Kapitel 35

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A r e s

„Du verhältst dich so anders in letzter Zeit." Cora sieht mich auf diese eindringliche, beklemmende Art an, die ich hasse. „Es ist nichts", meine ich nur und entferne mich von ihr aus der Küche. Ich bin kein Mensch, der das Verlangen nach einem guten Frühstück hat. Ein Kaffee reicht mir, um wach zu werden und meine Gedanken zu fokussieren. „Ares!", ruft sie mir hinterher, doch ich ignoriere sie. Ich habe kein Interesse, mit ihr zu reden. Sie redet gerne, viel und lange. Meistens, auch wenn ich es nicht will, verliere ich mich dabei in meinen Gedanken und bekomme das meiste von ihren Worten nicht mit. Zu sagen, dass es mir leid tut, wäre gelogen. Mir ist bewusst, dass ich sie ab und zu dadurch verletze. Zu meiner Verteidigung: Ich habe das nie mitbekommen, es war dann an ihr, mir das zu sagen. Auf Gefühle von anderen einzugehen oder sie auch nur zu bemerken, liegt sicher nicht bei meinen Stärken. Vielleicht ist es die Art, wie ich erzogen wurde oder ganz einfach mein Wesen, dass ich mit dem Konstrukt Gefühle nicht sonderlich viel anfangen kann. Cora weiß, dass ich nichts für sie empfinde, dass ich sie nicht liebe oder auch nur jemals geliebt habe. Ich war von Anfang an ehrlich zu ihr. Das zwischen uns ist eher ein Abkommen oder etwas Ähnliches. Natürlich ist das nicht vorteilhaft, wenn mein Rudel es wüsste, deswegen denken sie oder stellen es sich vor, dass ich ihr sowas wie Liebe entgegenbringen kann. Ich hatte zu Anfang sehr Probleme, das Vertrauen meiner Rudelmitglieder zu bekommen. Sicher, sie haben mich mehr oder weniger akzeptiert, sich mir untergeordnet, doch ich wollte dieses Rudel besser machen, uns stärker machen und ich habe ihm geschworen, dieses Rudel auf meinen Tod zu beschützen. Das ist das Einzige, was mich interessiert hat und was es auch bis jetzt noch immer tut, weswegen es unvorteilhaft war, dass meine Rudelmitglieder Angst vor mir hatten. Cora ist die Tochter eines damals ziemlich hohen Mannes im Rudel und sie kam vor vielen Jahren auf mich zu und bot mir ihre Hilfe an. Sie würde es ermöglichen, dass sich meine Rudelmitglieder mehr öffnen, mit mir zusammen arbeiten und nicht bei jeden Schritt, den ich tue, zusammenzucken. Um ehrlich zu sein, glaubte ich zunächst, sie wäre darauf aus, ihr hohes Ansehen wiederzuerlangen, nachdem einige unschöne Dinge über ihren verstorbenen Vater ans Licht gerieten. Unteranderem warf man ihm kriminelle Machenschaften vor. Ihr Stolz verbot ihr, diese Beschämung zu erdulden und ich denke auch, ihr Vater hat ihr eingeredet, dass der Stand eines Wolfes im Rudel das Wichtigste sei. Mir sollte es egal sein, die wirtschaftlichen Ressourcen wurden knapp, da niemand mehr richtig als Einheit zusammen arbeitete. Also musste was passieren und das schnellstmöglich. Bis heute weiß ich nicht genau, wie sie es hingekriegt hat, es ist mir auch egal, denn es funktionierte. Es dauerte zwar noch ein paar Jahre, bis sie mir wirklich vollkommen vertrauten und verstanden, dass ich ihnen nichts Böses wollte. Meine Intention war, die Lebensqualität zu verbessern. Und jetzt, Jahre später, kann ich sagen, dass es mir gelungen ist. Wir sind ein starkes Rudel. Meine Wächter sind die bestausgebildeten von allen und die Nahrungszufuhr ist hervorragend. Die Gegenleistung, die sie dafür verlangte, war damals ein leichtes Übel. Sie wollte die Frau des Alphas sein, was ich ihr gewährte, da ich sie verstand. Man kann viel über sie sagen, doch dumm ist sie gewiss nicht. Der zweiten Forderung stimmte ich nur sehr widerstrebend zu. Ich soll ihr Kinder geben. Mir war klar, dass sie das tat, um sich abzusichern, um wirklich an mir gebunden zu sein. Irgendwie konnte ich sie einige Jahre davon überzeugen, dass das noch Zeit hätte, doch vor einem Jahr forderte sie diesen Gefallen ein. Ich wusste, dass ich nicht das Recht hatte, diesen Gefallen zu verweigern, davon abgesehen, dass ich immer zu meinem Wort stehe. Manchmal frage ich mich, ob ich erleichtert sein sollte, dass sie einfach nicht schwanger wird, obwohl sie es wirklich probiert. Der Rudelarzt meinte zwar, dass ich dazu in der Lage sei, Kinder zu zeugen und sie ebenfalls Kinder gebären könne, doch es funktionierte bis jetzt einfach nicht. Vielleicht wollte mir das Schicksal irgendwas sagen. Weil das jedoch nicht klappte, bestand sie auf eine Heirat. Für mich war es irrelevant, sie hatte ihre Schuld beglichen und nun war es an mir. Ich hatte alles erreicht, konnte die Sicherheit aller garantieren, jedenfalls noch vor zwei Wochen. Ein unangenehmes Gefühl entsteht in meinem Nacken. Es passieren merkwürdige Dinge. Dinge, die ich nicht verhindern kann, die mich dazu veranlasst haben, meine Wächter an allen Posten zu verdoppeln und das stört mich, stört mich sehr. „Du siehst genervt aus", grinst Ezekiel, den eigentlich alle nur ‚Eze' nennen. Ich brumme auf seine Aussage hin. Er weiß über das Abkommen mit Cora Bescheid, als Einziger. Manchmal macht er sich ziemlich darüber lustig. Eze ist im selben Alter wie ich, und wenn man unsere Geschichte kennen würde, müsste man sich fragen, warum ich ihm überhaupt vertraue. Zu Beginn misstraute ich ihm auch noch, und als er sich als mein Beta anbot, habe ich dies viele Male abgelehnt. Zu der Zeit wollte ich keinen Beta und war der festen Meinung, dass ich auch keinen bräuchte. Doch irgendwann kam er zu mir und vertraute mir all seine Gedanken an, erlaubte mir in seinen Kopf zu sehen. Wir beide wussten, wie schmerzhaft dieser Prozess sein würde und irgendwas in mir wollte, dass er litt, was der einzige Grund war, warum ich das damals tat, doch als ich alles sah, änderte sich etwas zwischen uns. Sicher, es brauchte noch sehr lange, bis ich ihm wirklich vertrauen konnte, doch ich hatte sehen können, wo seine Absichten lagen, wie er über die Vergangenheit dachte und über mich. Ich würde uns nicht als Freunde bezeichnen, ich hatte nie Freunde und ich wollte auch nie welche, doch zusammen mit Cora gehört er zu meinen engsten Vertrauten. Er sieht uns als Freunde an und irgendein Teil von mir, dem ich nie viel Beachtung schenke, vielleicht auch. Cora und er können mit meiner kühlen und emotionslosen Seite umgehen. Sie kennen mich in meinen schlimmsten Stunden. Sie akzeptieren es, ich habe es nie von ihnen verlangt. Er legt mir übereifrig einen Arm um die Schulter, als wir das Haus verlassen. Ich schenke ihm nur einen kühlen Blick, was ihn dazu veranlasst, wieder von mir zu lassen. Draußen steht Zalen und schreit seine Rekruten an. Es ist amüsant mit anzusehen, wie er sie zusammenfaltet, denn sie hatten in der Zeit, in der die Wettkämpfe stattfanden, sozusagen Urlaub, da er ans Schloss gebunden war. Wenn er nicht der Trainer für die Kämpfer an der Schule ist, trainiert er hier mit Eze die Wächter. Sein Gemüt ist speziell, so wie man sich einen alten Sergeant bei der Armee vorstellt, der seine Rekruten anbrüllt. Eze ist dagegen die besänftigende Seite und zusammen formen sie die besten Wächter unseres Rudels. Alle, die sich für diese Ausbildung entscheiden, sind sich ihrer Verantwortung bewusst und vor allem der Härte, mit der sie auf eine echte Gefahrensituation vorbereitet werden. „Mit eurer Lahmarschigkeit hätte euch euer Gegner schon längst eingeholt und eure Kehle herausgerissen!", brüllt Zalen die jungen Männer an, die an diesem Morgen bestimmt schon ihre fünfzigste Runde um das Haus rennen. Als sie mich mit Eze aus dem Haus kommen sehen, bleiben sie alle kurz stehen, verneigen ihren Kopf und rennen weiter. Für mich ist diese Förmlichkeit nicht notwendig, doch Zalen besteht auf diese Disziplin dahinter und den Respekt. Er hat darauf bestanden und mir sollte es egal sein, solange gute Arbeit geleistet wird. „Ares", begrüßt er mich mit seiner tiefen, rauchigen Stimme. Ich nicke ihm zur Begrüßung zu. „Wie machen sie sich?", will ich wissen. „Sie stellen sich dümmer an als die Schwester meiner Frau und sind noch absolut nicht bereit für ihren ersten Einsatz", raunt er und sieht mit zusammengezogenen Augen den jungen Männern hinterher. „Sei nicht zu hart zu ihnen", meine ich und lächle schief, da er, was das angeht, niemals auf meine Worte hören würde. Wahrscheinlich ist für ihn die Art und Weise, wie er sie trainiert, schon so nett wie er kann. „Wirst du heute den Papierkram erledigen?", fragt mich Eze.  „Dann könnte ich dich fahren?", er deutet auf den schwarzen Pickup an der kleinen Straße, die durch den Wald und direkt in das Herz der Stadt führt. Damit die Wächter genug Platz zum Trainieren haben, habe ich das Haus hier für sie und auch mich selbst gebaut. Es ist groß genug, dass jeder sein Platz findet und dadurch, dass wir nahe an der Stadt, und dennoch nahe am Wald sind, ist es der beste Ort, um die Kontrolle über beides behalten zu können. „Nein, ich hatte schon gestern alles aufgeholt." „Du konntest nicht schlafen?", eindeutig sieht er zu mir. Der Blick, den ich ihm zuwerfe, lässt ihn entschuldigend die Arme heben. „Was, Cora hat es mir gesagt, außerdem habe ich das Licht gesehen, als ich abends heimkam." Es hätte mir klar sein müssen, dass er wieder erst sehr spät von einer seiner Liebschaften nach Hause kommt. „Ich hatte gestern einfach ein komisches Gefühl, was mich nicht schlafen lassen hat", erkläre ich, da ich mir vorgenommen habe, ihm ab und zu etwas von meinen Gedanken anzuvertrauen. Anhand seines Gesichtsausdruckes, weiß ich, dass es ihn freut. „Hat dich was beschäftigt?", will er wissen und zusammen entfernen wir uns wieder etwas von Zalen, der schon den nächsten anbrüllt, der aus der Reihe tritt. „Nein, wie gesagt, es war nur ein merkwürdiges Gefühl." Die Tatsache, dass ich es noch immer verspüre, erwähne ich jedoch nicht. Es hat sich gestern urplötzlich in mir eingenistet und wollte einfach nicht mehr gehen. Ein Gefühl, was ich nicht vermag zu beschreiben. „Möglicherweise sind es deine Erektionsprobleme, die dich beschäftigen", überlegt er und sieht mich gespielt ernst an. Genervt sehe ich zu ihm. „Wirklich sehr erwachsen von dir", brumme ich. Er zuckt unschuldig mit den Schultern. „Ich bin immer für dich da, wenn du reden willst", sagt er aufrichtig. „Wirklich nett, aber vielleicht solltest du dann erstmal deine Spaßpillen in deinem Nachtschrank besser verstecken, Gabriela hat sie gefunden und ist damit wirklich sehr besorgt zu mir gekommen." Blässe überzieht sein Gesicht, als ich darauf hinaus will, dass Gabriela, eine wirklich nette Dame, die im Haus putzt, seine Spaßtabletten gefunden hat. Bei seinem Gesichtsausdruck schnaufe ich belustigt und entferne mich von ihm. Schnell kommt er mir hinterher. „Was?! Nein, das sind Vitamine!" „Ich weiß doch." Natürlich ist mir bewusst, dass das Vitamine sind, doch Gabriela ist tatsächlich besorgt zu mir gekommen und ich musste ihr versichern, dass mit Eze alles gut ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Frau für uns verantwortlich fühlt. „Alter, uncool", knurrt er. „Du hast doch Gabriela die Wahrheit gesagt?" „Dass du Erektionsprobleme hast?" „Nein, verdammt! Ich habe keine Erektionsprobleme!" „Sicher?", ernst schaue ich ihn an. „Man sollte sich darüber nicht lustig machen. Sowas kommt schneller als man denkt", drohend hebt er seinen Zeigefinger. „Wenn der Fall eintritt, weiß ich ja, an wen ich mich wenden kann." Sein ganzes Gesicht läuft vor Wut rot an. „Ich schwöre dir, wenn du noch einmal sagst oder andeutest, dass ich-..." Er unterbricht sich, denn sowohl bei ihm als auch bei mir stellen sich alle Haare auf. Jemand ist ins Revier eingedrungen. „Verständige sofort die Wächter, die am nächsten sind!", befehle ich Eze, der nickt. Ohne weitere Worte laufe ich los, um zu sehen, was da vor sich geht.
Die Wächter sollten bereits eingetroffen sein und auch ich bin nicht mehr weit entfernt. Eze wird mir kurz darauf gefolgt sein, doch ich bin um einiges schneller als er, weswegen ich auch nur wenige Minuten später eintreffe. Der leitende Wächter in diesem Abschnitt kommt auf mich zu und senkt respektvoll den Kopf, bevor er mich auf den neusten Stand bringt. „Wir haben den Eindringling, Alpha. Es sollte keine Gefahr mehr bestehen." „Was ist es?", will ich wissen, da ich automatisch davon ausgehe, dass irgendein fremdes Wesen bei uns eingedrungen ist. „Nun, es ist kein-...", ein lautes Schluchzen unterbricht ihn. Sofort ruckt mein Blick zu meinen Männern, die ihre Krallen ausgefahren haben und auf etwas hinab starren, während zwei andere es festhalten. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Schnell gehe ich auf die Männer zu, die eilig auseinander treten, damit ich an ihnen vorbei kann. Meine zwei Wächter halten ziemlich schmerzhaft einen kleinen Jungen auf den Knien, mit den Armen nach hinten und der eine hat seine Krallen an seiner Kehle. Die Augen des Jungen richten sich auf mich. Sie sind geschwollen, rot und glänzen. Tränen laufen in Bächen über sein Gesicht und landen auf seinen Anzug, der mit vielen Kratzern versehen ist. Blut läuft über seine Wange, da ihn anscheinend dort etwas geschnitten hat. Seine Lippen beben heftig und dadurch, dass sie blau-lila erscheinen, kommt in mir die Vermutung auf, dass er unterkühlt sein muss. Ein Knurren entkommt meiner Kehle. "Loslassen", befehle ich sofort. Verblüfft sehen sie mich an, leisten dem aber zögerlich Folge. Die beiden Männer lassen ihn los und er fällt nach vorne, kann sich aber mit beiden Händen fangen. Stolpernd versucht er aufzustehen, fällt hin, steht auf, fällt und krabbelt etwas zu mir, ehe er es erneut probiert. Als er auf mich zukommt, wollen meine Wächter eingreifen, doch ich halte sie mit einer einfachen Handbewegung auf. Bei mir angekommen, krallt er sich in mein Shirt. Er schluchzt, sehr laut. Etwas grob packe ich ihn am Kinn und hebe seinen Kopf. „Was tust du hier?" Dass er hier ist, kann nichts Gutes heißen, schon gar nicht so, wie er aussieht. „I-Ich habe ihn ge-getötet", schluchzt er. Ein unbekanntes Gefühl nimmt von mir Besitz. Es ist beklemmend. „Wen?", will ich etwas harsch wissen, mit dem Hintergedanken, dass das nicht so stimmen kann. Fest schlingt er seine Arme um mich und presst sich an mich, benetzt mein Shirt mit seinen Tränen. „Es... Es ist meine Schuld", wispert er in einer Stimmlage, die ich noch nie an ihm gehört habe, ehe er plötzlich zusammenbricht. Allgegenwärtig fange ich ihn auf. Ich hebe sein Fliegengewicht auf meine Arme. „Geht wieder auf eure Posten!", weise ich kühl an. Sie können nur schwer ihren entsetzten Blick von dem Jungen lösen, leisten jedoch meiner Anweisung Folge. Eze taucht hinter mir auf. "Wer ist das?", fragend sieht er zu dem bewusstlosen Jungen in meinen Armen.

Beta: hirntote

Black DepthsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt