Kapitel 51

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POV Taylor

„Es ist schön, dich wieder hier zu haben", beendet meine Direktorin unser Gespräch und drückt mir zum Abschied einen Ordner mit Arbeitsblättern in die Hand. Ich verabschiede mich und laufe durch die Gänge meiner alten Schule. Ich habe dieses Gemäuer und seine Menschen wirklich nicht vermisst. Die Uniform fühlt sich viel unbequemer an als früher und mir fallen viele Dinge auf, die ich schrecklich finde. Überall hängen Plakate und Bilder, die jedem zeigen, wie wichtig unsere Religion ist. Es gibt im Grunde nur Verbote und Regeln und kein bisschen Entfaltungsmöglichkeit. Wenn ich die langweiligen Mädchen sehe, die nur in ihren Schulbüchern leben, vermisse ich schon fast Lea und die anderen Tänzerinnen. Wenn ich an Lea denke, wächst sofort wieder die Wut in mir, weshalb ich den Gedanken versuche zu vermeiden. Generell versuche ich es zu vermeiden, viel nachzudenken. Es führt dazu, dass ich an Mila denke, was dazu führt, dass ich weine. Meine Eltern haben mir mein Handy weggenommen, sodass ich ihr nicht mal schreiben konnte. Ich werde ihr nichts erklären können und konnte mich von niemandem verabschieden. Gestern Abend saß ich ewig weinend vor meinen Eltern und konnte mir anhören, was ich für Sünden begangen habe. Im Grunde hat fast nur mein Vater geredet, doch der Blick meiner Mutter tat viel mehr weh. Es war, als hätte ich ihr ihr Herz mit meinen Taten gebrochen. Es reicht ja nicht, dass ich Mila so sehr verletzt habe. Jeder ist sauer auf mich und gleichzeitig bricht meine ganze Welt in sich zusammen. Jetzt bin ich hunderte Kilometer entfernt von dem Mädchen, das ich liebe und muss auf eine Schule gehen, die meine Sexualität nicht akzeptiert. Als die Pausenglocke klingelt, sehe ich den einzigen Lichtblick in der Dunkelheit. Einige Mädchen strömen aus den Räumen und zwischen ihnen erkenne ich den einzigen Menschen, der immer auf meiner Seite sein wird. „Tay? Was machst du denn hier?", fragt Sam verblüfft, als sie mich sieht. Ich bin nicht fähig etwas zu sagen, sodass ich einfach nur in ihre Arme laufe und mein Gesicht an ihrem Hals vergrabe. Sofort drückt sie mich fest und es tut unwahrscheinlich gut, jemanden bei mir zu haben. „Süße, was ist passiert?", fragt sie leise und ich höre die Sorge in ihrer Stimme. Ich löse mich leicht von ihr und schüttele mit Tränen in den Augen den Kopf. „Ich...", will ich anfangen, doch sofort überkommen mich die Tränen und ich halte mir meine Hand vor den Mund, um nicht zu schluchzen. Sam seufzt und zieht mich mit sich hinaus auf den Hof zu einer Bank unter einigen Bäumen. Der Hof ist tatsächlich das schönste an der Schule, weil er früher mal ein Klostergarten war. Zwischen den Rosen und Laubbäumen erzähle ich Sam, wie ich alles zerstört habe, was ich mir in den letzten Wochen aufgebaut hatte. Sie lauscht meinen Worten und schüttelt seufzend den Kopf: „Das ist ja echt übel." Sie sieht mich an und runzelt die Stirn: „Warum hast du nicht mit mir geredet, als Lea dir dieses Ultimatum gestellt hat? Ich hätte es dir schon ausgeredet." Ich reibe mir über mein Gesicht und massiere meine Schläfe, weil mein Kopf vom Weinen wehtut. „Das hätte es nicht besser gemacht, dann hätte Lea ihrer Mutter alles gesagt." Sams Blick wird nachdenklich und sie meint: „Ich frage mich nur, warum gerade jetzt? Lea kennt Mila doch schon ewig und hätte ihr Leben schon früher zerstören können." Ich zucke die Achseln und erwidere: „Vermutlich hatte sie Spaß daran mich fertig zu machen und so konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen." Sam wirkt nicht wirklich überzeugt, doch wir haben keine Zeit länger zu reden, da der Unterricht weitergeht. „Wir sehen uns nachher, ja?", sagt Sam noch und drückt kurz meine Schulter. Ich nicke und mache mich dann auf den Weg zu meiner Klasse, die leider nicht mehr die gleiche wie damals ist. Der Unterricht ist mir aber sowieso egal und meine Gedanken sind ständig wo ganz anders. Wären wir bloß nie weggezogen, dann hätte ich es nicht anders gekannt. Dann wäre der Unterricht für mich keine Qual, weil sich alles nur um Formeln und Fakten dreht. Es wäre okay für mich, weil ich nicht wüsste, wie es anders ist. Ich wüsste nicht, wie es ist, wenn jemand mich während der Mathestunde ärgert und zum Lachen bringt. Ich wüsste nicht, dass es unheimlichen Spaß machen kann, mal nicht den Regeln zu folgen. Ich wüsste nicht, wie es ist, verliebt zu sein. In diesem Moment wünsche ich mich in eine Zeit zurück, in der mir nur Noten und mein Glauben wichtig waren.

POV Mila

Ich stehe jetzt schon seit einigen Minuten vorm Schultor und versuche mich zu überwinden, hinein zu gehen. Ich bin nicht bereit dazu, Taylor zu sehen. Es ging mir die ganze Nacht verdammt scheiße, aber wenigstens war ich allein. Ich bin normalerweise gut darin, meine Gefühle zu verstecken, aber das wird eine echte Herausforderung. In mir spüre ich Wut, Enttäuschung und verdammt viel Schmerz. Noah war heute Morgen ruhiger als sonst und hat sich mehr beeilt. Ich bin mir sicher, dass er meinen Zustand bemerkt und mir nicht zur Last fallen will. Eigentlich versuche ich vor ihm nicht zu zeigen, wie schlecht es mir geht. Als ich heute Morgen in den Spiegeln gesehen habe, ist mir jedoch klar geworden, dass das unmöglich ist. Ein völlig Fremder könnte mir ansehen, dass es mir scheiße geht. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass ich schon einige Minuten zu spät bin. Also atme ich tief durch und betrete das Gebäude. Der Unterricht hat bereits angefangen, sodass ich wie so oft anklopfe und mich dann entschuldige. Unser Mathelehrer verdreht nur die Augen und zeigt mir, mich zu setzen. Ich bin es nicht anders gewohnt und er genauso wenig. Auf dem Weg zu meinem Platz trifft Leas Blick meinen und sie wirkt seltsam zurückhaltend. Bevor sie mich damals bloß gestellt hat, war sie mal jemand, mit dem man Spaß haben konnte. Ich frage mich bis heute, was sie zu diesem nervtötenden Etwas gemacht hat. Immerhin passt Taylor jetzt offiziell in das Tanzteam, indem sie einem beliebigen Jungen vor Publikum ihre Zunge in den Hals gesteckt hat. Sofort muss ich daran denken, wie es ist, sie zu küssen und mein Herz zieht sich zusammen. Ich will schon möglichst schnell an ihrem Platz vorbeilaufen, als mir auffällt, dass er leer ist. Verwirrt lasse ich mich auf meinen Stuhl sinken und packe einen Block aus. Warum ist sie nicht da? Sie hat noch nicht einmal, seitdem ich sie kenne, gefehlt. Schwänzt sie, um mir nicht zu begegnen? Das würde eigentlich nicht zu ihr passen. Genervt von meinen Gedanken kritzele ich auf meinem Block herum und ignoriere die mahnenden Worte meines Lehrers. Es kommt mir eigentlich doch gelegen, wenn sie nicht da ist. Dann brauche ich ihr nicht aus dem Weg gehen und kann den Tag überstehen.

An diesem Tag rauche ich viel mehr als sonst und höre nur auf, weil Anna mir meine Kippen wegnimmt. Ich streite mich mit Noah und beschimpfe meinen Vater. Alles läuft schief und abends liege ich wieder in meinem Bett und bin mit meinen Kräften am Ende. Ich muss es schaffen, meine Gefühle wieder abzustellen.

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