Kapitel 2

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P e r c i v a l

„Dad...", jammere ich. „Muss ich denn da wirklich mit? Du weißt doch, dass mir sowas gar nicht liegt." Schon die ganze Zeit verfolge ich meinen Vater mit dem Blick, während er hektisch einen geeigneten Anzug für mich sucht. Mit verschränkten Armen stehe ich im Türrahmen und versuche mich an meinem besten Hundeblick, der meistens auch funktioniert, doch heute will er einfach nicht nachgeben. „Nein, du kommst mit, Ende." „Aber warum denn?!", nur knapp kann ich es vermeiden mit meinem Fuß auf den Boden aufzustampfen, wie ein kleiner Junge. „Fallon hätte seinen Sohn mitgenommen, aber... du weißt das doch. Er hat mich darum gebeten, um die Jugend zu repräsentieren. Und dich kennt er wenigstens schon länger." Seufzend gebe ich nach, es war nur eine Frage der Zeit, bis er mit dieser tragischen Geschichte antanzen würde, denn er weiß, das es mir nach all den Jahren noch immer so unglaublich leid tat. „Dir ist aber schon klar, dass ich ein Omega bin und mich zu repräsentieren von Schwäche zeugt?" Ruckartig hält mein Vater inne und sieht mich streng an. „Bezeichne dich nicht als schwach! Du bist intelligent, talentiert, freigeistig und so unfassbar rein, dass ich mir niemand anderen vorstellen könnte, der geeigneter ist, als Rudelmitglied repräsentiert zu werden. Hör auf dich immer schlechter zu machen als du bist, denn du bist wunderbar so wie du bist!", mein Vater drückt meine Schulter fest und sieht mir in die Augen. Ich muss schlucken, allen voran wegen seiner Worte, die mich wieder einmal einsehen lassen, wie wichtig mir mein Vater ist. Ergebend nicke ich. „Gut, nun zieh das an", er hält mir ein schwarzes Sakko mit einem rosa Hemd an die Brust. „Dad! Mit diesem Hemd kann ich mir gleich auf die Stirn schreiben ‚Ich bin schwul'!", krächze ich und deute auf das pastellrosafarbene Etwas. „Jetzt hab dich nicht so! Das wird dir stehen!", seufzend gehe ich mit den Sachen in mein Zimmer. Schnell schlüpfe ich noch in eine Jeans, ehe ich die anderen Sachen drüber ziehe. Mein Dad hat Recht behalten, es steht mir, doch ich sehe trotzdem schwul darin aus. Nicht dass ich etwas dagegen hätte, doch ich werde mich in einem Raum mit vier Alphas und einigen dominanten Betas befinden, es ist unmöglich dabei nicht einzugehen.

~

„Hör mal, das Treffen ist unglaublich wichtig", murmelt mein Vater, während er das Radio leiser dreht und wir fast am Rathaus ankommen. Einige fremde Autos stehen schon da und wecken in mir eine all umfassende Nervosität. „Warst du deswegen die ganze Woche so nervös?" Er kratzt sich verlegen am Hinterkopf und parkt perfekt ein. „Ja. Es geht um die Zukunft der ganzen Stadt", erklärt er, streicht über das Lenkrad vor sich und schaut gedankenversunken aus der Windschutzscheibe. „Okay, ich werde mich benehmen", sage ich halb zum Scherz, um ihn ein bisschen zu beruhigen, da ich mich nie daneben benehmen würde. Dafür hat mich mein Dad zu gut erzogen. „Ich weiß mein Großer, nur will ich, dass du aufpasst. Dort sind gefährliche Männer." „Gefährliche Männer?", frage ich verwirrt. „Sie kommen aus dem Blackwater."
„Oh", erwidere ich nur. Man hört so einige Geschichten über das Rudel und dessen Alpha. Es grenzt an unserem und soll sehr mächtig sein, besonders ihr Alpha, der für sein Alter wohl nicht zu unterschätzen sei. Und das Wort mächtig ist gewiss nicht gleichzusetzen mit nett, sondern bedeutet skrupellos. Hart schlucke ich, denn ich als Omega bin wie Frischfleisch. „Das... Das wird schon", sage ich mehr zu mir selbst als zu meinem Dad, doch er nickt und zusammen steigen wir aus.

Es ist so langweilig. Beinahe muss ich mir ein Gähnen verkneifen. Mittlerweile hat mich mein Dad, zusammen mit unserem Alpha, den restlichen Personen vorgestellt und was soll ich sagen, man könnte meinen, sie haben sich ein Lachen verkneifen müssen, als sie mich gesehen haben. Etwas Abscheu, Ekel und Belustigung schwang in jedem verdammten Gesicht mit. Sie alle miteinander sind so unfassbar von sich selbst überzeugt, dass mir schlecht wird. Mit ihrem Tausend-Dollar-Anzug stehen sie da und unterhalten sich mit ihresgleichen, während sie  ein Glas Sekt in der Hand halten. Dass ich hier unbedingt weg will, ist noch eine Untertreibung, denn ich fühle mich so unfassbar unterdrückt. Doch sie alle warten auf diese eine Person, die bisher noch nicht aufgetaucht ist. Immer wieder schaut Fallon auf seine Uhr und nervös auf die hölzerne Eingangstür. Ich schaue auf meine abgewetzten Schuhe. Dringend sollte ich mir ein neues Paar holen, auch meine Jeans ist schon ziemlich ausgewaschen. Eigentlich mache ich mir nicht viel aus meinem äußeren Erscheinungsbild, das habe ich noch nie. Meine Haare sind kurz und immer absolut durcheinander. Früher hat mein Dad immer gesagt, ich habe die süßesten Knopfaugen der Welt, ob das wohl immer noch so ist? Generell sehe ich aus, als wäre ich nie in meine Pubertät gekommen.
Plötzlich ergreift uns allen Anwesenden im Raum eine einnehmende Kälte, die sich sogleich in brühend heiße Hitze wandelt. Mein Blick ruckt auf, als laut die großen Flügeltüren zu unserem Raum aufgestoßen werden. Sofort würde ich nichts lieber tun, als mich niederzuknien. Woher um Gottes Willen kommt dieser Gedanke? Doch ein schneller Seitenblick in die anderen Gesichter verrät mir, dass ich definitiv nicht der einzige bin, der das denkt. Sofort zuckt mein Blick wieder auf den Mann vor mir. Er ist einfach... Wow. Seine Ausstrahlung haut mich beinahe um. Diese dunkle, klare, beängstigende Aura nimmt mich vollkommen ein. Sein Gesicht ist angespannt und finster. Scharfe Wangenknochen, eine gerade Nase und pechschwarze Haare, die perfekt auf seinem Kopf liegen. Würde ich nicht absolute Angst verspüren, würde mein funktionierender Verstand ihn wohl als verdammt attraktiv bezeichnen. Sein riesiger Körper, der von einem dunkelblauen, fast schwarzen Anzug verdeckt wird, untermalt diese Empfindung. Eine wirklich unfassbar teuer aussehende Armbanduhr ziert sein kräftiges Handgelenk. Selbst seine Schuhe glänzen perfekt, ohne einen Krümel. Verdammt, warum mustere ich ihn überhaupt so, sowas mache ich doch sonst auch nicht! Instinktiv senke ich den Blick und rutsche weiter hinter meinen Vater. „Mr. Cartwright", begrüßt ihn mein Alpha, soweit ich erkennen kann, denn ich luge nur unter dem Arm meines Vaters hervor. Wie ein Kleinkind, beschimpfe ich mich selbst. „Wollen Sie einen Sekt?", bietet ihn Fallon an. „Scotch, Single Malt, Macallan, wenn Sie haben", gibt er konkrete Anweisungen und ich bekomme eine Gänsehaut von seiner tiefen, rauen und männlichen Stimme, die mich auffordert, mich zu unterwerfen. Verdammtes Omega-Wesen! „Ich... Ich werde schauen, ob ich welchen da habe." Erhaben blickt er durch die Leute, ehe er bei meinem Dad hängen bleibt. „Äh...", stottert mein Vater. „Trever Dawn", stellt er sich vor und schüttelt ihm die Hand. „Und das ist mein Sohn", fast schon gewaltsam zieht mein Dad mich am Ärmel vor. Etwas ungeschickt stolpere ich nach vorne und sehe kurz schnaufend zu ihm, ehe ich dem Mann vor mir die Hand hin strecke. „Percival Dawn, aber Percy reicht völlig", sage ich strahlend und als er meinen Händedruck erwidert, sehe ich zum ersten Mal hoch in seine Augen. Wie ein Blitz fährt es durch meinen Körper, als meine dunkelbraunen Augen auf seine eisblauen treffen. Eisblau? Verdammt das ist grau! Oder grau-blau? Doch sie sind so unfassbar hell, beinahe könnte ich mich von ihnen blenden lassen. Unfassbar! So wunderschöne Augen habe ich noch nie gesehen. Augen haben mich schon immer fasziniert, doch diese... sind so... einzigartig. Sein Handdruck wird kurzzeitig sehr fest und ein gewaltiger Schatten überfliegt sein Gesicht, außerdem fangen seine Augen an zu glänzen. Es sieht fast so aus, als würde das Hellblau wie von einer Welle aus Rot überfallen werden, doch da schließt er für eine Millisekunde seine Augen, ehe er ruckartig seine Hand wieder von mir löst. „Ares Cartwright", stellt er sich dann doch noch vor. Ares... Gott des schrecklichen Kriegs.

Es ist beinahe merkwürdig, wie oft ich seinen Blick auf mir spüre. Den gesamten Abend. Ich kann jedoch absolut nicht ergründen, ob im positiven Sinne oder im negativen. Aus einem unerklärlichen Grund wünsche ich mir den positiven. Eigentlich unterhalte ich mich nur mit meinem Dad, weil die anderen mich absolut nicht wahrnehmen und mir, seit Mr. Cartwright aufgetaucht ist, nichtmal mehr angewiderte Blicke schenken. „Vielleicht sollten wir gehen. Was hältst du davon?", fragt mich mein Vater und ich lächle ihn überglücklich an. „Ja, bitte, ich bin schrecklich müde", murmle ich und unvermeidbar reibe ich mir über die Augen. Mir kommt es so vor, als wäre ich eines dieser Kleinkinder,  die irgendwann einfach einschlafen, obwohl um ihnen die wildeste Party gefeiert wird. Er tätschelt kurz meine Schulter, „Ich sag nur schnell Bescheid, okay?". Müde sehe ich ihm hinterher und gähne herzhaft. „Müde?" Heftig zucke ich zusammen und sehe hoch zu dem mindestens zwei Köpfe größeren Mann. „Ja", ich lächle schwach und kratze mich am Nacken, da es mir irgendwie unangenehm ist. Immerhin werde ich in einem Monat achtzehn und sollte hier nicht gleich wie ein Kleinkind vor allen einschlafen. „Gehst du noch zur Schule?" Verwirrt sehe ich zu ihm auf, da es mich wirklich wundert, dass er mit mir spricht. „Äh... ja, ein paar Monate noch", erkläre ich ihm. „Also bist du noch siebzehn?" Sofort nicke ich. „Ja, aber ich werde in einem Monat achtzehn",  strahle ich und als ich hoch in seine Augen sehe, schimmern sie wieder so ungewöhnlich. „Was willst du nach der Schule machen?" Es verwundet mich wirklich zutiefst, warum er sich so für mich interessiert. Ich meine, ich fühle mich geschmeichelt, denn kein anderer außer mein Dad interessiert sich für meine Pläne, weshalb seine Frage mehr als sonderbar ist. „Ich...", sogleich wechselt mein Blick in einen verträumten, den ich immer bekomme, wenn ich über meine Zukunft nachdenke. „Ich will umherreisen, mir Inspirationen holen", erzähle ich. „Inspirationen?" „Ja, später will ich mal Gärten designen." „Gärten?" „Ja!", und dann verfalle ich in mein Erzähler-Modus und erkläre ihm bis ins kleinste Detail, was ich später machen möchte und was ich bei unserem Garten schon alles probiert habe. Ich erzähle ihm sogar von meiner Arbeit und welche Erfahrungen ich schon gesammelt habe und wie unglaublich viel Spaß mir das alles macht.
„Oh", peinlich berührt sehe ich zu ihm auf, als ich mit meiner wild gestikulierenden Erzählung geendet habe. „Ich... wollte nicht so ausschweifen." Kurz scheint es mir, als würde Belustigung über sein Gesicht fliegen, da kann ich mich aber auch irren. „Kommst du Großer?", fragt mich mein Dad und ich sehe zu ihm, als er sich dann noch von Mr. Cartwright verabschiedet. „Ja...", ich nicke und wende mich wieder zu dem großen Mann. „Es hat mich wirklich gefreut Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir", sage ich und reiche ihm zum Abschied die Hand. Kurz schaut er unentschlossen zu dieser, ehe er sie zögerlich ergreift und sich sein Gesicht wieder verspannt. „Mich... auch", er zieht seine Augenbrauen kurz zusammen. „Ich hoffe Ihre Träume gehen in Erfüllung." Ich lächle ihn ehrlich an. „Das wünsche ich Ihnen auch", und dann gehe ich mit meinem Vater davon und verlasse den Raum, wo mir der Mann mit den unergründlichen Augen hinterher sieht.

Black DepthsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt