Kapitel 48

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POV Mila

Wir wärmen uns in Zweierteams für den Wettkampf auf und es beruhigt mich, noch einige Minuten mit Taylor verbringen zu können. Sie wirkt angespannter als sonst, aber vermutlich hatte sie auch lange keinen Kampf mehr. Ich bin entspannter als sonst dank ihr und zuversichtlich, dass ich den Kampf gewinnen werde.

Als erstes tritt Nick in den Ring und er schafft es, seinen Gegner zu besiegen. Er hatte Glück, weil sein Gegner wirklich nicht gut war, trotzdem ist es eine Leistung. Taylor umarmt ihn als er aus dem Ring steigt und freut sich für ihn. Als Kapitänin muss ich alle Mannschaftsmitglieder im Blick haben, obwohl ich eigentlich nur Augen für Tay habe. Sie ist nach zwei weiteren Jungen dran und sieht im Ring nicht wirklich selbstbewusst aus. Wenn ich mich an unsere Trainingskämpfe erinnere, kenne ich eine andere Ausstrahlung von ihr. Sie weiß normalerweise sehr gut, wie gut sie ist und es auch einzusetzen. Ich kenne auch niemand anderes aus unserem Team, der so konzentriert und taktisch kämpft wie sie. Heute jedoch wirkt sie alles andere als konzentriert. Meine Vorahnungen bestätigen sich, als sie bereits in der ersten Runde heftig im Gesicht getroffen wird. Als sie in ihre Ecke geht, laufe ich zu ihr, wo bereits unsere Trainerin auf sie einredet. Als sie fertig ist, greife ich nach Taylors Arm und sie sieht mich an. „Mach es wie im Training", sage ich ihr und lächele sie aufmunternd an: „Du kannst das." Sie nickt, steckt sich ihren Mundschutz wieder rein und steht auf. Die zweite Runde ist tatsächlich wesentlich besser als die erste, bringt jedoch trotzdem keine Punkte ein. Die Trainerin hält sich diesmal zurück, sodass nur ich bei Taylors Ecke stehe. Sie atmet angestrengt und scheint mit sich selbst unzufrieden zu sein. Ich seufze und versuche sie aufzumuntern: „Stell dir einfach vor, sie wäre Lea." In Taylors Gesicht zuckt etwas und dann wird ihr Blick finsterer. Sie nickt und reicht mir ihre Wasserflasche, um wieder aufzustehen. In den nächsten Momenten wird mir zum ersten Mal bewusst, dass Taylor sehr wohl so etwas wie Hass empfinden kann. Sie schlägt die Gegnerin mit zwei gezielten Schlägen k.o. und allen wird klar, wie überlegen sie eigentlich ist. Ich bin mir sicher, dass sie die beste Boxerin unseres Teams ist. Alle feiern sie als sie aus dem Ring kommt, doch sie wirkt nicht wirklich glücklich. Sie nickt mir zu und ich lächele schief, da ich schon in meiner eigenen Konzentrationsphase bin. Meine heutige Gegnerin ist etwas größer als ich, dafür weniger muskulös. Ich versuche meine Alltagssorgen auszublenden und schüttele meine Arme nochmal aus. Dank Taylors Anwesenheit habe ich meine Aggressivität ganz gut im Griff. Der Kampf ist hochkonzentriert und meine Gegnerin wird sich nicht so leicht locken lassen. Trotzdem schaffe ich es, einen Schlag in ihre Hüfte zu setzen. Meine Trainerin lobt und motiviert mich, sodass meine Konzentration nicht nachlässt. Es tut gut, sich auszupowern und zu spüren, dass man etwas gut kann. Beim Boxen bin ich nicht das arme Mädchen mit der kaputten Familie, sondern eine Gegnerin, vor der man Respekt haben sollte. Ich weiche meinem Gegenüber elegant aus und verpasse ihr einen festen Schlag gegen die Schläfe.

POV Taylor

Aus einiger Entfernung beobachte ich Milas Kampf, während Nick mein Gesicht verarztet. Zum Glück blute ich nur leicht und kann die Stelle bestimmt später abdecken. Mila kämpft sehr gut und trifft ihre Gegnerin an einer Stelle, die echt wehtut. Das Mädchen fällt hin, rappelt sich jedoch sofort wieder auf und schubst Mila. Sofort spannen sich meine Muskeln wieder an, gleichzeitig hoffe ich, dass meine Freundin ruhig bleibt. Schnell dränge ich mich an Nick vorbei, der mir verwirrt hinterherruft, was ich da machen würde. Ich kann sehen, dass Milas Muskeln sich anspannen, als ihre Gegnerin wie blöd auf sie einschlägt. Zum Glück geht der Schiri dazwischen, doch Milas Brust hebt und senkt sich immer noch tief. „Hey", rufe ich ihr zu, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, doch sie starrt nur weiterhin das andere Mädchen an. Ich weiß, dass sie es sich nicht leisten kann, nochmal bei einem Kampf über die Strenge zu schlagen. Wenn sie es schafft ruhig zu bleiben, wird sicherlich ihre Gegnerin disqualifiziert. Ich muss es nur schaffen, dass sie mir in die Augen sieht. „Schau mich an, Mila", rufe ich, doch sie scheint mich gar nicht wahrzunehmen. Sie geht einen Schritt nach vorne und ich bekomme Panik. Schnell laufe ich um den Ring herum, sodass ich hinter der Gegnerin stehe. Ich schaffe es in ihr Blickfeld und in dem kurzen Moment, in dem sie zu mir schaut, zeige ich ihr die eine Sache, von der ich glaube, dass es sie beruhigen kann.

Ich zeige auf mich, forme ein Herz mit meinen Händen und zeige dann auf sie.

Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, dass die Zeit still steht und ich blende alles aus. Die Rufe unserer Trainerin, den aufgebrachten Schiedsrichter, die Gegner, die unsere Mannschaft beleidigen. Ich sehe nur Milas Augen, in denen etwas anfangt zu schimmern. Ein winziges Lächeln umspielt ihre Lippen und Erleichterung durchströmt mich, als ihre Schultern leicht absinken. Sie löst ihre Anspannung und geht zurück in ihre Ecke, das war knapp. Ich weiß, dass es verdammt scheiße von mir ist, was ich tue. Ihr meine Gefühle zu zeigen, obwohl ich sie morgen so sehr verletzen werde. Zumindest heute wird sie mir glauben und das ist es wert. Wenn ich so verhindern konnte, dass sie etwas dummes tut. Es ist die Wahrheit, dass ich sie liebe, nur deswegen tue ich all das. Immer noch in Gedanken merke ich gar nicht, dass der Kampf vorbei ist und die Gegner zusammenpacken. Erst als sich Arme um mich schließen, zucke ich zusammen und konzentriere mich wieder aufs Hier und Jetzt. Meine Augen schließen sich automatisch als Milas Duft in meine Nase dringt. Ihr Körper ist ganz warm und verschwitzt, doch ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als ihr nahe zu sein. Sie hat noch nie zuvor in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zu mir gezeigt. „Danke", flüstert sie mir in mein Ohr und ich schmiege mich an ihren Hals. Als die anderen zu uns kommen, lässt Mila mich los und klatscht mit dem Team ab. Wir bilden einen Kreis und die Trainerin lobt unsere Leistung. Es ist schön, wieder Teil eines Boxteams zu sein, umgeben von Leuten, die mich verstehen. Die anderen beschließen, noch zusammen etwas trinken zu gehen, doch ich klinke mich direkt aus. Morgen für den Tanzwettbewerb muss ich fit sein, außerdem denken meine Eltern, dass ich nur bei einem Lerntreffen bin. Ich ziehe mich schneller um als die anderen und winke zum Abschied in die Runde. Draußen an der frischen Luft bleibe ich kurz stehen und atme tief durch. Es belastet mich zu sehr, dass ich morgen Leas Wunsch erfüllen muss. Meine Eltern können beim Auftritt nicht dabei sein, weil der Gottesdienst zur gleichen Zeit ist. Ich war schon erleichtert, dass sie mir erlauben mitzutanzen. Es ist besser, wenn sie nicht sehen, dass ich irgendeinen Jungen küsse. Vor allem wäre es dann nicht glaubwürdig, ihnen von Mila zu erzählen. Noch immer möchte ich die Wahrheit sagen, doch ich muss abwarten, ob es überhaupt noch Sinn hat.

„Hey Dancingqueen", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken und ich drehe mich um. Mila kommt lächelnd auf mich zu und drückt mir einen Kuss auf die Lippen. „Soll ich dich nach Hause bringen?", fragt sie, während sie ihre Arme um meine Hüfte legt. Ich schüttele den Kopf: „Geh mit den anderen mit, du hast es dir verdient." Kurz mustert meine Freundin mich prüfend, dann lächelt sie: „Danke, dass du mir geholfen hast." Ich nicke nur und schmiege mich für einen Moment in ihre Arme. Sie ist mir so wichtig, ich werde es ohne sie nicht aushalten. „Wir sehen uns morgen", sagt sie noch und ich wünschte, sie würde nicht kommen.

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