Kapitel 39

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P e r c i v a l

Alles um mich wirkt so dunkel, schwarz, trostlos. Mir ist kalt, Angst nimmt von mir Besitz und ich sehe mich hektisch um, in der Hoffnung, ein Licht zu finden. Immer wieder versuche ich nach Hilfe zu rufen, schreie, brülle alles aus mir heraus, doch mir entkommt kein Ton. Tränen benetzen mein Gesicht und ich umgreife die vor mir plötzlich erschienenen Gitterstäbe. Heftig rüttele ich, stemme mich dagegen, versuche zu entkommen und finde mich plötzlich in einer Zelle wieder. Ein Schluchzer folgt dem nächsten und entkommt meiner Kehle. Sie hallen von den kalten Steinwänden wieder. „Hilfe!", schreie ich und meine Stimme erscheint so fremd. Dumpf und mit Angst gefüllt. Wo bin ich? Was mache ich hier? „Weißt du das denn nicht?" Hektisch versuche ich etwas durch die Dunkelheit zu erkennen. Hoffe, dass mir jemand hilft. „Wer sind Sie?" Kalte Tränen tropfen auf meine nackten Füße. Kaum wahrnehmbar sehe ich jemanden in der Dunkelheit stehen. Bekannt und doch nicht. „Du bist dort, wo du hingehörst." Mein Herz pocht so schnell, dass es schmerzt. „I-Ich verstehe nicht. Bitte!" Schluchzer entkommen mir, Beben erschüttern mich, Angst kriecht bis in die letzten Winkel. Mein Atem rasselt und ich fühle mich, als würde ich sterben. „Du bist ein Mörder", haucht diese Stimme und es macht mir Angst, dass sie mir so bekannt ist. „Was? Nein! Ich... Ich würde nie jemanden wehtun", versichere ich mit erstickter Stimme. „Du hast ihn getötet, einen aus deiner eigenen Rudelfamilie", brüllt er und ich zucke zusammen. Fest umgreife ich die Stahlgitter, klammere mich an sie fest, wünschte, sie würden nachgeben. „Nein, er ist nicht tot. Ganz bestimmt nicht!", schluchze ich. „Ich wollte ihn nicht verletzen. Niemals würde ich sowas mit Absicht tun. Bitte, Sie müssen mir glauben." „Du bist ein Mörder, Percy." Schmerz durchzieht meine Brust. „Nein, nein, nein", flehe ich, und ich wünschte, diese Stimme würde aufhören. „Und du hast sogar mich auf dem Gewissen." Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich halte die Luft an, ehe ich aufsehe. Die Person tritt aus dem Schatten. Blutverschmiert, große, tiefe Fleischwunden überall. Er schleift sich mehr tot als lebendig zu mir. „Wieso hast du mir das angetan, mein Sohn?" Ängstlich weiche ich zurück und sehe in die leblosen, bekannten Augen meines Vaters. „Dad...", hauche ich und fasse mir auf mein beinahe kollabierendes Herz. „Du hast mich getötet", krächzt er und hinterlässt hinter sich eine riesige Blutspur. „Nein, Dad, bitte. Ich würde dir nie wehtun." Plötzlich ist das Gitter verschwunden, was uns noch getrennt hat. „Das ist deine Schuld. Deinetwegen wurde ich so verunstaltet, weil du zu schwach warst, mich zu beschützen. Du nutzloser, kleiner, lächerlicher Omega!" Hektisch fange ich an die Luft in meine Lunge zu saugen. Trete von ihm zurück, während mich die Angst in solchen Massen überrollt, dass ich drohe darunter zusammenzubrechen. „Dad, nein. Bitte, das bist nicht du." Schnell wende ich den Blick ab, kugle mich in einer Ecke zusammen und halte die Hände vor meinen Ohren, um alles auszublenden. Fest presse ich die Augen zusammen. „Es ist deine Schuld!" Es ist nur ein Traum! „Du hast mich getötet!" „Es ist nur ein Traum!", brülle ich, um endlich aufzuwachen. „Ich wünschte, du wärst nie geboren worden!" „Nur ein Traum! Nur ein Traum! Nur ein Traum." Heftig werde ich an der Schulter gepackt und hochgezogen, während ich weiterhin die kleinen drei Wörter wie ein Mantra vor mir hersage. „Sieh deinen alten Herren an, sieh, was du getan hast!", knurrt er. Als ich die Augen öffne, ist alles, was ich sehe, Blut. Blut, so viel Blut. Und dann schreie ich. Schreie, nach der einzigen Person, von der ich denke, sie würde mich retten. Nach der einzigen Person, bei der ich mich sicher fühle. Nach ihm, der mich immer beschützt hat. „Ares!!"

„Verdammt, wach auf!", brüllt jemand in einer Alpha-Stimme. Schlagartig öffne ich meine Augen und blicke direkt in ein rotes Paar. Mein Herz klopft heftig, Schweiß rinnt meiner Stirn hinab und ich fühle nichts als reine Angst. So riecht es auch, nach meiner reinen, puren, entsetzlichen Angst. Seine Hände umgreifen meine Arme und erst jetzt spüre ich den harten Untergrund unter mir. Licht beleuchtet uns und anhand meiner Umgebung, identifiziere ich sie als den Flur. Ich werde mir all der Blicke um mich bewusst und dann ist alles, was ich will, mich in seinen Armen zu verstecken. Meine Instinkte laufen auf Hochtouren, weshalb ich einfach das tue, was ich für das Richtige halte. Sofort stehe ich auf, presse mich an ihn, drücke mein Gesicht an seine Brust und weine. Ich weine so schlimm wie schon lange nicht mehr. Alles in mir fühlt sich komisch an, die Trauer ist greifbar und die Angst stärker als jemals zuvor. Ich fühle mich so alleine. Wünsche mir, dass es vorbeigeht und kann nichts anderes tun, als Zuneigung bei dieser einen Person zu suchen. Fest kralle ich mich in sein weißes T-Shirt und tränke dieses mit meinen Tränen. Seine Muskeln sind angespannt, vielleicht, weil er sich nicht sicher ist, was er tun soll, wie er reagieren soll, oder vielleicht, weil er auch gar nicht weiß, wie damit umzugehen ist. „Geht wieder auf eure Zimmer!", knurrt er und dumpfe Schritte dringen zu mir vor und das Verriegeln von Türen. „Kann ich etwa tu-...", die Stimme der Luna erklingt, wird jedoch grob unterbrochen. „Geh wieder schlafen, Cora." Darauf erwidert sie anscheinend nichts, denn ich höre wieder nur Schritte. „Ich werde sehen, ob die anderen auch wirklich schlafen gehen", sein Beta scheint zu ihm zu sprechen und er erwidert darauf nur ein zustimmendes Brummen. Wenige Sekunden später fühle ich, wie er sich zu mir runter wendet. „Du musst jetzt loslassen." Schnell schüttle ich mit dem Kopf und drücke mich noch fester gegen ihn. Ich kann mich jetzt nicht von ihm lösen. Ich brauche die Wärme und Nähe eines Alphas, die von ihm, wahrscheinlich auch ganz speziell die von ihm. Er seufzt, tief und vielleicht auch genervt, und dann passiert etwas, was ich nicht erwartet hätte. Seine kräftigen Hände packen mich unter den Oberschenkeln und ich werde ruckartig hochgehoben. Mehr automatisch als durchdacht, schlinge ich all meine Gliedmaßen um ihn und klammere mich so fest wie ein Affe. Wieder ein Seufzen seinerseits, gefolgt von einem warnenden Knurren, dass ich es nicht übertreiben solle. Jedoch verdränge ich es und presse meinen Kopf gegen seine Halsbeuge und sauge alles in mir auf, was ich von ihm bekommen kann. Noch nie konnte ich mich so schnell beruhigen. Es ist erstaunlich. Tränen sammeln sich noch immer in meinen Augen, nur, dass sie jetzt seine Haut benetzen. Schwach höre ich, wie eine Tür geöffnet wird. Dem Geruch nach zu urteilen wird es wahrscheinlich das Zimmer sein, wo ich die Nacht drinnen verbracht habe. „Du wirst nicht loslassen, hm?", brummt er wenig zufrieden darüber. Ich erwidere nichts darauf, denn er hat sowieso recht. Seine Brust hebt und senkt sich einmal kräftig, ehe ich spüre, wie er sich auf das Bett niederlässt, er etwas nach hinten rutscht und sich wahrscheinlich ans Ende des Bettes lehnt. Einige Zeit ist es still, nur mein Schniefen durchdringt ab und zu das Schweigen. Ares' Hände liegen schwer auf meinem Rücken und da sie sich nicht einmal für einen Millimeter bewegen, habe ich das Gefühl, er würde extra darauf achten. Es fühlt sich gut an, seinen speziellen, völlig eigenen und dominanten Geruch durchgehend in der Nase zu haben. Irgendwie löst es etwas in mir aus und lässt mich ruhig werden, mich entspannen und sicher fühlen. Generell ist es üblich, dass sich Wölfe, egal welchen Stand sie haben, bei ihrem Alpha behütet, wohl und geborgen fühlen. Sie vermitteln uns ein ähnliches Gefühl, wie es nur die liebsten Personen tun können. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Bindung man zum Alpha steht, ob er dir nahe ist, weil du vielleicht sein Beta oder seine Wächter bist, oder du eigentlich nie konkreten Kontakt zum Alpha hast. Es gibt dafür keinen Grund. Alleine nur, weil er dein Alpha ist, weil er diese Gefühle in jedem von uns hervorruft, ist es dir möglich, so in seiner Nähe zu fühlen. Voraussetzung dafür ist, dass du ihm treu untergeben bist und ihm vertraust. Wenn das besteht, kann ein Alpha dir das Gefühl geben, zu Hause zu sein. Jedoch trifft das eigentlich immer nur zu, wenn es sich auch um deinen Alpha handelt, der dein Rudel anführt. Meine Gefühle in seiner Nähe sind irrational, unverständlich und eigentlich auch schlicht und ergreifend unmöglich. Der Alpha ist das mächtigste Wesen im Rudel, ein Anführer, ein Herrscher und man hat Respekt und ja, vielleicht auch Angst vor einem fremden Alpha. Doch was ist mit mir? Warum fühle ich so? Wieso finde ich mich in genau dieser Situation wieder? Wie konnte mein Leben sich nur in diesen wenigen Wochen völlig verändern? Weshalb ist alles nur so schrecklich gekommen? Das Gefühl, nur bei ihm sicher zu sein, brennt sich in mein Inneres - wie ein Mal. Ich verspüre eine beklemmende Angst, doch ist da auch etwas anderes. Eine Art Zuneigung? Tiefgreifender, als ich es jemals beschreiben könnte. Vielleicht rührt die Angst daher, dass ich nicht weiß, woher sie kommt, was sie zu bedeuten hat und welche Auswirkungen sie haben wird. Ich wünsche mir so sehr, für immer so zu bleiben. Sein Herz gegen das meine schlagen zu fühlen. Durch seine Atmung hoch- und runtergehoben zu werden. Von seinem Duft eingenommen zu werden, wie eine Wolke, die mich umgibt. Ich will, dass nur mir diese Privilegien gestattet sind. Das all das nur mir gehört. Es ist erschreckend. „Erzählst du mir, wovon du geträumt hast?", erklingt seine tiefe, raue Baritonstimme und ich erschaudere. Ich reibe meine Augen an seinem T-Shirt trocken. „M-Mein Dad...", hauche ich gegen seinen Hals. Bilde ich mir die bei ihm entstandene Gänsehaut nur ein? Entschuldigend reibe ich meine Nase über die Stelle. „Lass das", knurrt er und ich entferne mich sofort wieder einige Zentimeter. „Wieso schreist du so, wenn du von deinem Dad träumst?", will er brummend wissen. „Ich habe geschrien?" Er schnauft. „Du hast das ganze Haus geweckt. Du standest im Flur, schienst so, als würdest du schlafwandeln und hast geweint und geschrien, ehe du zusammengebrochen bist." Unangenehm presse ich mein Gesicht in seine Schulter und wünschte, dass mir das nicht passiert wäre. „Haben.... Haben die anderen das gesehen?" Beschämt wende ich mich leicht zu ihm und bemerke, wie er nachdenklich an die Decke sieht. „Es wäre nicht möglich gewesen, dass sie es nicht mitbekommen haben", meint er monoton. Was müssen sie jetzt nur von mir denken. Habe ich geredet? Oh Gott, haben sie gehört, wie ich seinen Namen gerufen habe? Ich will nicht, dass sie falsch von mir denken. „Es... Es tut mir sehr leid", entschuldige ich mich und habe erneut das Bedürfnis, meine Nase an ihm zu reiben und ihn um Verzeihung zu bitten, doch ich unterlasse es. Sein Blick richtet sich ruckartig zu mir und ich muss schlucken, weil ich mich nicht erinnere, ihm jemals so nahe gewesen zu sein. „Albträume können uns den Verstand zerfressen, doch egal was man dabei ungewollt tut, es ist nicht deine Schuld. Also entschuldige dich nicht für Dinge, die du nicht kontrollieren kannst." Traurig wende ich den Blick ab. „Ich hätte es aber verhindern können." Stille entsteht wieder zwischen uns. „Dir ist bewusst, dass du keinerlei Schuld an dem Tod deines Vaters trägst, oder?" „Das kannst du doch gar nicht wissen", murmle ich. „Ich weiß nicht, woran oder weshalb dein Vater gestorben ist, aber ich weiß, dass du niemals daran Schuld trägst." „Ein Vide", platzt es aus mir raus. Sofort spannt er sich unter mir an. „Was?" Zögerlich blicke ich in seine stürmischen Augen. „Mein Alpha sagte mir, dass es ein Vide war. Vielleicht konnte ich nichts dafür, dass er von diesem... Wesen angegriffen wurde, doch ich hätte da sein können, vielleicht wäre er dann nicht alleine gestorben oder ich hätte dafür sorgen können, dass seine letzten Wünsche erfüllt werden. Es ist meine Schuld, dass ich nicht da sein konnte und ich auch niemals die Möglichkeit gehabt habe, so stark zu sein, dass ich ihn beschützen könnte", schimpfe ich über mich selbst. „Hamish hatte damit recht, dass ich nur ein nutzloser, kleiner Omega bin, der nicht einmal dazu in der Lage ist, die zu beschützen, die einem die Wichtigsten sind. Meine Natur ist schuld daran, was ich bin und dass ich nie im Stande war, andere zu beschützen, ich kann ja nicht einmal mich selbst beschützen", erzähle ich ihm. Vertraue mich ihm an, schütte ihm mein Herz aus und lade all meine Last ab. „Du ertränkst dich sehr viel in Selbstmitleid." Mit großen Augen sehe ich ihn an. „Was?", will ich ungläubig wissen. „Ich sagte dir bereits, dass du nicht ständig dein Wesen so herunterspielen sollst. Wenn dein Vater, wie du sagtest, von einem Vide angegriffen wurde, hättest du nicht einmal etwas tun können, wenn du der stärkste Beta wärst. Selbst für einen Alpha ist es keine Leichtigkeit solch ein Wesen zu töten. Du hättest dich nur selbst in Gefahr gebracht und sehr wahrscheinlich wärst du zusammen mit deinem Vater gestorben", meint er energisch. „Und ich kannte zwar deinen Vater nicht wirklich, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht gewollt hätte, dass du mit ihm stirbst. Du hast ein gutes Herz, also denke ich, dass dein Vater ein guter Mann war, der gewollt hätte, dass du was aus deinem Leben machst und dich und deinen Rang nicht immer so runter redest. In dir steckt viel mehr als du ahnst und dieser Hamish hat nur Angst davor, dass andere bemerken, wie schwach er selber ist und wie viel stärker du bist, trotz deines Ranges. Wahrscheinlich hat er es gar nicht anders verdient." Überrascht sehe ich ihn an. Ich glaube, dass ich ihn noch nie so viel auf einmal reden gehört habe. „Den Tod verdient keiner", flüstere ich. „Du würdest dich wundern...", brummt er. Stille macht sich wieder zwischen uns breit, in der ich intensiv über seine Worte nachdenke. Vorsichtig stemme ich mich auf, um ihm direkt ins Gesicht sehen zu können. „Ich denke, du bist ein sehr guter Alpha", gestehe ich ihm ehrlich. Sein Kiefer spannt sich an. „Wieso?" Ich lächle zögerlich. „Weil du mir hilfst, obwohl du mich nicht magst. Jedes Mal." Vorsichtig und schnell, so dass er sich nicht zurückziehen kann, reibe ich meine Nase an der seinen, zeige ihm damit meine Zuneigung zu ihm. Eine intime Geste, die Gestaltenwandler mit Personen austauschen, denen sie bedingungslos vertrauen. Seine sofortige Anspannung ist stark zu spüren, doch ich lege mich nur wieder auf seine Schulter, nun wieder der Müdigkeit allzu bewusst. Der Schlaf überfällt mich plötzlich, weswegen ich seine Worte gar nicht mehr vernehme. „Wenn du wüsstest, wie oft ich dich belüge."

Beta: hirntote

Black DepthsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt