Kapitel 29

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POV Mila

Jean ist wirklich nett und herzlich, Taylor hat nicht untertrieben. Sie will uns mit Essen vollstopfen, obwohl wir uns mit Anna und Lars in einem Restaurant verabredet haben. Ich bin ihr wirklich dankbar, dass sie auf Noah aufpasst und bin erleichtert, dass sich mein Bruder scheinbar echt wohlfühlt. Tony, der kleine Mischlingshund, weicht ihm nicht mehr von der Seite und er beachtet mich gar nicht. Ich gebe Jean noch sein Lieblingsbuch für später und lasse mir von Noah versprechen, dass er sich benimmt. Dann machen Taylor und ich uns fertig und fahren mit der S-Bahn in die Innenstadt.

„Denkst du Lars trägt wieder seinen schicken Anorak?", fragt Taylor mich, während wir nebeneinander in der relativ vollen S-Bahn sitzen. Ich muss leicht schmunzeln: „Solange er dich nicht wieder vor Anna anmacht, kann er auch in einem Müllsack kommen." Sie lächelt mich an und lehnt ihre Schulter leicht gegen meine. Ein kleines Zeichen ihrer Zuneigung, das mir viel bedeutet. Ich weiß, dass Taylor in der Öffentlichkeit nicht zeigen kann, dass sie mich mag. Bestimmt wird sie es auch nicht vor ihrer Tante zeigen, selbst wenn sie nicht so religiös ist. Ich will dieses Wochenende mal nicht darüber nachdenken, ob Taylor mich wirklich mag. Ich will einfach nur genießen, dass ich mir mal keine Sorgen um meinen Bruder und meinen Vater machen muss. Bei der nächsten Station steigen wir aus und schnell erkenne ich Anna, die uns lächelnd zuwinkt. „Hey", sagt Lars, als wir bei den beiden ankommen und mustert Taylor mal wieder einen Tick zu lang. Es nervt mich echt, dass er so ist, weil ich mir wünsche, dass Anna Taylor irgendwann leiden kann. „Deine Haare sind cool", sagt Lars an mich gerichtet und ich zwinge mir für Anna ein Lächeln ab. „Danke", presse ich heraus und bin echt froh, dass wir in Richtung des Restaurants gehen. Beim Essen erzählt Lars die ganze Zeit etwas über sein tolles Studium, aber zumindest entsteht so keine unangenehme Stille. Ich fühle mich relativ schnell wie die dämlichste Person im Raum, weil Taylor erstaunlich viel über den menschlichen Körper weiß. Sie ist und bleibt ein Streber, aber sie ist auch einfach wirklich intelligent. Anna spielt Lars großem Ego immer schön in die Karten, obwohl ich genau weiß, dass sie nicht so dämlich ist, wie sie sich gibt. Zum Glück dauert das Essen nicht allzu lang und wir ziehen weiter in einen Club. Die Großstadt gefällt mir richtig gut, weil man schön unter den Menschen verschwindet und nicht auffällt. Die anderen holen sich Cocktails, während ich eine Cola trinke. Taylor zögert beim Bestellen und wirft mir einen fragenden Blick zu. Irgendwie finde ich es süß, dass sie Rücksicht auf mich nehmen will, aber es stört mich nicht, wenn sie etwas trinkt. „Ist Alkohol eine Sünde?", necke ich sie und bringe sie damit zum Schmunzeln. Sie verdreht ihre Augen und bestellt das gleiche wie Anna. Lars trinkt Wein, was in diesem Club einfach total unpassend ist. Anna hat ihn ausgewählt und ich wette, dass Lars hier noch nie vorher war. Die Menschen hier drin sind bunt und verrückt und ich liebe es. Lars schwafelt irgendwas über die soziale Schicht, die sich hier herumtreibt und ich verdrehe die Augen über ihn.

„Komm, du schuldest mir noch einen Tanz", sagt Taylor und greift nach meiner Hand. Ich will mich wehren, doch eigentlich ist es schöner, mit ihr zu tanzen, als bei Lars und Anna stehen zu bleiben. Also folge ich ihr und versuche nicht wie ein kompletter Vollidiot auszusehen. Taylor lässt meine Hand nicht los, was mir etwas Sicherheit gibt. Sie führt mich ein wenig und sieht wie immer super beim Tanzen aus. Nach einigen Minuten werde ich etwas lockerer und es macht wirklich Spaß. Die Musik ist richtig gut und ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so frei gefühlt habe. Taylors Augen strahlen und sie lächelt mich ständig an, was mein Herz zum Hüpfen bringt. Sie trägt ausnahmsweise kein rotes Oberteil, sondern ein dunkelblaues. Es steht ihr richtig gut und betont ihre sportliche Figur. Irgendwann machen wir eine kleine Pause und Taylor holt sich noch ein Getränk. Lars und Anna sitzen in einer Sitzecke und sind mit sich beschäftigt. Schnell sehe ich weg und gehe zu Taylor, die gerade von einem Typen angequatscht wird. Er flirtet mit ihr, doch sie scheint es nicht wirklich zu kapieren. Dieses Mädchen würde auch zu jedem Typen ins Auto steigen, der ihr sagt, dass er Süßigkeiten dabei hat. Ich stelle mich zu ihr und sie reicht mir lächelnd die Cola, die sie mir scheinbar gekauft hat. „Oh, ist das deine Freundin?", fragt der Typ überrascht und stellt damit eine ziemlich schwierige Frage. Wir haben nicht ein Mal darüber geredet, was das zwischen uns bedeutet. Mir ist aber sehr klar, dass wir nicht öffentlich zusammen sind. Also schüttele ich den Kopf, bevor Taylor irgendwas sagen muss. „Alles gut", sage ich, auch wenn ich das nicht denke und nehme meine Cola. Dann gehe ich in Richtung von Lars und Anna, obwohl ich da eigentlich nicht hin will. Ich stelle mich an einen Stehtisch, einige Meter von ihnen entfernt. Sie sind so miteinander beschäftigt, dass sie mich gar nicht bemerken.

Also schaue ich mir die tanzenden Leute an und trinke etwas von meiner Cola. Es lässt mich nicht kalt, dass jemand mit Taylor flirtet. Am liebsten hätte ich sie sofort von ihm weggezerrt, aber ich will meine Eifersucht nicht so offen zeigen. Außerdem glaube ich nicht, dass Taylor mir gehört, nur weil wir uns gut verstehen. „Hey, ganz allein hier?", spricht mich eine junge Frau an, die vielleicht Anfang zwanzig ist und ein Piercing in ihrer Nase hat. Ich lasse meinen Blick zu Taylor schweifen, die noch immer mit dem Typen redet. Also nicke ich und sie fragt mich, ob ich hier wohne. Wir kommen etwas ins Gespräch und ich erfahre, dass sie Kira heißt und den gleichen Studiengang besucht wie Lars. Das bedeutet zumindest, dass nicht alle Medizinstudenten so bescheuert aussehen. Kira empfiehlt mir noch weitere Clubs und erzählt mir etwas über ihr Studium. Bei ihr drehen sich die Geschichten aber um Skandale und Partys und nicht wie bei Lars um Noten und Klausuren. Ich muss über ihre Erzählung lachen und Kira grinst, während sie an ihrem Cocktail trinkt. Wäre Taylor nicht, hätte ich sie längst angemacht, da bin ich mir sicher. Ich scheine mich wirklich verändert zu haben, denn ich sehe Kira nicht auf diese Weise an. „Doch nicht allein hier?", fragt sie und sieht an mir vorbei. Ich runzele die Stirn, als ich eine Hand in meinem Rücken spüre und im nächsten Moment Taylors Duft einatme. Sie stellt sich neben mich und wirft Kira einen warnenden Blick zu. „Nein, ist sie nicht", sagt sie und ich sehe in ihren Augen, dass sie leicht angetrunken ist. Sie nimmt meine Hand und ich frage mich, ob das gerade wirklich passiert. Ist Taylor eifersüchtig und verteidigt gerade ihr Revier? Kira lächelt mir nochmal zu und macht sich dann aus dem Staub. Ich drehe mich zu Taylor und mustere sie: „Was war das?" Sie sieht mir in die Augen und ich spüre sofort die Spannung zwischen uns. All die Leute scheinen für einen Moment um uns herum zu verschwinden und es gibt nur sie und mich. „Hey Taylor, du hast deinen Drink vergessen", höre ich den Typen von eben irgendwo in unserer Nähe sagen. Doch Taylor ignoriert ihn, macht einen Schritt auf mich zu und schlingt ihre Arme um meinen Hals. Ich schmecke den süßlichen Geschmack ihres Cocktails, als sie ihre Lippen auf meine legt und ihre Zunge meine berührt. Sofort ziehe ich sie dichter zu mir und erwidere den Kuss. Ich spüre den Bass in mir genauso heftig wie mein Herz schlagen. Ihre Lippen machen mich süchtig und ich will sie ganz für mich allein haben. Nie zuvor habe ich mich jemanden so verbunden gefühlt wie in diesem Moment. Ich wollte sie schon den ganzen Abend küssen, doch nie hätte ich gedacht, dass sie es auch möchte. Erst nach einer viel zu kurzen Ewigkeit lösen wir uns voneinander und ich sehe schweratmend auf sie herab. Noch immer liegen ihre Arme um meinen Hals und meine an ihrer Hüfte.

POV Taylor

Ich sehe auf in Milas Augen und ein kleines Lächeln legt sich auf meine Lippen. Sie erwidert es sofort und ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich war. Ich musste es einfach tun, ich musste ihr zeigen, dass sie mir gehört. Die Eifersucht hat mich zum Kochen gebracht, als diese Frau mit ihr geflirtet hat. Erst dann habe ich kapiert, dass ich selbst mit einem Typen geredet habe, der scheinbar was von mir wollte. „Ich wusste, dass bei euch was läuft", ertönt Annas Stimme neben uns und bringt uns dazu, uns voneinander zu lösen. Mila sieht mich entschuldigend an, doch es stört mich gar nicht, dass Anna es weiß. Vielleicht mag sie mich dann etwas mehr und Lars sieht mich dann vielleicht weniger unangebracht an. „Wir sind müde und machen uns heim", erklärt sie und die beiden verabschieden sich von uns. Wir beschließen, ebenfalls den Club zu verlassen und zu dem Haus meiner Tante zu laufen. Es ist kein kurzer Weg, doch ich fühle mich beflügelt und Mila hat nichts dagegen einzuwenden. Außerdem kann ich dann vielleicht ein wenig ausnüchtern.

Nach einigen Straßen greife ich nach Milas Hand und sie lächelt darüber. Ich liebe es ihre Hand zu halten, so weiß ich, dass sie nicht abhaut. Ich erzähle ihr von dem ewigen Streit zwischen meiner Mutter und Tante Jean und sie hört aufmerksam zu. Dann laufen wir einige Straßen ohne zu reden, bis Mila irgendwann meint: „Ich habe meine Haare geschnitten, weil ich nicht wie meine Mutter aussehen will." Erstaunt sehe ich sie an, ich hätte nicht erwartet, dass sie mir von ihrer Mutter erzählt. „Sie hat meinen Vater verlassen, als mein Bruder gerade ein halbes Jahr alt war. Sie hat sich irgendeinen reichen Börsentypen geangelt und lebt in Ruhm und Reichtum. Keinen einzigen Brief hat sie je geschrieben, nicht mal zu Noahs Geburtstag." Tränen sammeln sich in meinen Augen bei ihrer Erzählung. „Mein Vater hat sie von ganzem Herzen geliebt. Er wird Noah nie so lieben können, weil er ihm die Schuld für seinen Verlust gibt." Ich schlucke und bleibe stehen, um Mila in meine Arme zu ziehen. Wir sind mittlerweile nur noch wenige Meter vom Haus meiner Tante entfernt und es ist schon spät. „Du tust alles, was du kannst", flüstere ich Mila zu und spüre, wie sie sich dicht an mich schmiegt. In diesem Moment spüre ich deutlich, wie wichtig sie mir geworden ist.

Ich weiß, dass ich sie und ihren Bruder um jeden Preis beschützen werde.

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