Kapitel 37

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POV Mila

Taylors Atem streift sanft meinen Hals, sie ist in meinen Armen eingeschlafen.

Nie zuvor hat jemand mit in meinem Bett geschlafen und unter anderen Umständen würde ich diese Nacht wirklich genießen. Ich bin froh, dass sie bei mir ist und ihre Körperwärme mich beruhigt. Trotzdem kann ich nicht einschlafen und habe immer noch Wut in mir. Gleichzeitig weiß ich nicht, wie es weiter gehen soll. Ich werde Noah nicht immer vor meinem Vater beschützen könne, schon heute hätte ich es allein nicht gekonnt. Es ist immer eine Möglichkeit, das Jugendamt einzuschalten, doch dann würden wir sicherlich getrennt werden. Kaum jemand möchte ein Mädchen in meinem Alter adoptieren, zumal ich nicht einfach bin und niemanden an mich heranlasse. Meine Mutter zu kontaktieren ist wohl kaum eine Option, dafür bin ich auch definitiv zu stolz. Außerdem will ich Noah keine falschen Hoffnungen machen. Er musste schon genug Enttäuschungen hinnehmen. Ich streichele durch Taylors blonde Haare und weiß nicht, womit ich sie verdient habe. Ich war lange nicht mehr so glücklich wie mit ihr, vielleicht sogar noch nie. Etwas in mir gibt mir das Gefühl, dass ich es kaputt machen werde, einfach weil ich immer alles ruiniere. Ich will sie nicht mit in mein Chaos hineinziehen, das hat sie nicht verdient. Ich weiß aber auch, dass ich sie nicht hergeben kann. Ich mustere ihre geschlossenen Augen und ihren Mund, der hin und wieder leicht zuckt. Vermutlich ist sie schon in der Tiefschlafphase und träumt etwas. Hoffentlich nichts vom heutigen Abend, der sie sicherlich verstört hat. Trotzdem ist sie noch bei mir und dafür bin ich ihr so dankbar. Sie ist der erste Mensch, dem ich seit langer Zeit mal wieder wirklich vertrauen kann. Sie wollte sich unbedingt meine Verletzungen ansehen, doch ich habe ihr versichern können, dass alles okay ist. Meine Hüfte tut weh und ist sicherlich blau, vielleicht habe ich mir sogar eine Rippe gebrochen. Nach dem Zähneputzen habe ich mir noch eine Schmerztablette eingeworfen, sodass es erträglich ist. Mein Vater schläft bei dem einzigen seiner Freunde, die er schon vor seiner Sucht hatte. Ein Typ namens Louis, der früher mal neben uns gewohnt hat. Ich mochte ihn immer und er ist der einzige, den ich anrufen kann, wenn gar nichts mehr geht. Er weiß genau, was mit meinem Vater los ist und nimmt ihn jederzeit bei sich auf. Zusätzlich ist er zwei Meter groß und muskulös, sodass er mit meinem betrunkenen Vater keine Probleme hat. Ich habe ihn vom Spielplatz aus angerufen und er war nach wenigen Minuten vor Ort. Während meine Gedanken um meinen Bruder und meinen Vater kreisen, fallen mir irgendwann doch die Augen zu.

POV Taylor

Verschlafen reibe ich mir die Augen, als sich neben mir etwas regt. Kurz bin ich verwirrt, dass ich nicht in meinem Bett liege, dann erinnere ich mich an die letzte Nacht. Ich richte mich auf und erkenne, dass Mila aufgestanden ist. „Sorry, ich wollte dich nicht wecken", sagt sie schuldbewusst. Ihre Haare sind ganz verwuschelt und man sieht, dass sie nicht lange geschlafen hat. Sie geht aus dem Zimmer, läuft dabei aber nicht wirklich rund. Schnell stehe ich auf und folge ihr ins Bad. Ich beobachte, wie sie eine Schmerzsalbe aus einem Schrank nimmt und sich dann auf den Rand der Badewanne setzt. Sie zieht sich ihr Shirt hoch und zum Vorschein kommt ein riesiges Hämatom, das gleichzeitig geschwollen ist. Mein Herz zieht sich bei diesem Anblick zusammen und ich muss schlucken. Schnell erkenne ich, dass sie es selbst nicht wirklich gut hinbekommt, die Creme zu verteilen. Kurzerhand gehe ich ins Bad hinein und setzte mich zu ihr. Sie zuckt zusammen, hatte mich scheinbar gar nicht bemerkt. „Es ist schon okay, Tay", sagt sie sofort und zieht ihr Shirt wieder herunter. Ich schüttele jedoch nur den Kopf und nehme ihr die Salbe aus der Hand: „Gib schon her." Widerwillig und nach kurzem Zögern zieht sie ihr Shirt wieder hoch. Vorsichtig mache ich mir etwas Salbe auf die Finger und verteile sie auf der blauen Haut. Hin und wieder zuckt Mila leicht zurück, beschwert sich jedoch kein einziges Mal. Ihre Haut ist ganz warm und normalerweise wäre es schön, sie so zu berühren. Unter diesen Umständen bringt es mich allerdings eher fast zum Weinen. „Hey", meint Mila und ich sehe zu ihr auf. „Hör auf mich so anzusehen", sagt sie und steht auf. Sie zieht mich an meiner Hand nach oben und legt ihre Stirn gegen meine. „Was ist dein Plan?", frage ich vorsichtig, während ich mit ihren Fingern herumspiele. Ich habe schon gestern Abend darüber nachgedacht, meine Tante anzurufen. Sie würde Mila und Noah sicher sofort bei sich aufnehmen. Sie wären dann in Sicherheit, aber ich bin mir sicher, dass Mila es nicht zulassen würde. Ich weiß, dass sie zu stolz ist, um meine Hilfe anzunehmen. „Ich bekomme das schon hin, mach dir keine Gedanken", meint sie und gibt mir einen kurzen Kuss. Dann geht sie zu Noahs Zimmer, um ihn zu wecken. Ich gehe währenddessen in die Küche und gucke, was ich den beiden zum Frühstück machen könnte. Ich finde nicht viel, aber zumindest etwas Toastbrot und Nutella. Also schmiere ich einige Toasts und bringe sie ins Wohnzimmer. „Guck mit mir Paw Patrol", sagt Noah ganz aufgeregt zu mir und zieht mich mit zum Sofa. Ich setze mich zu ihm und zusammen schauen wir fern und essen. Mila steht währenddessen in der Zimmertür an den Rahmen gelehnt und mustert uns beide lächelnd. Ich erwidere ihren Blick und halte ihr meine Hand hin. Sie nimmt sie und ich ziehe sie neben mich aufs Sofa. So kann ich mich an ihre Schulter kuscheln und meine Finger mit ihren verschränken. Noah beobachtet meine Geste und greift kurz entschlossen ebenfalls nach meiner Hand. Ich muss lächeln und streichele den Handrücken der kleinen Kinderhand. Er hat sich gestern Abend vor mich gestellt, um mich zu beschützen. Wie gerne würde ich diesem Jungen ein besseres Leben ermöglichen.

„Wieso trägt er eigentlich deine Kette?", flüstert Mila mir irgendwann zu und ich muss schmunzeln. Er hatte sie gestern Abend nicht zum Schlafen ausziehen wollen. Ich sehe in Milas Augen und grinse: „Hast du Angst, dass ich ihn bekehre?" Sie schmunzelt und beugt sich dicht an mein Ohr: „Das weiß ich schon zu verhindern." Ihre Stimme erzeugt eine Gänsehaut in meinem Nacken und ich drücke wie automatisch meine Lippen auf ihre. Sie ist mir so vertraut und es tut so gut, sie zu küssen. Nach wenigen Sekunden löst Mila sich von mir und sieht kurz etwas überrumpelt aus. Ihr Blick fällt auf Noah und mir wird jetzt erst klar, dass wir uns vorher nie vor ihm geküsst haben. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass es ein Problem für ihn sein könnte. Entschuldigend ziehe ich die Augenbrauen hoch, doch Milas Gesichtsausdruck wird schnell wieder entspannt. Die Sorge scheint völlig überflüssig, weil Noah es gar nicht seltsam findet. Tatsächlich hat er unsere Geste nicht mal wirklich wahrgenommen. Er sieht gebannt fern und hält dabei meine Hand fest in seiner. „Schön, dass du hier bist", sagt Mila leise und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. Ich lächele, ich würde nirgends lieber sein an einem Sonntagmorgen. Nach einigen Sekunden kapiere ich erst wirklich, dass Sonntagmorgen ist. „Verdammt", stoße ich unterdrückt aus, ich habe den Gottesdienst vergessen. Das ist mir noch nie zuvor passiert, ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht. Schnell stehe ich auf und sage: „Ich muss sofort nach Hause, meine Eltern werden sauer sein, weil ich den Gottesdienst versäumt habe." Mila versteht sofort und steht auf, um mir meine Sachen zu holen. Ich putze mir noch schnell die Zähne und verabschiede mich von Noah. Der steht auf und kommt zu mir gelaufen, um mir meine Kette zurück zu geben. Er legt sie in meine Hand und sieht dabei wieder ähnlich hilflos aus wie gestern Abend. Ich betrachte den Anhänger in meiner Hand, ich habe ihn von meinen Eltern zu meinem zwölften Geburtstag bekommen. Er bedeutet mir viel, doch ich brauche ihn nicht so sehr wie dieser Junge. Also nehme ich seine kleine Hand und lege ihn hinein. „Sie gehört dir", sage ich lächelnd und Noahs Augen beginnen sofort zu strahlen. Er schlingt seine Arme fest um meinen Hals und flüstert: „Danke, Tay." Mein Herz wird ganz warm bei seinem Anblick und ich sehe ihm lächelnd hinterher, als er zurück ins Wohnzimmer läuft. „Da hast du jemanden sehr glücklich gemacht", meint Mila hinter mir und lächelt mich warm an. Ich erwidere ihr Lächeln und meine: „Es ist das Mindeste. Wenn es ihm Hoffnung gibt, ist es das wert." Mila nickt und kommt einen Schritt auf mich zu. „Ich weiß, du musst los, aber das muss ich trotzdem noch machen", sagt sie und zieht mich an meinem Shirt zu sich. Sie küsst mich innig und sofort schlinge ich meine Arme um ihren Hals. Ich weiß, dass nach dieser Nacht alles anders zwischen uns ist. Ich weiß jetzt, dass sie mir vertraut und es keine Grenzen mehr gibt, die ich aus Versehen überschreiten könnte. Ich habe das Gefühl, sie viel besser zu kennen als jeder andere. Es fällt mir schwer, den Kuss zu unterbrechen, weil ich ihr am liebsten noch näher wäre. Schließlich löse ich mich trotzdem von ihr und streichele ihre glühende Wange.

„Wir sehen uns morgen", hauche ich und sie nickt lächelnd.

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