Kapitel 72

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Nervös knete ich meine Hände und überlege, wie ich das Gespräch beginnen soll.

Was sagt man zu jemandem, den man so lange nicht gesehen hat? Was will ich überhaupt von ihr wissen. Will ich hören, dass es ihr leid tut? Ich überlege schon, ob ich einfach ins Bett gehen sollte, als sich die Tür vor mir plötzlich öffnet. Taylor zuckt zusammen und hält sich ihre Hand an ihre Brust: „Gott, hast du mich erschreckt." Sie atmet schnell ein und aus, während ich nur rot anlaufe, weil mir die Situation unangenehm ist. Sie trägt bereits ein Schlafshirt und eine kurze Hose, die etwas zu viel von ihrem Bein zeigt. Schnell versuche ich irgendwo anders hinzusehen, nur nicht auf ihren Körper, den ich immer noch viel zu anziehend finde. Ich kratze mich an meinem Hinterkopf und murmele: „Ähm ja, ich gehe dann mal." Ich will mich entfernen, doch Taylor hält mich auf: „Warte." Zögerlich sehe ich sie an und erinnere mich an unzählige Male, bei denen ich in diese Augen gesehen habe. „Können wir vielleicht reden?", fragt sie vorsichtig und es erinnert mich an das Boxturnier. Damals habe ich nicht mit ihr geredet, sondern sie stattdessen geküsst. Ich verdränge die Erinnerung schnell und nicke kurz. Sofort tritt sie einen Schritt zur Seite und ich betrete den kleinen Raum, in dem Noah letztes Mal geschlafen hat. Es gibt keine Sitzmöglichkeit außer des Bettes, also bleibe ich unschlüssig stehen. Taylor schließt die Tür hinter sich und sucht dann kurz meinen Blickkontakt. Ich sehe sofort, dass sie mindestens genauso nervös ist wie ich. Sie reibt sich über ihren Unterarm und fragt dann schüchtern: „Wie war die Prüfung?" Kurz bin ich etwas verwirrt, doch dann nehme ich an, dass Noah ihr davon erzählt haben muss. Also räuspere ich mich und meine: „Ganz gut." Um sie nicht ansehen zu müssen, schaue ich auf die Kommode neben mir und erkenne darauf ein Schmuckstück liegen. Es ist eine Kette mit einem Kreuzanhänger und sofort greife ich wie von selbst an meinen Hals. Noah hat mir die Kette wieder mitgegeben, damit sie mir Glück bringt. Ich weiß nicht, was es in mir auslöst, dass Taylor eine neue gekauft hat. „Meine Mutter hat sie mir neulich geschenkt", sagt sie, scheinbar kann sie immer noch aus meiner Mimik lesen. Schnell lasse ich den Anhänger um meinen Hals los und es ist mir unangenehm, dass ich ihn trage. Ich greife an den Verschluss und murmele: „Du kannst die alte gerne wieder haben." Ich will ihr zeigen, dass sie keine Rolle mehr in meinem Leben spielt, auch wenn das gelogen ist. Natürlich schüttelt sie sofort den Kopf und erwidert: „Sie war ein Geschenk und gehört Noah." Damit hat sie Recht, also lasse ich sie an, verstecke sie allerdings unter meinem Shirt.

Ich mustere Taylor möglichst unauffällig, sie sieht anders aus. Ihre Haare sind etwas kürzer und stufiger geschnitten und ihre Klamotten sahen vorhin weniger artig aus. Sie wirkt insgesamt irgendwie selbstbewusster als früher, was mich verunsichert. Sonst war ich immer die, die sie einschüchtern konnte. Jetzt habe ich das Gefühl, sie sei mir maßlos überlegen. „Es tut mir leid", sagt sie und wirkt dabei ziemlich bedrückt. Sie geht meinem Blick ebenfalls aus dem Weg, doch ich will sie nicht so leicht davon kommen lassen. „Was genau?", frage ich also und gehe einen Schritt auf sie zu. Sie schaut auf und wird etwas blasser. „Dass ich mich nie gemeldet habe", sagt sie schnell und umgeht damit eine Beichte. Warum sagt sie mir nicht endlich die Wahrheit? Lea ist keine Gefahr für sie oder mich, wenn wir so weit von ihr entfernt sind. Sie könnte ihr Gewissen erleichtern und vielleicht muss ich sie dazu drängen. „Es war sicher leicht für dich, nachdem du dich anderweitig vergnügt hattest", sage ich, um sie zu provozieren und sofort verzieht sie leicht ihr Gesicht. Sie schluckt und antwortet nichts, sie zieht es wirklich weiter durch. „Du wolltest Chris schließlich küssen", flüstere ich, um es auf die Spitze zu treiben. Taylor hat mittlerweile gar keine Farbe mehr im Gesicht und es ist ihr anzusehen, dass sie mit sich selbst kämpft. Schließlich nickt sie tatsächlich kurz, sie wird mir nicht die Wahrheit sagen. Wenn ich nicht wüsste, dass sie lügt, würden mich ihre Worte wirklich verletzen. „Bin ich dir egal?", frage ich und gehe noch einen Schritt auf sie zu. Sofort weicht sie zurück und in ihren Augen blitzen Tränen auf. Es muss einen Grund haben, warum sie mich absichtlich verletzt. Als sie mir keine Antwort gibt, zucke ich mit den Achseln und schiebe mich an ihr vorbei: „Verstehe."

POV Taylor

Als Mila aus der Tür verschwindet, lasse ich meinen angehaltenen Atem entweichen. Sofort überwältigen die Tränen mich und ich schlage wütend gegen die Wand. Wieso kann ich nicht einfach mit ihr reden und ihr alles erklären? Warum müssen meine Eltern so sehr gegen uns sein. Ich würde sie mit jedem Funken Hoffnung nur weiter verletzen. Denn am Ende kann ich nicht mit ihr zusammen sein. Ewig liege ich wach im Bett und kann nicht einschlafen. Zu wissen, dass Mila im Zimmer neben mir liegt, lässt meine Gedanken ständig durch die Gegend schwirren. Ein Teil von mir würde am liebsten aufstehen, zu ihr gehen und sie mit mir in mein Bett ziehen. Wie kann ich ihr immer noch so nachschmachten, nach all den Wochen, in denen wir uns gar nicht gesehen haben. Noch nie zuvor ist mir ein Mensch so unter meine Haut gegangen. Wenn ich daran denke, was ich damals für Hanna gefühlt habe, ist es im Nachhinein fast lächerlich, dass ich traurig war, sie zu verlieren. Mila besitzt mein Herz und ich will es nicht mal wiederhaben. Ich weiß ja doch, dass sie die Einzige ist, der ich vertraue und die es immer verdient haben wird, meine Liebe zu besitzen. Mein Herz schlägt fest in meiner Brust, ich weiß nicht, wie ich den morgigen Tag überstehen soll.

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