Kapitel 28

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P e r c i v a l

„Kann mir jemand erzählen, wie es zu den jährlichen Wettkämpfen überhaupt kam?", fragt uns Ms. Price und lehnt sich entspannt an ihren Schreibtisch. Wir sind alle ziemlich unmotiviert. Besonders da der Wettkampf so überhaupt nicht lief wie erhofft. Selbst die Blacks sind genervt und können es einfach nicht fassen, dass tatsächlich ein Blue gewonnen hat. Selbst Wesley soll am Abend nicht sonderlich gut gelaunt gewesen zu sein. Immerhin haben wir gerade einmal den dritten Platz erreicht und nur knapp waren die Blacks besser. Um ehrlich zu sein, glaube ich jetzt überhaupt nicht mehr daran, dass wir gewinnen und selbst die Blues haben gestern das erste Mal gewonnen, es läuft wohl darauf hinaus, dass der Endkampf zwischen den Reds und Blacks stattfindet. Je nachdem, wie morgen der Kampf ausfällt. Meiner Meinung nach findet morgen der spannendste Wettkampf von allen statt. Sechzehn verschiedene Gegenstände sind überall im Wald versteckt, für jedes Team vier und unsere besten Sucher, ein Team aus vier Leuten pro Rudel, werden losgeschickt, um sie zu finden und schnell wieder zurückzubringen. Wer als Erstes alle Gegenstände vollständig hat, hat gewonnen. Es ist nicht so unähnlich wie unser erster Kampf, doch diesmal kommt es auf all unsere Sinne an und wir haben nicht das Wissen, wie viele von uns schon was zurückgebracht hat. Schnelligkeit ist hier gefragt.
Einige Arme gehen hoch, denn eigentlich ist die Geschichte der Entstehung unserer Wettkämpfe jedem bekannt. „Ja, Rick?", nimmt sie einen Blue dran. „Die ersten Alphas unserer Rudel haben die Wettkämpfe zu einem jährlichen Ereignis gemacht, um uns zusammenzuführen, damit wir nie unsere Geschichte vergessen und unsere Instinkte trainieren", erklärt er. „Falsch, sie wollten einfach nur gegenseitig zeigen, wer das bessere Rudel ist!", ruft ein Junge rein, der unverkennbar ein Black ist. „Wieso kommst du zu dem Entschluss, Jackson?", fragt ihn die Lehrerin und lächelt. „Weil es offensichtlich ist. Die Wettkämpfe rücken uns ja nicht zusammen, sie stellen nur klar, wer die Nase vorne hat. Wer das Zeug dazu hat, der Beste zu sein. Sicherlich, wir finden uns zusammen und verbringen einmal im Jahr zwei Wochen zusammen auf engen Raum, aber es ist bekannt, dass es schon immer Rivalitäten gab." Ein zustimmendes Brummen kommt von einigen. „Das ist richtig, doch zu Anfang, bei den ersten Spielen, war das noch nicht so. Man schloss Freundschaften, Bündnisse und einige fanden ihre Gefährten in den jeweils anderen Rudeln. Es sollte sie als Einheit stärken, damit wir irgendwann wieder die Möglichkeit haben, zusammen als Gemeinschaft zu leben", erzählt sie, was selbst mir neu ist. „Gefährten?", fragt ein Mädchen in den vorderen Reihen. „Ja, genau. Ein sogenannter Mate. Früher war so etwas nicht selten. Nicht jeder wurde dem wundersamen Gefühl; dieser Einheit; der Zusammenkunft mit DER richtigen Person zuteil. Mates waren dazu bestimmt sich für immer zu lieben und sich durch einen Biss, der nur unter Werwölfen möglich ist, zu markieren. Damals noch, zu der Zeit, als die Wettkämpfe ihren Anfang fanden, waren sie noch vorhanden, doch über die Jahre wurden sie immer weniger. Heute ist es leider ausgestorben. Warum, ist nicht ganz klar. Viele sagen, schuld war der schlimme Krieg. Er hat unsere Seelen so schrecklich verletzt, dass wir nicht mehr spüren können, wenn wir ihnen begegnen. Als die letzten starben, wurden auch keine Omegas mehr geboren und wie wir letzte Woche sehr genau gelernt haben, können wir schwer etwas missen, dessen Existenz wir uns nicht mehr bewusst sind." Ein Ruck geht durch die Klasse und plötzlich liegt jeder Blick auf mir. Eingeschüchtert sinke ich etwas in mich zusammen. „Ach ja! Wir haben ja ein unter uns. Es ist wirklich tröstlich, zu wissen, dass Omegas nicht für immer verloren sind", sie lächelt mir warm zu, wechselt aber mir zuliebe wieder das Thema. „Jedenfalls hat das Enden der Mates zur Ursache, dass die Grenzen zwischen den Rudeln größer wurden, sie sich zurückzogen und die anderen nur noch als Gegner ansahen. Wenn man vielleicht an die Überlegung zurückdenkt, dass die Wettkämpfe uns eigentlich wieder zusammenführen sollten, haben sie die Schluchten nur noch größer gemacht. Wir fingen an bei uns Unterschiede zu suchen, uns in extreme Schubladen zu schieben, Klischees zu erfinden und Gerüchte zu streuen, die der Wahrheit nicht nahekommen. Wahrscheinlich sind wir aber auch ganz einfach selbst schuld, dass es so weit kam. Unseren Stolz, der bei uns Gestaltenwandlern nicht gerade klein ist, hat uns wohl dazu gebracht", erzählt sie mit etwas Reue und Bedauern in ihrer Stimme. „Heutzutage wird es nicht mehr gerne übermittelt, aber ich erzähle gerne die Wahrheit, da ich drauf hoffe, dass wir irgendwann über unseren Stolz stehen können und uns nicht mehr in Gruppen teilen. Das wir eine Chance auf die Co-Existenz haben. Ich glaube daran, dass wir vielleicht irgendwann bereit sind, wieder eine Einheit zu sein." Die Klingel unterbricht sie in ihrer Erzählung. „Na gut, legt mir bitte eure Aufsätze nach vorne und da das wahrscheinlich unsere letzte Stunde zusammen war, wünsche ich euch allen noch eine schöne Woche und viel Glück bei den letzten beiden Wettkämpfen. Vergesst nicht, auch wenn nur einer gewinnt, kommt es darauf an, was wir dadurch gefunden haben." Wir stehen alle auf und als ich am Schreibtisch vorbeikomme, lege ich meinen Aufsatz zu den ganzen anderen und verlasse den Klassenraum, nachdem ich die Lehrerin noch einmal kurz angelächelt habe. Draußen auf den Fluren entdecke ich Ell, die ich rein instinktiv fest in meine Arme schließe. „Oh, hey Percy", begrüßt sie mich überrascht und tätschelt unbeholfen meine Schulter. „Alles klar?", tief sauge ich ihren Duft in meine Lunge und presse sie noch näher an mich. Mir ist nie bewusst gewesen, dass sie einen sehr intensiven Geruch nach Beta hat. Viel dominanter als es für eine Frau und ganz besonders für ein Beta typisch wäre. Lächelnd löse ich mich von ihr. „Ich bin echt dankbar, dass ich dich durch die Wettkämpfe kennengelernt habe", gestehe ich ihr. Verwirrt runzelt sie die Stirn, ehe sich auch ein zögerliches Lächeln auf ihre Lippen schleicht. „Ich auch, Percy", sie legt einen Arm um mich. „Komm, die anderen werden jetzt trainieren, lass uns irgendwas Verbotenes machen", schlägt sie vor und ich lache nur kopfschüttelnd.

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