Kapitel 19

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Als ich mich neben Taylor setze, wirft sie mir ein kurzes Lächeln zu.

„Können wir in der Mittagspause zusammen lernen?", frage ich sie als Vorwand, um sie heute nochmal zu sehen. Da sie montags immer tanzen hat, sehen wir uns nicht beim Training. Sie trägt heute ein enges dunkelrotes T-Shirt und ich frage mich langsam, ob sie auch eine andere Farbe besitzt. Man muss ihr allerdings lassen, dass ihr die Farbe wirklich gut steht und sie zu ihren blauen Augen passt. Ihr Blick fällt kurz auf Lea und ihre Freundinnen, dann sieht sie wieder zu mir und grinst: „Okay." Sofort kribbelt es in mir und ich bekomme die ganze Stunde mein Lächeln nicht vom Gesicht. Vermutlich verhalte ich mich wie ein dämlicher, verliebter Teenie, aber Taylors Anwesenheit macht mich einfach glücklich. Der Unterricht zieht sich trotzdem ewig hin und ich bin froh, als die letzte Stunde vorbei ist. Anna wird von ihrem Freund abgeholt, der noch zwei Tage hier ist.

„Hey Mia", sagt Lars und ich ignoriere es, dass er noch immer nicht meinen Namen weiß. Er erzählt mir irgendetwas über seine Seminare und ich tue so, als würde ich ihm zuhören. Er trägt einen Mantel, obwohl draußen noch mindestens 25 Grad sind, aber das ist wohl sein Style. Ich bin froh, als ich Taylor auf uns zukommen sehe und ich einen Grund habe, das Gespräch zu beenden. „Sorry, ich muss leider los", würge ich ihn ab, doch er hat sich eh schon an Taylor gewandt. „Hey, ich bin Lars, Anna hat mir gar nicht erzählt, dass es jetzt auch Models auf der Schule gibt", sagt er schmierig und hält Taylor seine Hand hin. Es fällt mir schwer, nicht mein Gesicht zu verziehen bei seinen Sprüchen. Hauptsache er flirtet vor seiner Freundin mit einem anderen Mädchen. Taylor schüttelt seine Hand und sieht leicht peinlich berührt aus. Annas Blick ist mittlerweile auch eher wütend, was ich gut verstehen kann. Allerdings sieht sie damit Taylor an, was echt nicht berechtigt ist. Soll sie lieber mal mit ihrem tollen Freund ein ernstes Wörtchen reden. „Wir müssen gehen", versuche ich die unangenehme Situation zu beenden. Ich greife wie von selbst nach Taylors Hand und bin überrascht, dass sie ihre Finger mit meinen verschränkt. Lars sieht darüber wenig begeistert aus, was ein Vollidiot. „Macht euch noch einen schönen Tag", sage ich und werfe Anna einen entschuldigenden Blick zu. Sie zwingt sich sichtlich zu einem Lächeln und zerrt Lars an seinem teuren Mantel mit sich. „Wer war denn der Schmierlappen?", fragt Taylor und ich bin echt erleichtert, dass sie ihn genauso blöd findet wie ich. Ich verdrehe die Augen und sehe den beiden hinterher: „Annas Freund, er ist ein Idiot und hat sie nicht verdient." Taylor brummt zustimmend und streichelt mit ihrem Daumen über die kleine Narbe an meinem Handrücken. Dort habe ich mich geschnitten, als ich versucht habe mit einem Alkoholiker in einem Raum zu kochen. Ich mag das Gefühl von ihren Fingern auf meiner Haut. Dann sehe ich jedoch Lea und die anderen aus dem Gebäude kommen und ziehe meine Hand schnell aus Taylors. Sie sieht mich verwundert an und wirkt verunsichert. „Ich weiß, dass du keinen Bock drauf hast, aber ich brauche die Hilfe wirklich dringend", sage ich extra laut und sehe, wie Lea direkt einen blöden Witz über mich reißt. In Taylors Blick leuchtet Erkenntnis auf und sie spielt mit. „Meinetwegen, aber dann schnell, ich komme nicht wegen dir zu spät zum Tanzen." Ich muss mich zusammen reißen, um nicht zu grinsen, weil sie echt zickig reden kann. Es erinnert mich an unser erstes Aufeinandertreffen, bei denen ich sie für eine absolute Zicke gehalten habe. Schnell verlassen wir den Schulhof und suchen uns einen leeren Klassenraum. Als wir außer Sicht der anderen sind, lache ich und Taylor stimmt sofort mit ein.

„Danke", sagt sie, als wir uns beruhigt haben. Wir setzen uns an einen Tisch und ich lächele: „Schon okay." Ich hole meine Sachen heraus, da ich wohl oder übel wirklich lernen muss. Taylor gibt mir wieder ein paar Aufgaben und ich versuche sie konzentriert zu bearbeiten. Während ich schreibe, lege ich meine linke Hand über mein Blatt und öffne sie demonstrativ. „Gib mir mal was von deiner Streberenergie", sage ich und Taylor muss leicht lachen. „Wenn du dann weniger Fehler machst", sagt sie und legt ihre Hand in meine. Ihre Finger sind schmal und weich und sie trägt Nagellack, wie fast immer seitdem ich sie kenne. Äußerlich passt sie tatsächlich recht gut zu Leas Gruppe, weil man ihr ansieht, dass sie viel Wert auf ihr Aussehen legt. Man kann nicht sagen, dass diese Bemühungen scheitern würden, aber ich denke, sie würde immer super aussehen. „Denkst du über die Aufgaben nach?", fragt sie mich und in ihren Augen flackert Belustigung auf. Ich nicke grinsend und rechne weiter, während ich mit meinem Daumen über Taylors Handrücken streichle. Keine Ahnung, was das zwischen uns ist, aber ich mag es. Ich sehe Taylor in die Augen und sie schmunzelt.

Als ich meinen Bruder vom Kindergarten abhole, ist er ganz aufgeregt, weil er zu einer Geburtstagsparty eingeladen wurde. Damit ich es nicht vergesse, kaufe ich direkt eine Kleinigkeit, die er verschenken kann. Es ist mein letztes Geld, aber ich kann bei meiner Chefin bestimmt um eine Vorstreckung bitten. Mein Vater ist wieder Zuhause, was mich nervös macht. „Ich rede mit Dad, es geht ihm noch nicht so gut. Bald kannst du bestimmt mal zu ihm", vertröste ich Noah und schicke ihn in sein Zimmer. Dann betrete ich das Zimmer meines Vaters und bin erleichtert, dass es nicht nach Alkohol riecht. Er liegt im Bett und man kann immer noch ein blaues Auge in seinem Gesicht erahnen. Er hat neben seinem Bett Krücken stehen, weil ihm das Bein gebrochen wurde. Obwohl er wahrscheinlich selbst an diesen Verletzungen Schuld ist, zerreißt es mein Herz, meinen Vater so zu sehen.

„Hey", sage ich leise und mein Vater regt sich. Er erkennt mich und lächelt: „Hey Große. Wo ist dein Bruder?" Ich setze mich an die Bettkante und erkläre, dass Noah in seinem Zimmer ist. Mein Dad seufzt und schaut auf den Boden: „Ja, es ist es besser, wenn er mich nicht so sieht." Ich nicke und spiele an meinen Händen herum, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. „Danke, Mila." Verwirrt sehe ich auf und in die Augen meines Vaters. Er greift nach meiner Hand und in seinen Augen sehe ich großes Bedauern: „Danke, dass du für uns sorgst. Es tut mir leid." Ich schlucke und drücke seine Hand kurz mit meiner. „Ich weiß", flüstere ich und stehe dann schnell auf, weil ich spüre, dass Tränen in meine Augen steigen. Ich schenke meinem Vater noch etwas Wasser ein, dann verlasse ich das Zimmer und gehe in die Küche. Während ich Noah etwas zu Essen mache, versuche ich mich zu beruhigen. Ich hasse es, dass ich immer noch Mitgefühl mit meinem Vater habe. Das Schlimmste ist, dass es mir immer noch so viel bedeutet, was er von mir denkt. Ich habe schon so oft das Gefühl gehabt, ich würde ihn hassen. Doch das ist nicht die Wahrheit. Ich liebe meinen Dad und auch wenn er mich oft enttäuscht, gibt er irgendwie sein Bestes. Er hat den Verlust meiner Mutter einfach nie verkraftet und manchmal zieht es mich auch herunter. Nur greife ich dann nicht zur Flasche, sondern zu den Boxhandschuhen.

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