Kapitel 7

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P e r c i v a l

„Gehst du schon immer auf diese Schule?", frage ich Ell und laufe aufgeregt neben ihr her. Sie scheint sehr offensichtlich genervt von mir, aber ich finde es so aufregend alles von ihr zu erfahren. Sie ist die einzige Person, die bisher mit mir gesprochen hat, also könnte sie als Informationsquelle dienlich sein. Und wenn sie mir schon nichts preisgibt, wer würde es dann tun? Sie könnte mir die Möglichkeit geben, meinen Alpha stolz auf mich zu machen und die Chance dafür liefern, dass ich mich einmal in meinem Leben so fühle, als hätte ich etwas nützliches für mein Rudel getan. Als wäre ich endlich mal richtig dabei. Ein richtiges, vollwertiges, wichtiges Mitglied des Rudels. Wir sind Rudeltiere und es gibt nichts Schlimmeres, als sich ausgegrenzt zu fühlen und mal ehrlich, ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie zugehörig gefühlt. Da schwingt immer dieses Gefühl in meiner Brust mit, das mein Herz mit Leere und Einsamkeit füllt. Es ist manchmal so allgegenwärtig, dass ich mich oft frage, ob mir meine Schwäche anzusehen ist oder ob ich wirklich der einzige bin, der sie fühlt. Trotz diesem Gefühl habe ich nie verlernt zu lächeln und doch scheint es so, als hätte es jeder andere in meiner Umgebung. Als könnte keiner mehr wirklich aufrichtig laut und befreit lachen. Selbst meinen Vater hat noch nie in meinem Leben laut und herzlich gelacht. Er erscheint mir nicht traurig, verletzt oder gar gebrochen, vielmehr ist es so, als wäre er nicht dazu in der Lage. Schon mein ganzes Leben frage ich mich: Warum?
„Ja", reißt mich Ell aus meinem Gedankengang. „Und ist Mr. Cartwright schon die ganze Zeit Alpha?", frage ich etwas zurückhaltender, da ich seine Geschichte überhaupt nicht kenne. Ich weiß nicht, wie er dazu kam Alpha zu werden. Normalerweise ist nur der Nachwuchs des Alphas dazu privilegiert, das Amt nach dessen Ableben zu übernehmen oder eben... ein tödlicher Kampf entscheidet über seine Nachfolge. Ich hoffe einfach, dass er von Geburt an dafür bestimmt wurde, Alpha zu werden. Sie schaut ruckartig zu mir, scannt mich mit ihren Augen ab, ehe sie zu überlegen scheint. „Ares Cartwright war der Sohn vom Beta des Alphas Ronan", murmelt sie und bestätigt damit meine Befürchtung. „Also hat er den Alpha getötet?", das Zittern in meiner Stimme kann ich kaum vermeiden. Vielsagend schaut sie zu mir, während wir durch die Flure streifen. Irgendwas an ihrem Gesichtsausdruck erscheint mit merkwürdig, fast schon Mitleid erregend. Er hat den Alpha getötet? Wie... Wie furchtbar. Unweigerlich entwickelt sich eine tiefe Furcht diesem Mann gegenüber und die Sorge bezüglich meines Rudel; meines Alphas, schnürt mir die Kehle zu. Ares Cartwright ist ein Mörder.

~

Gelangweilt liege ich auf dem Bett und blättere in meinem Buch. Es ist bereits Ausgangsspeere, trotzdem bin ich überhaupt noch nicht bereit schlafen zu gehen. Seufzend schlage ich das Buch zu und stemme mich aus dem Bett auf. Im Spiegel betrachte ich mich selber mit schräg gelegtem Kopf. Dieses ganze weiß ist wirklich ätzend, da ich viel lieber etwas Grünes oder Buntes tragen würde. Ich greife nach meiner bunten Strickjacke, die mir Em letztes Jahr zu Weihnachten gestrickt hat. Die bunten Blumen und die spitze Kapuze lassen sie wirklich niedlich erscheinen. Am Anfang war es mir noch unangenehm sie anzuziehen, weil ich mich darin weniger männlich gefühlt habe, doch heute ist es mir irgendwie egal geworden. Denn die Jacke gefällt mir und nur mir sollte sie auch gefallen, mal davon abgesehen, dass es eh niemanden interessiert was ich anziehe. Leise schleiche ich aus meinem Zimmer und gehe den Flur hinunter zu dem Aufenthaltsraum meines Rudels. Vor einer Stunde war der Raum noch voller Leute, doch jetzt ist alles wie leergefegt. Wo sind denn alle? Gerade als ich wieder zurück in mein Zimmer wollte, kommt Levin ins Zimmer gerannt und schnappt sich eine Jacke über der Couchlehne. „Levin?", sofort hält er in seiner Tätigkeit inne. Der Schwarzhaarige mit der schokoladenfarbenen Haut ist mir von meinen Klassenkameraden am sympathischsten, da er nie etwas Gemeines oder Beleidigendes zu mir gesagt hat. Eigentlich lässt er mich einfach in Ruhe, was ich ihm hoch anrechne. Nur ganz kurz kommt mir der Gedanke, dass ich mir immer gewünscht habe, dass er vielleicht mal mit mir spricht, da er wirklich hübsch ist und ich mir das ein oder andere Mal vorgestellt habe, dass er dasselbe über mich denken könnte, doch das ist Jahre her. „Oh, hey Percy", grüßt er mich etwas hektisch und scheint noch immer nach etwas zu suchen. „Wo... Wo sind denn alle?" Freudig strahlend greift er nach einem kleinen Ding, aber ich habe keine Ahnung, was das ist. „Die Blacks schmeißen eine Party auf dem Dachboden der Schule, zur Feier der Spiele." Er meint wohl eher zur Feier der Kämpfe, aber es wundert mich nicht, dass er das alles eher als Spiel ansieht. „Ohm... kann ich... kann ich vielleicht mit?", frage ich etwas zurückhaltender, da ich keine Ahnung habe, ob sie überhaupt wollen, dass ich dabei bin. „Na klar, komm wir gehen zusammen." Sein spielerisches Grinsen, was er so einigen Mädchen zuwirft, kommt zum Vorschein und ich kann nicht vermeiden, dass meine Wangen anfangen zu glühen. Schnell gehe ich zu ihm und laufe mit ihm zusammen durch die Flure. Er werkelt an diesem kleinen Ding rum, was er vorhin gesucht hat. „Yeah, na endlich", ruft er glücklich aus und setzt es an seine Lippen. Erstaunt sehe ich ihm dabei zu, wie er an dem kleinen Ding zieht und danach weißer Rauch aus seinem Mund schwirrt. Er scheint meinen starrenden, interessierten Blick bemerkt zu haben, denn nun schaut er grinsend zu mir runter. „Willst du auch?", er hält es mir hin. „Was ist das?" „Na ja... sagen wir, es ist Wasserdampf mit etwas Spaß gemischt", nervös kratzt er sich am Nacken. Schnell schüttle ich den Kopf, „Nein danke." Trotzdem lächle ich ihn lieb an, weil ich mir unhöflich vorkomme, es abgelehnt zu haben. Er zuckt nur mit den Schultern und zieht erneut daran. Das Ding fängt merkwürdig an zu blubbern.
Zwei kräftige Blacks stehen vor einer Tür und versperren den Weg, wo wir anscheinend hinwollen. „Passwort", grummelt der eine und musstest besonders mich. „Evermoergames", antwortet ihnen Levin und sie treten beide zur Seite. Freudig geht mein Klassenkamerad voraus und wir kommen in einen kleinen Raum, wo eine breite, hölzerne Wendeltreppe nach oben führt. Bereits jetzt höre ich laute Musik, die noch vor der Tür überhaupt nicht wahrnehmbar war. Einige stehen auf der Treppe und unterhalten sich mit einem roten Becher in der Hand. Sehen so Partys aus? Tatsächlich muss ich zugeben, dass ich noch nie auf einer war. Oben angekommen, klappt mir der Mund auf. Viele Lichterketten erhellen den Raum, überall stehen Sessel oder eine alte Couch rum. Es gibt eine kleine Erhöhung am anderen Ende, wo einige tanzen und das, was mich wohl am meisten erstaunt: Wir sind alle gemischt. All die Farben unserer Rudel schwirren umher und geben mir das Gefühl, das wir niemals aufgeteilt wurden. Die Musik erwärmt meine Seele und die Lichter mein Herz. Gerade als ich Levin etwas fragen wollte, ist er weg und ich sehe mich etwas verloren um. Erfreut entdecke ich Ell in einer Ecke stehen, wie sie mürrisch durch die Leute starrt. Lächelnd gehe ich auf sie zu. „Hey Ell", grüße ich sie lieb. „Percy?", verwirrt sieht sie mich an. „Was machst du denn hier?", will sie wissen und mustert argwöhnisch meine bunte Jacke. Schmunzelnd beäuge ich ihre schwarze Lederjacke und ihre schwarzen, zerrissenen Strumpfhosen. Am coolsten sind jedoch ihre großen schwarzen Boots. „Das könnte ich auch dich fragen, du siehst nicht gerade so aus, als hättest du Spaß." Sie zuckt mit den Schultern und schlürft von ihrem roten Becher, während sie starrend auf etwas blickt. Neugierig folge ich ihren Augen und sehe ein blondes Mädchen mit extremen Locken, die ausgelassen und freudig tanzt. Die Farbe ihrer Schuluniform verrät, dass sie eine Blue ist. „Sie ist süß, sprich sie doch mal an", meine ich und stoße sie mit meinem Ellenbogen an. Ruckartig sieht sie zu mir. „Bist du verrückt!?", will sie zischend wissen. „Was denn, du stehst doch sehr offensichtlich auf s-...", heftig presst sie mir ihre Hand auf den Mund und drückt mich gegen die Wand. „Du solltest aufpassen, was du sagst, sonst erleben wir beide nicht den nächsten Morgen", knurrt sie und starrt mich mit ihren dunkelbraunen Augen nieder. Hart schluck ich. „Aber ich verstehe nicht...", verwirrt sehe ich sie an, als sie ihre Hand von meinem Mund gelöst hat. „Bist du bekloppt? Homosexuelle Beziehungen sind hier strengstens untersagt!" „WAS?!", entkommt es mir etwas zu laut, sodass sich einige zu uns drehen. Schnell packt sie mich an meinem Ärmel und zieht uns in eine andere Ecke, weiter ins Dunkle. „Wie meinst du das, sie sind verboten? Wir leben im 21. Jahrhundert!" „Ich weiß ja nicht, wie es bei deinem Rudel ist, doch hier war es schon immer eine Straftat; ein Verbot, dessen Vergehen hart und manchmal sogar mit dem Tode bestraft wurde", brummt sie und schaut dann auf den Boden. Doch es hilft nichts, ich kann sehen, wie selbst ihr das zu schaffen macht. „Daran hat euer Alpha nie etwas geändert?", will ich verwirrt wissen. „Nein." „Aber ihr müsst doch etwas dagegen tun können, wenn sich nur genug finden lassen. Er muss euch doch zuhören und ich kann mir nicht vorstellen, dass er euch wegen sowas bestrafen würde", rede ich auf sie ein. „Sei nicht blöd, Percy. Der Alpha würde das nie verstehen. Er ist niemand, den man verärgern sollte, hast du mich verstanden?!" „A-Aber...", will ich protestieren, da ich nicht mit ansehen kann, wie sich jemand selbst verleumden soll. Ich hätte es niemals ertragen, wenn meine Sexualität in meinem Rudel verboten wäre. „Nein Percy! Solange du dich hier aufhältst, solltest du dich zurückhalten und vielleicht etwas bedeckter bleiben", vielsagend zupft sie an meiner bunten Strickjacke. Heftig muss ich dagegen ankämpfen, dass mir nicht die Tränen kommen. „N-Na schön, wenn du di-dich dein ganzes Leben verstecken willst", stottere ich mit gebrochener Stimme und wende mich ab. „Percy!", will sie mich abhalten, doch ich laufe weiter, mit bebender Lippe. Ich habe mich immer unvollkommen gefühlt und jetzt soll ich auch noch verstecken, was ich schön finde; in dem ich mich wohl fühle? Ich entdecke Levin weiter hinten und gehe schnurstracks auf ihn zu. „Darf ich ziehen?", frage ich verletzt, wütend und vor allem zutiefst traurig. Verwirrt sieht er mich an, ehe er grinst und das Teil zu mir hinhält. Es sollte mich doch nur glücklicher machen, so wie er sagte.

Beta: @hirntote

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