Kapitel 38

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Am nächsten Morgen gehe ich mit gemischten Gefühlen in die Schule.

Ich hatte ein Gespräch mit meinen Eltern, das mich verunsichert hat. Sie haben bemerkt, wie ich mich in den letzten Wochen verändert habe und machen sich Sorgen. Ich wusste nicht, wie ich ihnen klar machen sollte, dass es mir gut geht. Wegen des Gottesdienstes waren sie ziemlich sauer und sie haben auch sofort bemerkt, dass ich meine Kette nicht mehr trage. Meine Ausrede, sie verloren zu haben, haben sie auch nicht gut aufgenommen. Es tut mir leid, dass ich sie verletze, aber ich kann es ihnen nicht erklären. Sie würden es niemals verstehen. Gleichzeitig mache ich mir die ganze Zeit Sorgen um Mila und Noah, weil ich nichts mehr von ihnen gehört habe. Ich habe echt wenig Lust, mich mit Lea zu unterhalten, doch mir bleibt nichts anderes übrig. Sie zieht mich schon vorm Unterricht mit zu den anderen Tänzerinnen und wie immer fühle ich mich unwohl. Zum Glück fängt irgendwann der Unterricht an und ich kann mich neben Mila auf meinen Platz setzen. Sie schaut kurz zu mir, als ich mich setze und gleich steigt meine Laune. Obwohl ich ihr ansehe, dass es ihr nicht so gut geht, sieht sie sonst perfekt aus. Ihre Haare liegen perfekt und sehen so weich aus, dass ich sie am liebsten berühren möchte. Generell vermisse ich es sehr, ihr nah zu sein. Seit dem Wochenende bei meiner Tante muss ich so oft an das Gefühl denken, dass ich in Milas Armen hatte. Obwohl es mir verboten ist, will ich diese Nähe unbedingt wieder haben. Nur kann ich meine Freundin unmöglich mit zu mir nach Hause nehmen. „Hey Tay, alles gut?", reißt mich ihre Stimme aus meinen Gedanken. Mila hat sich näher zu mir gesetzt, was mich leicht verwirrt. „Wir sollen unsere Aufgaben vergleichen", erklärt Mila es mir und ich merke, dass ich dem Unterricht gar nicht gefolgt bin. „Sorry", murmele ich und krame meine Unterlagen aus meinem Rucksack. „Hast du Ärger zuhause?", fragt Mila und mustert mich besorgt. Ich seufze und will ihr am liebsten alles erzählen, doch dann spüre ich Leas Blick auf mir. Sie beobachtet mich, ich muss mich unauffällig verhalten. Also schaue ich auf mein Arbeitsblatt und murmele: „Ich erzähle es dir nachher." Sie sagt nichts darauf, scheint es aber zu akzeptieren. Also vergleichen wir unsere Aufgaben, die Mila erstaunlich gewissenhaft bearbeitet hat. Ausnahmsweise bin ich die, die Lücken aufweist. Es ist schon bewundernswert, wie sie es schafft, die Schule und ihre Familie zu händeln. Während sie sich Notizen macht, mustere ich ihr Gesicht und ihre Haltung. Ich frage mich schon seit gestern, wie es ihren Verletzungen geht. Außerdem muss ich einfach wissen, ob ihr Vater wieder zuhause ist und ich mir Sorgen machen muss. Ihr Gesicht sieht recht unversehrt aus, nur ihre Augen wirken noch betrübter als sonst. „Wenn du mich so ansiehst, kannst du Lea auch gleich sagen, dass du auf mich stehst", sagt Mila und erwidert meinen Blick. In ihren Augen flackert leichte Belustigung und ich muss schmunzeln, während ich rot anlaufe. Vermutlich hat sie Recht und ich muss mich weniger auffällig verhalten. Gleichzeitig fühle ich mich von Mila ertappt, weil sie so selbstverständlich über meine Gefühle redet. Natürlich stehe ich auf sie, aber im Grunde habe ich es mir selbst noch nicht mal richtig eingestanden. Ein Blick in ihre Augen verrät mir, dass sie genau weiß, welche Wirkung sie auf mich hat. Ihr kleines Grinsen verrät mir allerdings auch, dass ich sie genauso wenig kalt lasse. Ich wünschte ich könnte meine Gefühle einfach offen zeigen und mit ihr zusammen sein. Unbewusst greife ich mir an meinen Hals, doch der Anhänger ist nicht da. Ich habe ihn verschenkt, weil Noah und Mila mir wichtiger sind als die Prinzipien meiner Eltern. Weil ich denke, dass Glauben anders funktioniert, als meine Eltern es für richtig halten. Meine Gedanken lassen mich die ganze Stunde nicht in Ruhe, sodass ich überhaupt nicht aufpasse. Das wäre mir auf meiner alten Schule auch nicht passiert.

In der Pause kommt Lea sofort zu mir, doch ich kann mir das Gerede jetzt nicht antun. Also hole ich mein Handy heraus und sage ihr, dass ich telefonieren muss. Ich gehe raus auf den Schulhof und rufe Sam an. Zum Glück hat sie gerade auch Pause und Zeit für mich. Ich überrede sie, am Wochenende herzukommen. Sam ist da zum Glück spontan und ihren Eltern ist es ja sowieso egal. Sie verspricht mir auch, einige Energydrinks mitzubringen und erheitert meine Laune sofort. Außer Nick habe ich hier keine wirklichen Freunde und mir fehlen die Gespräche mit Sam. Über das meiste kann ich auch mit Mila reden und mittlerweile ist sie auch die erste, der ich alles erzählen will. Allerdings kann ich wohl kaum über mein Gefühlschaos und meine Gewissensbisse mit ihr reden. Sie würde es nicht verstehen und vermutlich würde ich sie damit nur verletzen. Sam ist die Einzige, die das verstehen könnte. Als Sams Pause vorbei ist, legen wir auf und ich lasse meinen Blick über den Hof schweifen. Ich will nicht zurück zu Leas Gruppe, aber auch nicht zu Nick, weil er bei seinen anderen Freunden steht. Mila und Anna stehen relativ weit von mir weg und es wäre zu auffällig zu ihnen zu gehen. Während ich meine Freundin mustere, wird mir klar, dass sie niemals zu mir kommen wird. Sie will mich nicht in Schwierigkeiten bringen und das sollte ich ihr hoch anrechnen. Eigentlich will ich aber einfach nur von ihr in den Arm genommen werden und ihren Duft riechen, um mich weniger einsam zu fühlen. Ich merke es deutlich in mir, dass es mir nicht reicht, sie nur heimlich zu sehen. Nur wird es niemals anders gehen und das sollte ich lieber schnell akzeptieren. Also laufe ich langsam zu den anderen Tänzerinnen und bin erleichtert, dass sie Pause nicht mehr lange dauert. Das Tanztraining nervt mich heute noch mehr als sonst und ich bin nicht besonders gut drauf. Lea gefällt es sichtlich, dass ich einige Schritte falsch mache und sie sich dadurch besser stellen kann. „Nächstes Mal wird es besser", sagt sie gespielt nett nach dem Training zu mir. Ich nicke gestellt lächelnd und schnappe mir meine Tasche. Zügig laufe ich aus dem Gebäude und bin wirklich genervt. Der heutige Tag ist einfach ätzend und ich will nur noch in mein Bett.

Als ich den Bus betrete und den freien Platz neben Mila sehe, wird mein Herz um Tonnen leichter. Noch ist kaum jemand anderes hier drin und selbst wenn, wäre es mir egal. Schnell lasse ich mich auf dem Platz nieder und bringe Mila dazu, zusammen zu zucken. Sie zieht ihre Kopfhörer aus und lächelt schief, als sie mich erkennt. Mein Herz zerspringt förmlich in mir, solche Sehnsucht habe ich den ganzen Tag gehabt. Ich kann nicht anders, als meinen Kopf an ihrem Hals zu vergraben. Ihr Duft umhüllt mich sofort und ihre Körperwärme beruhigt mich. Kurz wirkt sie überrascht, doch dann legt sie ihre Arme fest um mich. Nach nicht mal zwei Sekunden löse ich mich wieder von ihr und setze mich aufrecht auf. Ich atme tief durch und versuche, mich zusammen zu reißen. „Ich bringe dich nach Hause", flüstert Mila mir zu und ich nicke dankbar. Zum Glück dauert die Busfahrt nicht lange und ich bin schnell wieder an der frischen Luft. Mila steigt mit mir aus und folgt mir in Richtung meines Hauses. Als der Bus außer Sichtweite ist, greift sie nach meinem Handgelenk und hält mich fest. „Warte", bittet sie mich und ich drehe mich zu ihr. Sie mustert mich besorgt und fragt: „Was ist los?" Natürlich ist ihr aufgefallen, dass ich heute komisch drauf bin. Sie ist viel zu aufmerksam, um es zu übersehen. Es erwärmt mein Herz, dass sie so fürsorglich ist, obwohl sie schon für genug Menschen sorgen muss. Ich seufze und streiche mir eine Strähne hinters Ohr, die mir über den Tag aus meinem Zopf gefallen ist. Mila sieht mich an und ihr warmer Ausdruck ermutigt mich, mich zu öffnen. „Es ist... ich kann nicht... wir...", versuche ich zu sagen, doch ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll. Wie soll ich ihr sagen, dass ich einerseits unbedingt wieder Zweisamkeit mit ihr haben möchte, aber andererseits immer noch nicht weiß, wie ich mein Gewissen abstellen soll. „Hey", sagt Mila, lächelt mich lieb an und greift nach meiner Hand. Dann legt sie ihren Kopf leicht schief und fragt: „Hast du noch etwas Zeit, bis du nach Hause musst?" Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch, was hat sie vor?

Als ich nicke, lächelt sie nur und zieht mich an meiner Hand mit sich.

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