P e r c i v a l
Ich habe nun wirklich viel erwartet. Doch das? Sofort weiten sich meine Augen und ich eile zu ihm. „Ares! Was zum...?!", besorgt knie ich mich vor ihm hin. Eine Welle voller Sorgen und Angst überfällt mich, in einem Ausmaß, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben für eine andere Person gefühlt habe. Seine glühend roten Augen richten sich auf mich. Schweiß rinnt seiner Stirn hinab, selbst ich spüre die gewaltige Wärme, die von ihm ausgeht. Es ist wie eine Wand voller Hitze, als würde man eine Sauna betreten. Die nur so von ihm strömende Wärme ist besorgniserregend, da ich noch nie so ein Ausmaß an Wärme von einem anderen Wolf gespürt habe. Generell war sein Körper immer viel wärmer als es der Norm entspricht, doch jetzt und hier ist sie beinahe schon gewaltig. Er schnauft, als unsere Blicke aufeinander treffen. „Wie schaffst du es nur immer, in den unpassendsten Momenten aufzutauchen?", keucht er und will sehr deutlich seine Schmerzen überspielen, die ihm klar anzusehen sind. Diese Adern, wie sie immer weiter seinen Arm hochkriechen. Als wäre es Gift, das den Mittelpunkt seines Wesens sucht. Das Herz.
„Das hier ist eine Bibliothek!", piepse ich völlig aufgeregt und sehe mich hektisch um, ob hier vielleicht ein Wunderheilmittel liegt. Das tut es selbstverständlich nicht, nur ein Haufen Bücher. „Was sollen denn die ganzen Bücher?", will ich wissen und sehe wieder zu dem Mann, der mittlerweile schwer anfängt zu atmen. Panik überfällt mich, Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich stehe kurz vor einem Nervenzusammenbruch. „Sie müssen wohl heruntergefallen sein, als ich mich am Regal abgestützt habe...", murmelt er und umgreift sein Handgelenk, wo all die Adern hervorkriechen. „Was zum Teufel ist das? Was kann ich tun?! Wir müssen was tun! Das ist nicht gut! Gar nicht gut! Ich mein...! Oh Gott, ich-..." „Percival!", unterbricht er mich mit seiner Alphastimme und lässt mich damit heftig zusammenzucken. Schnell sauge ich den Sauerstoff in meine Lunge und versuche mich mit allen Mitteln auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Das geht gleich vorbei", seufzt er erschöpft. Müde schließt er seine Augen und runzelt schmerzerfüllt seine Stirn. „Das geht schon vorbei?!", kreische ich hysterisch und im Nachhinein wird mir mein Verhalten wohl peinlich sein, doch in diesem Moment, habe ich einfach nur Angst. Angst um... ihn. Schwerfällig versucht er sich an einem der hinteren Regale abzustützen. Völlig verständnislos sehe ich ihm dabei zu, wie er es ohne Hilfe versucht. „Warte, ich... ich kann helfen", will ich ihm zur Hilfe eilen und ihn stützen, doch er hebt sofort abwehrend seine Hand. Ruckartig halte ich inne. „Hör auf dich einzumischen, Omega!", knurrt er und trifft mich damit, durch einen mir unerklärlichen Grund, tief. Gerade als er es fast geschafft hat und beinahe schon steht, scheint ihn wohl eine erneute Welle zu erschüttern, denn kurzzeitig wandern die Adern viel schneller seinen Arm hinauf. Keuchend bricht er zusammen und kneift seine Lider zu. Stille umhüllt uns und nur unser beider Atem ist klar wahrnehmbar. Ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit. Etwas schräg unter meinem Herz ruht dieses beklemmende, tiefe Gefühl und ich kann kaum beschreiben, was es ist. Sorge? Angst? Was hat das alles nur zu bedeuten? Vorsichtig lasse ich mich wieder neben ihm nieder. „Lass... Lass mich dir helfen. Bitte", flüstere ich und sehe besorgt zu ihm. Sein schwarzes T-Shirt spannt um seine gewaltigen Armmuskeln, in denen langsam die schwarzen Adern verschwinden. „Kann ich irgendwas tun?", will ich flehend wissen, da ich mich gerade so völlig nutzlos fühle. „Ich... Ich regeneriere. Das muss so passieren. Lass mich einfach alleine", brummt er und lehnt erschöpft seinen Kopf an das hintere Regal. Regenerieren? Von was? Wieso? „Das... kann ich aber nicht." Mit großen Augen sehe ich zu dem Mann vor mir, der mir eine Heidenangst einjagt. Er erwidert nichts darauf, verzieht nur missbilligend das Gesicht. Langsam nähere ich mich ihm, so dass sich beinahe unsere Beine berühren. Sein linker Arm, der überseht ist mit diesen schwarzen Adern, die ich bisher nur beim Heilen an ihm gesehen habe, liegt schlaff auf dem Boden. Überlegend blase ich meine Wangen auf, ehe ich die angestaute Luft entlasse und nervös an meiner Wangeninnenseite knabbere. Ich will ihm helfen, ihm Trost spenden, Nähe geben und ihn beschützen. Ihn behüten, als wäre er mein Allerheiligstes. Zögernd, da ich weiß, dass er sie sowieso sofort wegzieht, lasse ich meine dünne, kleine Hand zu seiner wandern. Im Gegensatz zu der meinen wirkt seine so viel gigantischer. Beinahe wie Klauen. Ängstlich streife ich mit meinem Finger über seine Fingerkuppe, ehe ich meine Hand in seine gleiten lasse, sie umgreife und ihm vielleicht Kraft spende.
Doch plötzlich ändert sich einfach alles. Sofort reißt er seine Augen weit auf und dann kann ich nur noch mit großen Augen auf unsere Hände sehen. Ein grünes Licht, ganz ähnlich wie das seine beim Heilen, wickelt sich um unsere Hände und seine Adern verfärben sich rasant in eine grüne Farbe. Vom Beginn seines Handgelenks bis hoch zu seiner Schulter wird alles mit grün durchzogen. Ein bisher völlig unbekanntes Gefühl breitet sich in meinem Inneren aus, was ich nur mit reiner Energie beschreiben könnte. Es beflügelt mich, treibt mich an und zieht sich durch meinen ganzen Körper in jede einzelne Pore. Fast fühlt es sich an, als könnte ich das erste Mal in meinem Leben richtig atmen, als wäre ich endlich aus einem tiefen Ozean aufgetaucht und darf zum ersten Mal nach der reinen, puren Luft schnappen, die meine Lungen füllt. Fest packt Ares meine Hand, umgreift sie, als wäre es der Mittelpunkt der Erde. Völlig beflügelt sehe ich zu ihm und stelle fest, dass seine Augen nicht mehr in diesem Rot leuchten. Nicht einmal seine menschliche Augenfarbe sieht mir entgegen. Nein, es ist das reinste, leuchtendste, hellste Blau, das ich jemals in meinem Leben gesehen habe, sodass sich selbst meine moosgrünen Wolfsaugen in seinen widerspiegeln und mit einem Mal erscheint es mir, als könnte ich in seine Seele sehen und alles, was ich sehe, bin ich selbst.
Ruckartig lässt er von mir ab und fasst sich keuchend an seine Brust, ehe er sich schnell aufstützt und ohne Probleme, wie noch eben zuvor, aufsteht. Auch ich tue es ihm langsam gleich und sehe erstaunt auf meine Hand, die noch eben seine berührt hat. „Wie... Wie hast du das gemacht?", fragt er fassungslos. „I-ich weiß nicht", hauche ich und sehe vorsichtig zu ihm. Seine Augen haben wieder ihre normale Farbe angenommen, die nicht weniger wunderschön sind. „Was war das gerade? Warum warst du so? Was haben diese Adern zu bedeuten?", überhäufe ich ihn mit Fragen und fasse mir selbst beruhigend auf mein schnellschlagendes Herz. „Ich...", er schluckt, wendet sich mit seinem Blick ab und sieht auf den Boden, wo noch immer all diese Bücher verstreut liegen. „Ich hatte das bisher nur einmal, doch es war nicht annähernd in diesem Ausmaße wie eben", murmelt er und beugt sich zu einem der Bücher runter. „Wann war das und warum?" Er fährt andächtig über einen der Buchrücken. „Du hast sie nicht aus Versehen heruntergeworfen, nicht wahr?", schlussfolgere ich aus seinem Verhalten. „Ich dachte vielleicht in ihnen Antworten zu finden, als ich spürte, dass es beginnt." „Dass was beginnt?", fordere ich von ihm zu wissen. „Das letzte Mal, als es passierte, ist viele Jahre her. Kurz nachdem ich... nachdem ich zum ersten Mal jemanden versucht habe zu heilen."
„Versucht?" „Sie ist gestorben", erklärt er kalt und schnürt mir damit die Kehle zu. „Wenige Tage später hatte ich etwas Ähnliches, doch nicht ansatzweise so schmerzhaft", murmelt er und öffnet das Buch in seinen Händen. „Damals hatte ich versucht etwas mehr darüber zu erfahren, da ich Sorge hatte, es würde erneut auftreten, doch das tat es nicht, also ließ ich es ruhen und habe nie wieder jemanden geheilt. Bis du kamst", sofort sieht er strafend zu mir auf. „Sieh... Sieh mich nicht so an. Ich habe dich nun wirklich nicht dazu gezwungen mich zu heilen", murmle ich eingeschüchtert und senke unterwerfend den Blick Richtung Boden. „Nein, du wärst dann nur einfach gestorben", erwidert er trocken und schmeißt draufhin das Buch weg, um sich das nächste zu nehmen. „Ich schätze, es ist eine Art Regeneration, die mein Körper durchführt, um all die aufgenommenen Schmerzen auszugleichen. Oder so ähnlich...", er blättert im Buch. „Jedenfalls habe ich mich, als ich spürte, dass es begann, auf den Weg in die Bibliothek gemacht, um es vielleicht irgendwie verhindern zu können oder mehr darüber zu erfahren, doch so weit kam ich nicht und dann kamst auch schon du", er wirft mir einen kurzen Blick zu, den er sogleich auch wieder abwendet. Schuldgefühle machen sich in mir breit. „Was hattest du eigentlich um diese Uhrzeit noch hier zu suchen?" Schuldig zucke ich zusammen, als er das Buch lautstark zuschlägt und ein neues nimmt. „Ich habe für einen Aufsatz recherchiert", erkläre ich eingeschüchtert. „In der Bibliothek?" Er zieht fragend eine Augenbraue hoch. „Heutzutage kommt kaum noch jemand her. Wir haben schuleigene Laptops, auf denen alle Bücher aus der Bibliothek kategorisiert und aufgelistet sind." „Das... Das wusste ich nicht", meine ich bedröppelt und verstehe jetzt, warum Ell mich so komisch angesehen hat. „Außerdem hast du um diese Zeit absolut nichts mehr in den Schulfluren verloren, schon gar nicht alleine. Ist dir denn nicht bewusst, dass du dich hier in einem fremden Rudel befindest, dessen Mitglieder ein klares Heimvorteil haben? Wenn du ihnen in einem dunkeln Flur ohne jegliche Lehrkraft begegnest, kann selbst ich dir nicht mehr helfen", brummt er und macht mir damit eine Heidenangst, so dass ich an nichts anderes mehr denken kann, als meinen Rückweg, den ich gleich ganz alleine durch diese Schule zu meinen Zimmer zurücklegen muss. Ein ängstliches Beben geht durch meinen Körper, denn mein innerer Omega geht auf die Warnung vom Alpha mit allen Sinnen ein und ich will gerade nichts mehr, als von ihm auf seinen großen, beschützerischen Armen in mein Zimmer getragen zu werden. Kurz darauf rüge ich mich innerlich selbst für diesen absurden Gedanken. „I-Ich könnte dir ja helfen Informationen zu finden", biete ich nicht ganz selbstlos an. Als er das nächste Buch, was er durchgeblättert hat, zuschlägt, seufzt er. „Nein, in diesen Büchern steht nichts, es hätte mich auch gewundert, wenn es das getan hätte, dafür sind sie nicht alt genug. Außerdem solltest du nun wirklich ins Bett", erklärt er und sein letzter Satz klingt mehr nach einem Befehl, dem ich hektisch nickend nachkomme. Schnell eile ich zu dem Tisch, an dem ich meine Sachen habe und schnappe mir meine Tasche. Zügig laufe ich zum mittleren Gang und als ich um die Ecke trete, entkommt mir ein erschrockenes Kreischen, als Ares lässig an einem Pfosten lehnt. „Nicht so laut, die gehorsamen Leute in diesem Schloss schlafen bereits." Das war definitiv noch einmal ein Hinweis, dass ich nicht zu den gehorsamen Leuten gehöre. Ich folge ihm, als er sich vom Pfosten abstößt und Richtung Ausgang läuft. Ich versuche mit ihm Schritt zuhalten. „Gute Nacht, Ezra", kommt es plötzlich von Ares, was den Mann hinter dem Tresen erschrocken aus seinem Schlaf aufschrecken lässt, bevor er erstmal verwirrt umher sieht, doch als er sein Alpha erkennt, springt er sofort auf und neigt respektvoll den Kopf. „Ihnen auch, Sir", wünscht er ihm. Als sein Blick auf mich fällt, weiten sich seine Augen und sein Mund klappt auf, weswegen ich es ihm auch nicht übel nehme, dass er mir keine ‚Gute Nacht' gewünscht hat. Unschlüssig sehe ich mich auf dem Gang draußen um, nicht sicher, wo es zu meinem Zimmer geht. Doch anders als ich dachte, geht Ares einfach vor und sieht dann wartend zu mir. „Was? Dachtest du, ich lass dich hier und du musst alleine zu deinem Zimmer zurück, nachdem, was ich dir eben erzählt habe?", fragt er. „Ähm... ja." Er schnauft. „Ich bin zwar herzlos, aber nicht dumm. Es ist nicht gerade vorteilhaft deinem Alpha erklären zu müssen, warum du im Leichensack nach Hause kommst." Kurz verwirrt mit den Augen klimpernd, stehe ich da, ehe ich ihm eilig folge. Es dauert gar nicht so lange, bis wir stillschweigend bei meinem Zimmer ankommen.
Unsicher bleibe ich vor meiner Tür stehen und fühle mich in den Moment zurückversetzt, als er mich das letzte Mal hergebracht hat und ich diese Worte zu ihm gesagt habe. Zögerlich sehe ich in sein kühles Gesicht hoch und alles an ihm schreit, dass er nur drauf wartet, dass ich durch die Tür hinter mir gehe.
Schnell sauge ich all meine Luft in die Lungen, blase meine Wangen auf und umschlinge ihn in Rekordgeschwindigkeit mit meinen Armen. Fest presse ich mich an ihn, kneife vor Angst meine Augen zusammen und sauge alles tief in mich auf. Ich kralle meine kleinen Hände in sein T-Shirt, die sich nicht ansatzweise am Rücken treffen. Drücke meinen Kopf gegen seine Brustmuskeln und lasse mich von der Welle an Emotionen überfluten - in dieser winzigen Millisekunde. Fühle das Kribbeln bis in meine Knochen, das wilde Flattern in meiner Magengrube und die Elektrizität in der Luft, ehe ich mich schnell von ihm löse, ohne dass er die Möglichkeit hatte, mich von sich zu stoßen. „Ich finde dich ganz und gar nicht herzlos", stoße ich noch schnell aus, bevor ich, ohne noch einen Blick in sein völlig entgleistes Gesicht zu werfen, in mein Zimmer verschwinde.Beta: hirntote
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Black Depths
Romance~ Black Depths ~ Ich hatte mir immer vorgestellt, dass mein Leben friedlich und nach meinen Wünschen ablaufen wird. Schon von klein an, wurde ich nicht so akzeptiert, wie ich im Herzen bin. Es war okay, ich lernte damit zu leben, da ich dachte, irge...