Kapitel 56

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POV Taylor

„Fuck, das war heftig", sagt Sam, als ich mich frischgeduscht zu ihr setze. Sie hat den Kampf von der Tribüne aus beobachtet und war ähnlich schockiert wie ich. „Es wirkte so, als wärst du besser", meint sie und mustert mich prüfend. Ich seufze und beobachte Mila von Weitem, wie sie sich auf das bevorstehende Finale vorbereitet. Noch immer bin ich völlig durcheinander und kann nicht mit der Situation umgehen. Sie hier zu sehen, wirft mich einfach völlig aus der Bahn. „Ich bin besser als sie, aber nicht unter diesen Umständen. Ich liebe sie und ich habe ihr Herz gebrochen. Den Schlag habe ich mehr als verdient." Sam starrt mich erstaunt an und ihr Mund klappt auf. Einige Sekunden sieht sie mich nur an, dann findet sie ihre Sprache wieder: „Du liebst sie?" Frustriert streiche ich mir eine meiner nervigen Haarsträhnen hinters Ohr und brumme: „Ich würde alles für sie machen." Sam nickt nachdenklich und schaut herunter auf den Ring. „Dann wirst du sie heute auf keinen Fall gehen lassen, ohne mit ihr geredet zu haben." Sams Optimismus kann ich nicht wirklich teilen, sodass ich nur murmele: „Was hat das für einen Sinn." Sofort bekomme ich einen Schlag gegen mein Bein und Sam schüttelt den Kopf über meine Aussage. Ihr Schlag war nicht fest, trotzdem reibe ich mir meinen Oberschenkel.„Ich habe Augen im Kopf, die Spannung nach dem Kampf zwischen euch war bis hierher spürbar. Du bist ihr ganz sicher nicht egal." Nachdenklich mustere ich das dunkelhaarige Mädchen, das vor vielen Wochen mit mir in einem Bett lag. Sie steigt in den Ring, in dem ihre Gegnerin bereits auf sie wartet. Sicherlich bin ich ihr nicht egal, aber sie will trotzdem nichts mit mir zu tun haben. Außerdem kann ich sowieso nicht mit ihr zusammen sein. Ich sollte ihr lieber jede weitere Qual ersparen und sie in Frieden lassen. Die beiden Finalistinnen beginnen ihren Kampf und ich fiebere von der ersten Sekunde an mit. Ich ertrage es kaum, wenn Milas Gegnerin sie beinahe erwischt. Auch Sam ist Feuer und Flamme, sodass wir laut jubeln, als Mila einen Treffer landet. Der Kampf ist bis zum Ende spannend, doch schließlich kann Mila ihn tatsächlich für sich entscheiden. Ich spüre deutlich, dass Stolz mich erfüllt und ich ihr gerne sagen würde, wie gut sie war. Als ich sie beobachte, erkenne ich weitere Leute aus meinem alten Boxteam, die sie feiern. Als ich Nick unter ihnen erkenne, hält es mich nicht mehr auf meinem Platz.

Ich laufe die Tribüne herunter zu meinem alten Team, gefolgt von einer verwirrten Sam, die einige Leute beim Laufen anrempelt. Nick sieht mich, als ich nur noch einige Meter entfernt bin und breitet lächelnd seine Arme aus. Es tut unendlich gut, ihn zu umarmen, weil es sich ein bisschen nach Heimat anfühlt. Er riecht nach seinem typischen Aftershave und fragt sofort: „Wo hast du bloß gesteckt?" Einige andere aus dem Team nicken mir auch nett zu, Mila ist zum Glück gerade bei der Siegerehrung. „Wir sind wieder zurück gezogen und es ging alles sehr schnell. Leider konnte ich mich nicht verabschieden, das tut mir echt leid. Ich vermisse euch", erkläre ich ihm und Nick nickt verständnisvoll. Wir unterhalten uns kurz über die Schule, dann meint er: „Du hast dich wieder einmal von Mila verhauen lassen." Sein Grinsen erwärmt mir das Herz, doch gleichzeitig tut es unheimlich weh. Ich will etwas erwidern, doch da werde ich von einer Mitarbeiterin angesprochen. Sie bittet mich, ihr noch einige Daten zu geben, also folge ich ihr. Nach dem kurzen Gespräch mit der netten Frau, gehe ich zur Umkleide, um meine Tasche zu holen. Ich bin bereit, nach Hause zu fahren, bevor noch etwas Blödes passiert. Außer meiner Tasche steht nur noch eine andere auf den Bänken der kleinen Umkleide. Ich schnappe mir meine Sachen, dann fällt mein Blick auf die Klamotten neben der anderen Tasche. Es ist das Trikot meiner alten Schule und sofort erkenne ich auch die ausgewaschene Tasche wieder. Ich weiß genau, dass es falsch ist, aber meine Füße tragen mich von selbst zu ihr. Vorsichtig streiche ich über den Stoff des Trikots, auch ich hatte so eins. Neben dem Trikot und einigen weiteren Klamotten liegen Milas Ringe, die sie beim Kampf nicht tragen kann und meine Kette. Ich schlucke und greife nach dem Schmuckstück, das mich so viele Jahre lang begleitet hat. Wieso trägt sie sie noch immer? Ob Noah dafür verantwortlich ist und sie nur zu nett ist, sich zu wehren? Ich betrachte das Kreuz in meinen Fingern und spüre, dass es eine völlig andere Bedeutung für mich hat als früher. Wenn sie sich dadurch an mich erinnert, will ich die Kette nicht wieder haben. Vorsichtig lege ich sie zurück und versuche, mich zusammen zu reißen. Ich muss hier einfach nur schnell weg und wieder mein normales Leben leben. Schnell schultere ich meine Tasche und öffne ruckartig die Tür. Ich komme keinen Meter weiter, weil mir jemand viel zu schnell entgegenkommt und mich volle Wucht über den Haufen rennt. Ich knalle auf den Boden und die Person fällt auf mich drauf. Vermutlich hatte sie gerade die Tür öffnen wollen, als ich es getan habe. Bevor ich ihr Gesicht sehen kann, dringt ihr Duft in meine Nase und ich bekomme Gänsehaut an meinem ganzen Körper. Es ist Milas Körper, der gerade so dicht an mir liegt und mich halb zerdrückt. Sie stützt sich neben mir ab und drückt sich hoch. „Sorry", murmelt sie, als ihr Blick meinen trifft. Sofort weiten sich ihre Augen und sekundenlang starren wir uns nur an. Sie ist mir so nah wie seit Wochen nicht mehr und es fühlt sich unendlich vertraut an. Ihre Haare fallen ihr in die Stirn und es überkommt mich, dass ich meine Finger nach ihnen ausstrecke. Ich streiche durch die dunklen Strähnen und zu meinem Erstaunen lässt sie es zu. Es fühlt sich genauso wie früher an und ich muss all meine Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um sie nicht zu mir zu ziehen. Ich will mich bei ihr entschuldigen und ihr alles erklären, doch stattdessen kommt über meine Lippen nur: „Ich habe dich so vermisst." Meine Worte sind nur ein Flüstern, doch sie bewirken trotzdem etwas bei Mila.

Ihre Augen schimmern und ihr Atem wird kürzer, habe ich ihr auch gefehlt?

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