Kapitel 9

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POV Taylor

Als ich zuhause in meinem Bett liege, muss ich daran denken, wie Mila mich angesehen hat. Ihre Augen haben mich so sehr an Hannas erinnert. Sie ist das eine Mädchen gewesen, das mir den Kopf verdreht hat. Bis jetzt weiß ich nicht, was ich wirklich für sie gefühlt habe, doch es war sicher mehr als Freundschaft. Wir sind Freunde gewesen, doch nur bis ich aus einem Moment heraus versucht habe, sie zu küssen. Danach hat sie nie mehr mit mir geredet, weil ihr Glaube Homosexualität nicht toleriert. Keine Ahnung, ob ich wirklich auf Frauen stehe oder einfach keine Ahnung von meiner Sexualität habe. Es hat nie jemand mit mir über solche Dinge geredet, weil es Tabuthemen an meiner alten Schule waren. Meine Eltern würden nie akzeptieren, wenn ich mit einem Mädchen zusammen wäre. Also muss ich schnell aufhören, an Milas Augen und an ihr Grinsen zu denken. Am besten halte ich mich einfach von ihr fern, dann komme ich nicht auf blöde Gedanken und tue mir nicht selbst weh. Ich sollte mir auch nicht einbilden, dass sie mich mag, nur weil sie mal nicht scheiße zu mir war.

Am Montag sitze ich wie immer schon an meinem Platz, als Mila gehetzt kurz vorm Klingeln in die Klasse kommt. Sie lässt sich neben mir nieder und schenkt mir ein kleines Lächeln. Keine Ahnung warum, aber diese kleine Geste verschönert meinen Start in die Woche erheblich. Ich habe irgendwie damit gerechnet, dass sie mich wieder ignoriert. Im Unterricht sollen wir Partnerarbeit machen und mein Blick fällt gleich auf meine Sitznachbarin. Sie sieht mich ebenfalls an und setzt sich dann mit an meinen Tisch. „Ich habe nicht wirklich aufgepasst in den letzten Stunden", gesteht sie, nachdem sie ihren vollgekritzelten Block auf meinem Tisch abgelegt hat. Ich nicke: „Ich weiß." Sie geht meinem Blick aus dem Weg und wirkt etwas beschämt, also rede ich einfach drauf los: „Ich hatte das Thema schon an meiner alten Schule, also kann ich ruhig die Arbeit machen." Mila schenkt mir ein kurzes dankbares Lächeln und beobachtet dann, wie ich die Blätter ausfülle. Während ich schreibe, überlege ich, ob ich ihr meine Hilfe anbieten soll. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass sie nicht gerne Hilfe annimmt, also lasse ich es. „Du bist nachher beim Tanzen und nicht beim Training, oder?", fragt Mila mich nach einigen Minuten. Sie scheint durchschaut zu haben, dass ich beide Sachen nur halbherzig betreibe. Ich nicke und sie wirkt für einen Moment ein wenig enttäuscht. Mein Blick fällt auf Lea und die anderen Mädchen vom Tanzen. Ich würde viel lieber zum Boxen gehen, aber ich habe zu viel Angst aufzufliegen. „Warum gehst du nicht in einen anderen Tanzkurs? Dann könntest du beides richtig machen", stellt Mila die Frage, die ich schon erwartet habe. Ich seufze und trage weitere Lösungen ein: „Ist kompliziert." Ich spüre, wie ihre wachsamen Augen mich mustern und sie dann ihren Kopf schieflegt: „Boxen ist nicht das, was bei euch gern gesehen ist, oder?" Ich sehe ihr kurz in die Augen und schaue dann wieder auf meine Hände. Dann zucke ich die Achseln und konzentriere mich auf die Arbeit. Bevor Mila noch etwas sagen kann, geht der Unterricht weiter und ich kann dem Gespräch aus dem Weg gehen.

In der Pause kommt Lea zu mir und ihr Blick zuckt kurz zu Mila. „Komm, du musst dich in der Pause nicht auch noch mit der abgeben", sagt sie zu mir und erwartet wohl, dass ich sofort aufspringe. Ich sehe zu Mila, eigentlich würde ich sie gerne verteidigen. Sie erwidert meinen Blick und schüttelt so leicht den Kopf, dass man es kaum sehen kann. „Los, wir müssen noch die Choreo besprechen", sagt Lea etwas schnippischer und ich packe seufzend meine Sachen zusammen. Tatsächlich besprechen wir gar nichts zur Choreo, sondern lästern nur über alle möglichen Leute. Ich halte mich so gut es geht raus und nicke nur manchmal scheinheilig. Es fühlt sich scheiße an bei diesen Mädchen zu sitzen, aber es schützt mich gleichzeitig vor irgendwelchen Gerüchten. Selbst ich habe verstanden, dass Lea an dieser Schule unantastbar ist und als ihre Freundin bin ich das vielleicht auch. Ich sehe, wie Mila zusammen mit Anna auf der Tischtennisplatte sitzt und raucht. Obwohl ich Rauchen hasse, würde ich lieber bei ihnen sitzen und über Dinge reden, die interessanter sind als Jungs und Wimpernlifting. Ich werde vor Lea wohl nicht zeigen dürfen, dass ich Mila leiden kann. Beim Tanztraining merke ich, dass mein Talent gut und schlecht gleichzeitig ist. Lea nimmt mich nur so bereitwillig in ihre Gruppe auf, weil ich gut bin, aber sie kann es nicht ab, dass ich besser als sie bin. Also baue ich in die letzte Choreo einige Fehler ein, um ihre Laune aufzubessern. Mir ist das Tanzen sowieso egal, also muss ich nicht die beste sein. Es reicht, wenn meine Eltern bei der Aufführung sehen, dass ich wirklich zum Training gehe. Ich bin froh als das Tanzen vorbei ist und ich nach Hause fahren kann.

Im Bus sind um diese Uhrzeit kaum Leute, doch diesmal freut mich der freie Platz neben Mila. Ich gehe zu ihr und zögere damit, mich hinzusetzen. Sie bemerkt mich und ihre finstere Miene, erhellt sich etwas. „Hey Dancingqueen." Ich verdrehe grinsend die Augen und lasse mich neben ihr nieder, nachdem sie ihren Rucksack vom Sitz genommen hat. „Wie war das Training?", frage ich und sie zuckt die Achseln: „Ganz okay. Es hat irgendwas gefehlt." Ich muss automatisch grinsen und spüre, wie ich rot werde. „Sehen wir uns nachher beim Kino?", frage ich, weil ich an der nächsten Station bereits raus muss. Sie lächelt kurz, doch dann wird ihr Blick etwas gequälter und sie schaut aus dem Fenster. „Hab keine Zeit", murmelt sie abweisend und dreht sich nicht nochmal um, als ich gehe. Ich seufze und schaue dem Bus hinterher, als er um die Ecke biegt. Wie soll ich aus diesem Mädchen bloß schlau werden? So viel dazu, dass ich mich von ihr fernhalten wollte. Eigentlich hat sie mir einen Gefallen damit getan, dass sie meine Versuche, sie zu sehen, abgeblockt hat. Als ich abends mit meinen Eltern vorm Essen bete, erinnere ich mich daran, dass ich mich richtig verhalten muss. Ich muss meine Eltern und Gott stolz machen und darf sie nicht beschämen. Ich freue mich, als Nick mir schreibt und wir uns noch auf ein Getränk in der Stadt treffen wollen. Ich erzähle meinen Eltern, dass ich mich mit jemandem aus dem Tanzteam treffe. Sie würden es wohl kaum für gut heißen, wenn ich mit einem Boxer in eine Bar gehen würde. Ich trinke nicht wirklich Alkohol, aber Nick hat mir erzählt, dass es in der Bar die besten Nachos gibt und auch viele antialkoholische Cocktails.

Nick wartet an der Bushaltestelle bereits auf mich und begrüßt mich mit einer Umarmung. „Freut mich, dass es geklappt hat", sagt er und wir schlendern durch die Gassen der Innenstadt. Wir reden über alles Mögliche und mir fällt immer wieder auf, wie offen Nick ist. Er steht zu seiner Liebe zu Katy Perry und weiß mehr über berühmte Tänzer als ich. „Warum bist du nicht im Tanzkurs?", frage ich ihn, als wir bei der Bar ankommen. „Ich bin nicht mit Talent gesegnet und ehrlich gesagt tun sich meine Eltern schon mit Katy schwer", sagt Nick grinsend und wackelt mit seinen Augenbrauen. Mit einem Mal verstehe ich, warum er mir von Anfang an so sympathisch war. Ihm geht es ganz genauso wie mir, nur dass er Tanzen statt Boxen liebt. Ich verkneife mir, ihn zu fragen, ob er andere Jungs süß findet und betrachte stattdessen die Bar. Wir gehen in einen netten kleinen Außenbereich und suchen uns einen Tisch. Nick übernimmt die Bestellung und ich vertraue einfach mal auf seinen Geschmack. Er erzählt mir von seinen Eltern und seiner großen Schwester, die bereits ausgezogen ist und in einer Stadt einige Stunden von hier entfernt studiert. Dann erzähle ich ihm von meiner alten Schule und von Sam. Es ist ein schöner Abend und ich bin froh, dass ich wohl meinen ersten echten Freund hier gefunden habe. Irgendwann muss ich auf Toilette und gehe dafür nach innen durch die Kneipe. In der Nähe der Bar werde ich plötzlich von einem Typen angelabert. „Hey Süße, Lust auf einen Drink?", fragt er und mir kommt eine strenge Fahne entgegen. „Nein, danke", presse ich heraus und will an ihm vorbei gehen, doch er versperrt mir den Weg. „Ach komm schon, wir haben hier doch alle Spaß zusammen", lallt er und grinst eklig. Die Situation ist mir wirklich unangenehm und ich suche hilfesuchend den Raum ab. Der Typ kommt einen Schritt auf mich zu und ich will zurückweichen, da stoße ich gegen jemanden. „Jack, lässt du meine Freundin bitte in Ruhe? Kriegst auch ein Bier aufs Haus", ertönt Milas Stimme hinter mir und ich spüre ihre Hand an meinem Rücken. Was macht sie hier? Arbeitet sie etwa an der Bar, obwohl sie minderjährig ist? Der Typ brummt unzufrieden, dreht sich dann aber wieder zu seinen Freunden um und lässt mich in Ruhe. Sofort zieht Mila mich an meinem Arm mit in einen Bereich, der nur für Mitarbeiter vorgesehen ist. Als sie in einer Art Vorratskammer stehenbleibt, reibe ich mir den Arm, an dem sie mich mitgezogen hat. „Was machst du hier?", fragt sie und sieht irgendwie wütend aus. „Ich bin mit Nick hier und ich könnte dich das Gleiche fragen." „Dann soll er gefälligst auch auf dich aufpassen", sagt sie genervt und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie trägt ein dunkles Shirt mit dem Namen der Bar auf der Brust, meine Frage hat sich wohl erledigt. Das Shirt steht ihr ziemlich gut, aber ich habe eh das Gefühl, sie könnte alles tragen. Ich mustere ihren gestressten Gesichtsausdruck und murmele: „Das erklärt zumindest, warum du heute nicht konntest." Milas Augen mustern mein Outfit und dann sagte sie: „Hast ja Ersatz gefunden." Ich runzele verdutzt die Stirn, ist sie etwa eifersüchtig auf Nick? Ein Teil von mir findet diese Vorstellung viel zu gut. Von der Bar aus ruft irgendwer nach Mila, sodass sie den Blick von mir löst und seufzt. „Dich wird keiner mehr anmachen, keine Angst", versichert sie mir und ich will mich bedanken, doch da ist sie schon wieder weg.

Nick bringt mich mit seinem Auto nach Hause und wir beschließen, uns jetzt öfter zu sehen. Ich habe ihm nicht von der Begegnung mit Mila erzählt, weil ich nicht weiß, wie er zu ihr steht. Sam schreibt mir, ob sie mich nächstes Wochenende besuchen kann und sofort kommt Vorfreude in mir auf. Ich brauche dringend mal wieder Zeit mit meiner besten Freundin. Vielleicht erzähle ich ihr dann auch von meinem völlig unangebrachten Gedanken in Bezug auf ein Mädchen, das mich vermutlich nicht mal mag.

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