Kapitel 6

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Am nächsten Morgen bin ich wie immer zu spät dran, als ich außer Atem am Schulhof ankomme. Noah hat mal wieder ohne Ende getrödelt, sodass ich vom Kindergarten her laufen musste, weil ich den Bus verpasst habe. Ich streiche mir meine Haare aus dem Gesicht, die ich mir heute Morgen mehr schlecht als recht zusammengebunden habe. Als ich in der Klasse ankomme ist Taylor natürlich schon da und hat alles für den Unterricht bereitliegen. Wie kann man so ein Streber sein? Ihr Blick trifft meinen kurz und sofort verengen sich ihre Augen. Ich beschließe, sie einfach zu ignorieren, weil ich dafür heute echt keinen Nerv habe. Im Unterricht kritzele ich nur auf meinem Block herum und beobachte Taylor hin und wieder dabei, wie sie konzentriert mitschreibt. Wenn sie nachdenklich auf ihren Kugelschreiber beißt, sieht sie aus wie die typische Tussi aus jedem Teenie-Film. Ihre Haut hat keinen einzigen Makel und ihre Haare sind naturblond wie pures Gold. Irgendwas unterscheidet sie von den anderen Mädchen im Tanzteam, doch ich weiß nicht was es ist. Zum Glück geht der Tag schnell vorbei und ich kann nach Hause.

POV Taylor

Heute steht das nächste Boxtraining an und meine Lust hält sich ziemlich in Grenzen. Das Tanztraining am Tag zuvor war relativ anstrengend, aber am meisten hat mich das Gerede angestrengt. Lea und die anderen haben über alle möglichen Leute gelästert und auch Milas Name fiel. Sie haben sich über ihre Sexualität lustig gemacht, was mich echt genervt hat. Ich bin schon immer von Leuten umgeben gewesen, die Homosexualität verurteilen und habe es nie verstanden. Leider bin ich aber auch zu feige, um mein Wort gegen irgendwen zu erheben. Also habe ich nur stumm zugehört und mir meinen Teil gedacht. Sie haben mich gefragt, ob ich einen Freund habe und ich habe mir aus Panik einen ausgedacht. Natürlich wollten sie dann alles ganz genau wissen, sodass ich mich immer weiter in Lügen verirrt habe. Zumindest scheinen sie mich jetzt als eine von ihnen zu akzeptieren. Im Boxteam habe ich mich wohler gefühlt, allerdings nicht in Milas Nähe.

Sie lehnt an der Außenwand der Halle, als ich eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn zum Eingang laufe. Als sie mich sieht, schnipst sie den Rest ihrer Zigarette weg und schultert ihre Tasche. „Dann los", murmelt sie und wir gehen in die Umkleide. Dort setze ich mich möglichst weit von ihr weg und bemühe mich, sie nicht einmal anzusehen. Schließlich stehen wir in der Halle und nach einem kleinen Aufwärmen, schmeißt sie mir Handschuhe hin. Sie mustert mich kurz und zieht sich selbst dann ebenfalls Handschuhe an. Dann steigen wir in den Ring und sie zeigt mir kurz, wie ich die Deckung halten soll. Tatsächlich ist sie heute weniger genervt und was sie mir zeigt, ist nicht mal schlecht. Sie muss ebenfalls schon ziemlich lange boxen. Es tut mir fast ein bisschen leid, dass ich sie verarscht habe. Dann stellt sie sich jedoch vor mich und meint: „Ich will dir nicht weh tun, also werde ich dich nicht angreifen." Ich ziehe meinen einen Mundwinkel leicht nach oben und erwidere: „Du kannst gerne dein Glück versuchen." Sie runzelt leicht die Stirn, vermutlich weil ich nicht mehr so dämlich rede wie letztes Mal. Ich schlage zunächst nur leicht gegen ihre Deckung, was sie wieder überheblich werden lässt. In dem Moment, in dem sie nicht richtig aufpasst, versetze ich ihr einen Schlag gegen die Rippen. Sie keucht auf, steht aber innerhalb von Sekunden wieder aufrecht und in ihren Augen sehe ich Erstaunen aufblitzen. Sofort schlägt das Erstaunen in Wut um und Milas Körper spannt sich an. Mein Mundwinkel zuckt leicht, jetzt nimmt sie mich also ernst. Sie setzt zum Gegenangriff an, doch ich kann ihn parieren und versetze ihr einen Schlag in den Bauch. Wieder richtet sie sich schnell wieder auf, was ich so nicht erwartet habe. Mit einem schnellen Schlag trifft sie mich in die Seite und ich schnappe nach Luft. Als ich wieder aufschaue, sehe ich, dass keine Überheblichkeit mehr in Milas Augen zu erkennen ist. Sie wirkt konzentriert und so duellieren wir uns einige Minuten. Sie greift an, ich wehre ab und andersherum. „Du hast mich verarscht", raunt sie mit dem Blick auf meinen Händen. „Ich habe dir nur gegeben, was du wolltest", erwidere ich und setze einen Schlag, den sie mit einem Reflex abwehrt. Ich bin überrascht als Mila leicht grinst und es reißt mich für einen Moment aus meiner Konzentration. Ich habe sie noch nicht einmal Lächeln sehen und ich muss sagen, ihr Lächeln ist verdammt anziehend. Sie wirkt wie eine völlig andere Person und mit einem Mal nervt sie mich nicht mal mehr. Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, trifft mich ihre Faust am Kinn und ich falle hin. „Fuck", stöhne ich auf und fasse mir an mein Kinn. Ich habe mich von ihr ablenken lassen, so etwas ist mir noch nie im Ring passiert. „Darfst du so was sagen?", fragt eine belustigte Stimme über mir. Ich verdrehe die Augen über Milas Kommentar zu meinem Glauben, nehme aber die Hand, die sie mir hinstreckt. Sie hilft mir hoch und plötzlich stehe ich nur wenige Zentimeter vor ihr. Ich kann ihre grünen Augen zum ersten Mal richtig sehen und ihr Parfum riechen. Sie starrt mir in die Augen, in ihren erkenne ich immer noch die Belustigung. Sie sieht so viel besser aus, wenn sie nicht genervt ist. Ein Schweißtropfen läuft über ihre Stirn und sie atmet schwer durch die Anstrengung. Selbst wenn ich es nicht zugeben möchte, der Kampf gerade hat Spaß gemacht. Ich spüre noch immer das Adrenalin in mir. Als die Tür der Halle mit einem lauten Knall aufgestoßen wird, lässt Mila mich sofort stehen und läuft raus aus dem Ring. Ich seufze und ziehe die Handschuhe aus, während ich zu Nick laufe. „Junge, hat sie dich direkt mal verhauen?", fragt er und deutet auf mein Kinn. Ich gehe in die Kabine und sehe, dass ich eine Schramme im Gesicht habe. Es ist mir egal, dass sie wehtut, aber sie darf vor meinen Eltern nicht zu sehen sein.

Nach dem Training bleibe ich etwas länger in der Kabine und versuche die Stelle abzudecken. Mila läuft an mir vorbei und mustert meine Schminkversuche. „Für eine Sekunde dachte ich schon, du wärst keine von den Barbies." Damit lässt sie mich stehen und ich sehe ihr verwirrt nach. Irgendetwas in mir freut sich darüber, dass sie mich scheinbar kurz okay fand. Ein anderer Teil von mir ist absolut wütend, dass sie mich einfach so verurteilt. Ich bin sicher nicht so wie die anderen aus dem Tanzteam, nur erklären kann ich es wohl kaum. Als man die Schramme nicht mehr sehen kann, mache ich mich auf den Heimweg und versuche nicht an den Anblick von Mila nach unserem Kampf zu denken. Wenn ich daran denke, frage ich mich, wie ich sie im Sekretariat für einen Jungen hatte halten können. Ihre Gesichtszüge sind viel zu fein und weich für die eines Mannes und sie ist zwar muskulös, aber hat trotzdem weibliche Rundungen. Ich vergrabe mein Gesicht zuhause in meinem Kissen, warum denke ich so etwas.

Kann sie mir nicht einfach egal sein? Mir darf nicht wieder so etwas passieren....

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