr einfach so abhauen. Ich werde hier leben und Mila für immer aus meinem Leben streichen, aber bitte, lass mich ihr helfen." Meine Worte klingen nach purer Verzweiflung und das sind sie auch. Ich kann Mila nicht sterben lassen, das würde ich nicht überleben. Meine Mutter zögert in ihrer Bewegung und ihre Augen weiten sich erstaunt. Sie fährt sich über ihr Gesicht und seufzt dann. Sie atmet einmal tief durch und sieht mich dann an: „Pack das Nötigste ein und sag deinem Vater kein Wort davon."

....

Nachdem ich mit Anna telefoniert habe und wir ein Taxi gerufen haben, lehne ich meinen Kopf müde gegen das Fenster des Autos. Der Flug war anstrengend und ich habe mir immer noch nicht überlegt, was ich Milas Mutter sagen soll. Anna hat mir erzählt, dass Mila kurz wach war, jedoch nicht wirklich ansprechbar. Mit meiner Tante habe ich ebenfalls telefoniert und sie hat erzählt, dass es Noah nicht gut geht. Er scheint, viel zu weinen und nur zurück zu seiner Schwester zu wollen, wer kann es ihm verübeln. Ich will am liebsten auch zurück an Milas Krankenbett und ihre Hand halten. Anna hat mich jedoch auch nochmal ermutigt, dass ich das einzig Richtige tue. Sie hat gesagt, dass ich vielleicht Milas einzige Chance bin. Ich spüre deutlich, welcher Druck auf mir lastet, als ich aus dem Taxi steige. Meine Mutter bleibt sitzen, um mich das alleine durchziehen zu lassen. Also laufe ich nervös zur Haustür der großen Villa. Das Gebäude wirkt alt und edel, große Blumentöpfe säumen den Weg zum Haus. Auf dem Nummernschild steht ein anderer Name, doch ich glaube trotzdem an der richtigen Adresse zu sein. Nachdem ich geklingelt habe, dauert es nur wenige Minuten, bis die Tür von innen entriegelt wird. Sie öffnet sich und eine kleine Frau steht vor mir, die mit ihren hellbraunen Haaren definitiv nicht Milas Mutter sein kann. Enttäuschung macht sich in mir breit und ich zwinge mich zu einem Lächeln, als die Frau fragt, was sie für mich tun kann. „Hat hier mal eine gewisse Isabella Fellini gewohnt?", frage ich, weil ich hoffe, dass die Frau sie womöglich kennt. Sie lächelt mich nett an und fragt: „Was möchten Sie von ihr?" Ich streiche mir nervös über meinen Arm und erwidere: „Es geht um ihre Tochter und es ist sehr wichtig." Die Frau blickt mich erstaunt an und nach einem kurzen Zögern, winkt sie mich herein. Ich folge ihr durch einen großen Flur in eine Art Wohnzimmer, das totschick eingerichtet ist. Wie viel Geld haben diese Menschen bitte? Automatisch vergleiche ich Milas Wohnung damit und mir wird schlecht. Ich setze mich auf die große weiße Couch und habe direkt das Gefühl, sie zu beschmutzen. An den Wänden hängen Bilder, die unwahrscheinlich teuer aussehen und deren Künstler ich sicher nicht kenne. An einer der Wände steht ein großes Bücherregal gefüllt mit dicken Klassikern, die völlig unberührt aussehen. Kein Zeichen deutet daraufhin, dass in diesem Haus je ein Kind leben könnte. Ich fühle mich unwohl, doch versuche eine freundliche Miene aufzusetzen. Meine Nervosität wird immer mehr, doch als eine weitere Frau den Raum betritt, werde ich mit einem Mal ganz ruhig. Ich blicke in ihre Augen und fühle mich zurück versetzt ins letzte Jahr. Ihre Augen und ihre Haare sind wie ein Ebenbild Milas. Sie ist groß, schlank und trägt schicke Klamotten in edlen Farben. Ihre Haut ist glatt und große Ohrringe schmücken ihr Gesicht. Sie wirkt wie eine Geschäftsfrau und trägt auch dieses Charisma nach außen. Ich schlucke und versuche, dem prüfenden Blick standzuhalten. In dem Raum hängt oder steht nirgends ein Bild von ihr, ihrem Mann geschweige denn irgendeines Kindes. Er ist kühl und ausladend eingerichtet und trägt einiges dazu bei, dass ich mich unwohl fühle. „Wer sind Sie?", fragt die Frau und ihre Stimme ist klar und fest. Ich lecke mir kurz über die Lippen und räuspere mich, dann sage ich: „Es geht um Mila, sie ist sehr krank. Sie braucht eine Organspende und Sie sind der einzige Mensch, der in Betracht kommt." Das Auge der Frau zuckt kurz, doch ihr Ausdruck bleibt ernst und undurchschaubar. „Wer sind Sie und wie kommen Sie darauf, dass ich diese Person kenne?", fragt sie und mustert mich kritisch. „Ich bin... ich war ihre Freundin. Tatsächlich kann sich Ihre Tochter sehr wohl an Sie erinnern, auch wenn es Ihnen schwerfällt." Der Ausdruck der Frau wird finsterer und sie verengt ihre Augen: „Sie haben keine Ahnung, wovon Sie reden." Ich setze mich etwas aufrechter hin, weil die Wut in mir meinen Mut wachsen lässt. „Ich weiß sicherlich mehr über Ihre Tochter als Sie, aber ich hoffe, dass Sie noch einen Funken an Muttergefühlen für sie übrig haben." Isabella verdreht die Augen und winkt, sodass die kleine Frau zu mir kommt und mich rausbegleiten will. Entsetzt entreiße ich mich aus ihrem Griff und sage etwas lauter: „Es scheint verdammt einfach zu sein, hier ein tolles Leben zu leben, während Ihre Kinder von Ihrem Exmann zusammengeschlagen werden. Kapieren Sie eigentlich nicht, was ich Ihnen sage? Mila wird sterben, wenn Sie ihr nicht helfen!" Isabella zögert im Gehen und dreht sich zurück zu mir. Sie mustert mich erneut und scheint, meine Worte zu überdenken. Als meine letzte Hoffnung ziehe ich das kleine Foto aus meiner Jackentasche und reiche es ihr. „Sie ist der tollste Mensch, den ich kenne. Sie sollten gut überlegen, ob Sie damit leben können, sie sterben zu lassen", sage ich etwas ruhiger und tatsächlich nimmt Isabella das Foto an. Sie betrachtet es, streicht vorsichtig über die glatte Oberfläche und schluckt. In ihren Augen bilden sich Tränen und sie flüstert leise: „Mein Mädchen." Hoffnung keimt in mir auf, Mila ist ihr nicht völlig egal. Isabella sieht mich an und über ihre Augen legt sich wieder der Schleier aus Gleichgültigkeit. „Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen." Verdutzt will ich etwas sagen, doch die Angestellte zieht mich hinaus aus dem Zimmer und Milas Mutter ist innerhalb von Sekunden verschwunden. Ich werde aus dem Haus geschmissen und noch auf den Treppen bricht die Wut aus mir heraus. Ich schubse einen der Blumentöpfe um und will einen Stein nehmen, um ein Fenster einzuschmeißen. Da werde ich jedoch von meiner Mutter aufgehalten und warme Arme schließen sich um mich.

„Ist ja gut", sagt meine Mutter und hält mich solange fest, bis sich die Wut in Verzweiflung verwandelt und ich in ihre Schulter weine.

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