Kapitel 49

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Als ich abends im Bett liege, denke ich die ganze Zeit darüber nach, was ich machen kann. Wenn ich Chris nicht küsse, wird Lea Mila bloßstellen und vielleicht zerstört das Milas Familie. Das kann ich unmöglich zulassen, doch so werde ich sie verlieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mir so etwas verzeihen kann. Sie hat lange gebraucht, um mir zu vertrauen und ich hasse mich dafür, dass ich ihr Vertrauen missbrauche. Ich schließe meine Augen und wende mich an Gott, um mein Gewissen zu erleichtern. Er wird mir keinen Ausweg zeigen, aber ich fühle mich weniger allein.

„Enttäuscht mich nicht", sagt Lea in die Runde, schaut dabei jedoch provokant in meine Richtung. Die kleine Hoffnung in mir, dass sie ihre Drohung vergessen hat, erlischt. Sie hat die blaue Stelle in ihrem Gesicht gut abgedeckt, sodass sie nicht mehr auffällt. Sie ist tatsächlich nicht zu ihrer Mutter gegangen, sodass ich keinen Ärger bekommen habe. Der Tanzauftritt heute ist ziemlich gut besucht und unsere Konkurrenz ist gut. Es wird sicher nicht einfach, doch das ist mir ziemlich egal. Ich kann mich nicht wirklich auf das Tanzen konzentrieren und bin einfach nur nervös. Glücklicherweise kann man durch die Scheinwerfer nicht ins Publikum gucken. Wir legen einen ordentlichen Auftritt hin und Lea scheint einigermaßen zufrieden. Als die Leute applaudieren sehe ich in den hinteren Reihen Mila und Anna sitzen. Sie lächeln mich an und ich zwinge mich, es zu erwidern. Mein Magen fühlt sich an, als müsste ich mich jeden Moment übergeben. Chris sitzt in der ersten Reihe und hat sich ziemlich rausgeputzt. Er tut mir fast etwas leid, weil ich ihn ja voll verarsche. Andererseits geht er nicht wirklich nett mit Mädchen um, also hat er es irgendwie sogar verdient. Wie gerne würde ich Lea ihre blöde Brille aus dem Gesicht schlagen. Sie lässt sich von den Zuschauern und unserem Team feiern. Nach unserem Auftritt ist noch eine andere Gruppe dran und wir setzen uns in einen der Vorbereitungsräume. Vera setzt sich zu mir und meint: „Das war echt gut." Ich nicke nur, möchte jetzt eigentlich kein Gespräch führen. Die anderen sitzen weit genug weg, sodass sie uns nicht hören können. „Es war mutig, Lea zu schlagen. Ich würde nur überlegen, für wen du das tust. Sie hat dir sicher nicht erzählt...", flüstert Vera, doch unser Gespräch wird durch eine Lautsprecherdurchsage unterbrochen. Wir werden auf die Bühne gerufen, sodass ich nicht erfahre, was Mila mir scheinbar nicht erzählt hat. Ich beschließe, dass Vera sicherlich nur Salz in die Wunde streuen wollte und vergesse es einfach. Die Jury verkündet die Ergebnisse, doch ich bin mit meinen Gedanken ganz wo anders. Ich sehe Mila an und versuche mir ihre weichen Gesichtszüge einzuprägen. Sie sieht mich mit solcher Wärme an, dass es mir das Herz zerreißt. Unser Team kommt im Wettbewerb eine Runde weiter und alle jubeln ausgelassen. Ich versuche mich mit zu freuen, doch mein Magen fühlt sich schrecklich an. Lea kommt zu mir und lächelt herablassend: „Tu dir keinen Zwang an." Sie schiebt mich die Treppe herunter in den Zuschauerbereich und mir wird schlecht.

POV Mila

„Ich habe dir ja von Anfang an gesagt, dass sie Lea ihr Amt streitig machen wird. Sie war ja mal mit Abstand die Beste", sagt Anna und ich nicke lächelnd. Ich bin stolz auf Taylor, weil sie das Team weitergebracht hat. Ich greife an meinen Hals und halte den Kreuzanhänger in meinen Fingern. Noah wollte gerne, dass ich ihn anziehe, damit er Tay Glück bringt. Er liebt sie genauso wie ich und das bedeutet mir alles. Sie hat mich gestern vor einem großen Fehler beschützt und das Gleiche auch schon vor ein paar Tagen getan. Ich bin mir sicher, dass ich in ihr meinen Menschen gefunden habe. Den einen, den ich nicht weg stoßen werde, weil ich endlich bereit bin, wieder Vertrauen in eine Frau zu haben. Meine Mutter hat es mir verdammt schwer gemacht, aber Taylor hat die Scherben meines Herzens aufgesammelt und es schlägt seitdem nur für sie. „Ich gehe kurz zu ihr", sage ich zu Anna, die sofort lächelnd nickt. Als ich mir den Weg durchbahnen will, rechne ich damit, dass Tay mir entgegenkommt, doch sie geht in eine völlig andere Richtung. Sind ihre Eltern doch hier? Eigentlich hatte sie gesagt, dass die beiden in den Gottesdienst gehen. Als ich sehe zu wem sie geht, macht sich Verwirrung in mir breit. Seit wann hat sie etwas mit Chris zu tun? Ich weiß, dass er sich schon öfter an sie herangemacht hat, aber sie hatte nie Interesse. Ich werde sie wohl nachher damit aufziehen, dass sie sich Komplimente von so einem Trottel abholt. Als ich nur noch einige Meter von den beiden entfernt bin, macht Taylor plötzlich einen Schritt auf Chris zu. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und was dann passiert, wirft mich vollkommen aus der Bahn. Es ist als wäre ich im falschen Film und mein Magen dreht sich förmlich um. Wie erstarrt stehe ich da und sehe zu, wie meine Freundin vor der halben Schule einen Typen küsst. Tausende Gedanken schießen durch meinen Kopf, doch sie werden alle von einem Gefühl verdrängt. Wie kleine Flammen nimmt es Besitz von mir und durchflutet meinen Körper. Vor meinem inneren Auge sehe ich die leere Einfahrt, den Regen, der auf meinen zurückgelassenen Vater fällt. Wie bei einer Eisplatte zieht sich ein Riss durch mein Herz und zerstört, was sich in den letzten Wochen aufgebaut hat. Meine Hände ballen sich zu Fäusten und ich brauche meine ganze Selbstbeherrschung, um Chris nicht ins Gesicht zu schlagen. Er kann nichts dafür, es kam von Taylor und nicht von ihm. Die beiden lösen sich wieder voneinander und endlich löst sich auch mein Körper aus der Starre. Meine Brust schnürt sich zu, ich kann ihr jetzt nicht in die Augen sehen. So schnell ich kann drehe ich mich um und laufe zum Ausgang. Ich atme hektisch ein und aus und versuche meine Aggressionen in den Griff zu kriegen. Ich muss nach Hause, aber Noah darf nichts von meinen Gefühlen wissen. Er ist gerade so glücklich und das will ich ihm nicht wegnehmen.

POV Taylor

Als ich mich umdrehe, sehe ich nur noch Milas Rücken. Sie läuft in Richtung Ausgang, ein Stechen fährt in meine Brust. Ich bin so ein verdammtes Arschloch. Als mein Blick auf Lea fällt, erwarte ich eigentlich ein selbstgerechtes Grinsen. Allerdings wirkt sie eher ziemlich überrascht, dachte sie etwa ich kneife? Dann hat sie keine Ahnung, was Mila mir bedeutet. Ich lasse Chris verwirrt zurück und laufe Mila hinterher. Draußen vor der Schule hole ich sie ein und stelle mich vor sie. „Warte, ich kann es erklären", versuche ich zu sagen und fühle mich dabei total bescheuert. Milas Kiefer spannt sich an und sie schiebt sich ohne ein Wort an mir vorbei. Ich kann sie unmöglich gehen lassen. Schnell greife ich nach ihrem Handgelenk, aus Panik sie zu verlieren. Ihr Körper steht vollkommen unter Strom, als sie sich umdreht und meine Hand grob von ihrem Handgelenk entfernt. „Fass mich nie wieder an", sagt sie und ihre Stimme ist so fest, dass ich Gänsehaut bekomme. Für eine Sekunde sehe ich ihr in die Augen und sofort ändert sich ihr Ausdruck. Die pure Wut wird durch einen glasigen Schimmer ersetzt und es bricht mir mein Herz. Mein Blick fällt auf ihren Hals und ein Schmerz zieht in meine Brust, den ich nie zuvor gespürt habe. Sie trägt meinen Anhänger für mich und ich ramme ihr einfach ein Messer in ihren Rücken. Ich habe alles zerstört, sie wird mir nie wieder vertrauen. Ich will so gerne noch etwas sagen, doch ich weiß, dass es nichts ändern wird. Also sehe ich dem einen Menschen hinterher, der mir wichtiger war als mein Glauben, wie er aus meinem Leben verschwindet.

Meine Schultern sinken herab und Tränen steigen in meine Augen. „Steht das auch in deiner Bibel?", ertönt Annas Stimme hinter mir und ihr Blick sagt mehr als tausend Worte. Tränen laufen über meine Wangen und ich schlucke. „Es hat einen Grund, ich würde ihr nie einfach so etwas antun", versuche ich mich zu erklären, doch es hat keinen Sinn. Anna schüttelt nur enttäuscht den Kopf und geht an mir vorbei. „Ich liebe sie", schluchze ich und kurz bleibt Anna stehen. Sie sieht mich an und scheint verstehen zu wollen, wie das zusammen passt. Ich kann es ihr nicht erklären, weil auch sie nichts von Milas Familie weiß. „Du warst die Erste, die ich leiden konnte", sagt sie resigniert und seufzt dann kopfschüttelnd. Als andere Leute aus der Halle strömen, versuche ich nicht aufzufallen. Anna ist schneller weg, als ich gucken kann. So schnell ich kann, ziehe ich mich um, damit ich nicht nochmal auf Lea treffe. Mit meinen momentanen Gefühlen würde ich sie vermutlich blutig schlagen, wenn ich sie sehen würde.

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