P e r c i v a l
Vielleicht wäre es gut gewesen, ich würde aufstehen und in den Wald flüchten, zurück zur Schule, doch es scheint, als könnte ich keinen Muskel mehr in meinem Körper bewegen. Wie erstarrt schaue ich zu dem Alpha vor mir, der noch immer auf allen vieren, nur in einer Jeans und einem T-Shirt bekleidet, zu mir sieht. Ich kann kaum sein Gesicht erkennen, doch irgendwas sagt mir, dass er gerade einen Kampf mit sich selbst führt und ich kann einfach nur hoffen, dass ich rein gar nichts damit zu tun habe. Einen Gestaltenwandler jemals so zu sehen, gefangen zwischen seiner menschlichen Form und dem Wolfsein, hätte ich mich nie zu glauben gewagt. Ja, ich habe schon darüber gelesen, dass sowas möglich ist, doch es braucht ein inneres Gleichgewicht, was so gut wie niemand im Stande ist zu beherrschen. Seine Ohren sind spitz wie die eines Wolfes; seine Zähne lang und gemacht, um seine Beute zu verschlingen; und Krallen, dafür bereit, um eine Kehle aufzureißen. Schnaufend schüttelt er mit dem Kopf, ehe er auf mich zuläuft. Langsam wie ein Leopard zu seiner Beute und ich muss meinen Kloß runterschlucken bei diesem Vergleich. Er scheint etwas zu wittern, jedenfalls sagt mir das seine Nase, die rauf und runter zuckt. „Bitte tue mir nichts", bringe ich lächerlich verängstigt hervor. Auf meinen Ellenbogen stützend betrachte ich ihn genau und komme nicht umhin, festzustellen - egal, wie beängstigend er aussieht -, dass da etwas ist, was ich nicht erklären kann und mich merkwürdig fühlen lässt. Seine mit Krallen versehenen Hände legen sich an den Bund meines Pullovers, seine Augen jedoch scheinen die meinen zu verschlingen. Er kriecht über mich, als wollte er mich dominieren, doch es wäre absurd. Immer wieder zuckt seine Nase, was mich hoffen lässt, er könnte mich vielleicht an meinem eigenen Omega-Geruch erkennen. Die Hand, die noch immer an meinem Bund ruht, zieht diesen jetzt weiter hoch, zusammen mit dem weißen Hemd meiner Uniform. Er befreit damit meinen unbedeckten Bauch und beugt sich zu diesem nach unten. Wieder bemerke ich, wie er beinahe wie ein Hund an mir zu schnüffeln scheint. Seine Nase streicht andächtig über meine zarte Haut um meinen Bauchnabel, was mich kichern lässt. „Lass das, das kitzelt", entkommt es mir und sein Blick ruckt sofort wieder auf. Irgendwas in seinen roten, glühenden Augen gibt mir die Sicherheit, dass er mich nicht verletzen will. Er erscheint mir in genau diesem Moment eher wie ein einsamer, kleiner Junge, der nach etwas trachtet. Vorsichtig, langsam und bedacht hebe ich meine Hand und lege sie an seine verdammt heiße Wange. Wenn er kein Alpha wäre, hätte ich Sorge, ob er Fieber hat. Sanft streiche ich mit meinem Daumen über seinen Wangenknochen. „Ares...", hauche ich und hoffe ihn durch seinen Namen wieder vollständig zurückzukriegen. Langsam blinzelnd verwandelt sich sein Rot wieder in dieses Grau-Blau. Er scheint kurz etwas orientierungslos, sieht sich um, ehe er etwas in der Luft wittert. Sein Blick landet wieder auf mir. „Du blutest", brummt er. Verwirrt lege ich den Kopf schräg. Was er wohl damit meint? Gedankenverloren streiche ich über seine Wange. „Du hast echt verdammt schöne Haut...", kommt es wie in Trance von mir, bevor ich mir der schlimmen Schmerzen in meinem Rücken bewusst werde und bewusstlos nach hinten kippe.
~
„Ares...", hauche ich, als ich langsam wieder mein Bewusstsein erlange. Mit flatternden Lidern sehe ich empor, direkt in das gottgleiche Gesicht. Angespannt und fokussiert, starrt er geradeaus. Über uns kann ich noch immer den Wald erkennen, weshalb ich mir sicher bin, nicht lange bewusstlos gewesen zu sein. Mir geht es schon besser, mein Handgelenk schmerzt nicht mehr. Seufzend presse ich meinen Kopf an seine Brust, die so einladend warm ist. Beinahe zu warm. Sein Geruch strömt in Massen in meine Lunge, nimmt mich vollkommen ein und lässt mein Bauch kribbeln, so sehr, wie er es noch nie getan hat. Ein kurzes Beben geht durch meinen Körper, als ich mir seiner Pheromone bewusst werde, die mich in Wellen überschwemmen. Es scheint, als würde er mich tragen und irgendwo hingehen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in meinem Leben jemals so sicher in lediglich zwei starken Armen fühlen könnte. Röte steigt in meine Wangen und Hitze überfällt meinen Körper wie ein Tsunami. Was will mir mein Körper bloß mit all diesen verwirrenden Gefühlen sagen?
„Hör auf damit", knurrt er plötzlich und ich blicke ihn verwirrt mit verklärtem Blick an. „Ich verstehe nicht...?", bringe ich mühsam hervor. „Bekomm dich in den Griff, deine Omega-Pheromone verteilen sich im ganzen Wald und nur nebenbei, es ist wirklich ätzend." Eingeschüchtert und gedemütigt presse ich mich ungewollt näher an ihn. Als hätte ich Hoffnung, Trost bei demjenigen zu finden, der mich so erniedrigt hat, nur anhand dieser unbedeutenden Worte. Als wüsste ich es nicht besser und müsste es mir nicht schon mein ganzes Leben anhören und trotzdem verletzt es mich. „Das gleiche könnte ich dir sagen", entkommt es mir unüberlegt, getrieben von meinen verletzten Gefühlen. Ruckartig hält er inne und sieht zu mir hinab. Sein Gesicht ist angespannt, wütend und genervt. „Was?", knurrt er so tief, dass mich ein Zittern erschüttert. „Deine Pheromone schwirren auch überall herum und prallen gegen mich wie eine Wand. Mein Wesen reagiert nur darauf", murmle ich ehrlich und sehe ihm entgegen, ohne zu bemerken, wie ich ihn ohne Erlaubnis duze. Kurz sieht er verwirrt aus, ehe er seine Nase zum Himmel richtet. Erkenntnis breitet sich in seinem Gesicht aus und plötzlich ist es so, als würde die ganze Pheromonzufuhr gestoppt werden. Es wundert mich tatsächlich nicht, dass er dazu in der Lage ist, ehrlich gesagt hätte es mich mehr gewundert, wenn es nicht so gewesen wäre. Obwohl es so einnehmend war, habe ich es irgendwie gemocht von seinen Pheromonen überschwemmt zu werden. Irgendwie gab es mir Sicherheit, doch dieses Eingeständnis fällt mir schwer. Seine Augen richten sich wieder auf mich und ich muss gestehen, dass mich dieser intensive Blick, der bis ins Mark geht, erregt. Es erschreckt mich und lässt mich hart schlucken. Sofort senke ich meinen Blick und drücke meine Nase an seine nackte Brust. Ich stocke. Seine Wärme lullt mich ein und lässt mich fast nicht merken, wie er wieder weiterläuft. „Hast du mich wieder geheilt?", frage ich ihn leise und noch immer an ihm versteckt, da ich mir anders nicht erklären könnte, warum nichts mehr an meinem Körper schmerzt. Seine Anspannung spüre ich sofort und auch sein Griff um mich wird fester, während sein Herz kräftiger schlägt. „Du wärst beinahe verblutet...", erzählt er ruhig, düster und klar. Vorsichtig schaue ich an mir runter und bemerke, wie mein Pullover sowie mein Hemd durch ein viel zu großes weißes T-Shirt eingetauscht wurde. Er... Er hat mich umgezogen? Schamesröte steigt in meine Wangen. Ich schaue zögerlich zu ihm auf. „Ich erinnere mich nicht", stelle ich ernüchternd fest. Nur, wie er über mir schwebte und dann ist plötzlich alles weg. „Der Hirsch hat sein Geweih in deinen Rücken gerammt. Es hätte beinah dein Herz getroffen", erklärt er. „Deine Klamotten waren mit Blut getränkt. Ich musste deine Klamotten wechseln." Meine Atmung beschleunigt sich bei der Vorstellung. „Was... W-Wo sind meine Sachen jetzt?" „Ich habe sie verbrannt." Entsetzt sehe ich ihn an, hoch in sein emotionsloses Gesicht. Seufzend wende ich den Blick ab und denke an die Ereignisse. Es hätte mich töten können! Mein Dad.... Oh Gott. „Es hatte weiße Augen...", entkommt es mir beinahe wie in Trance, während ich seine beruhigende Brust anstarre, die sich gleichmäßig hebt und senkt. „Das... Das ist doch nicht normal? War das Teil der Disziplin?", will ich besorgt wissen. Was wäre, wenn ein anderer dabei gestorben wäre? „Nein. Der Hirsch hätte wütend werden können, doch dieser war weit davon entfernt. Irgendwas stimmte nicht und wenn ich nicht da gewesen wäre...", er beendet den Satz nicht und mir erscheint es beinahe so, als würde er sich... sorgen? „Danke...", hauche ich ehrlich. Seine Augen richten sich auf die meinen. „Du solltest aufhören, dich in Gefahr zu bringen. Ich kann nicht immer da sein." „Immer?" Meint er damit die Nacht, an die ich mich kaum noch erinnere? „Meinst du das andere Mal, diese Nacht vorgestern?", will ich wissen, doch er wendet seinen Blick wieder ab. „Je weniger du weißt, desto besser", brummt er und ich würde am liebsten mit dem Fuß auf den Boden aufstampfen und schmollend protestieren. „Ich will es aber wissen!", beharre ich. Er ignoriert mich. „Hey! Ignoriere mich bitte nicht!" Wieder starrt er nur geradeaus und spannt seinen Kiefer an. Verdammt, das gefällt mir viel zu sehr. Wieso ist er nur so stur? „Ich werde es schon noch irgendwann rausfinden...", murmle ich und lehne mich erschöpft an seine Schulter. „Wo laufen wir überhaupt hin?", frage ich ihn und kuschle mich unbewusst noch mehr in seine breiten Arme. „Zurück zur Schule. Es ist noch niemand durchs Ziel." „Wie lange war ich bewusstlos?" „Nicht sehr lange." „Du bist nicht sehr gesprächig, hm?", seufze ich und gähne herzhaft. „Du solltest schlafen gehen, wenn du zurück bist, die Heilung hat deinen Körper gestresst", meint er, ohne auf meine vorherige Frage einzugehen. „Tut es weh?", will ich wissen. „Was?" „Das Heilen?" Er schweigt einige Zeit und es scheint so, als würde er intensiv darüber nachdenken, mir diese Frage zu beantworten. „Ich spüre den selben Schmerz wie du während der Heilung. Die Wunden übertragen sich auf mich. Doch es... ist auszuhalten", erklärt er mir. Besorgt rucke ich auf und lege wie selbstverständlich meine Hand auf seine Wange. „Heißt das, du bist verletzt?" Ich denke kaum über mein Handeln nach, es passiert einfach rein instinktiv und die Sorge, die mich nun mal übermannt, ist viel zu groß als sie zu ignorieren. Verwundert sieht er zu mir, hält sogar in seinen Schritten inne und starrt mich an. Für den Bruchteil einer Sekunde schließt er die Augen, ehe er seinen Blick fast schon gewaltsam von mir löst. „Die Wunden heilen bei mir schon nach wenigen Sekunden. Doch dein Omega-Körper ist dazu nicht in der Lage", gibt er vorwurfsvoll von sich, was mich dazu veranlasst, die Hand schnell wieder zu senken und mich selbst in Gedanken zu schellen. Was habe ich mir auch dabei gedacht? Mich sorgen, um einen Alpha, der offensichtlich etwas gegen mich und meine Art hat. Ich ziehe mich zurück und schweige den Rest der Strecke, bis er irgendwann anhält und mich wenig sanft auf den Boden stellt. Bei der Schnelle erlange ich nicht rechtzeitig meine Konditionen wieder und pralle unweigerlich gegen den großen Körper, um mich aufrecht zu halten. Meine Hand ruht auf seiner nackten Brust und die Wärme, die von ihm kommt, nimmt mich kurzzeitig völlig ein. Ruckartig löse ich mich und sehe peinlich berührt zu ihm auf. „Entschuldige...", murmle ich verlegen. „Hundert Meter in diese Richtung...", er deutet nach Süden, „befindet sich der Ausgang. Wenn du durchs Ziel läufst, verlierst du kein Wort über das Geschehene. Ich war nicht da. Sag einfach, dir ging es nicht gut, weswegen du umgedreht bist. Hast du mich verstanden?!", eindringlich sieht er zu mir hinab. Schluckend sehe ich in seine Augen und erkenne nichts als Abneigung in ihnen. Bestätigend nicke ich, ehe ich traurig den Blick senke und mich umdrehe, um in Richtung Ausgang zu gehen. Die plötzliche Kälte lässt mich frösteln. Kurz kommt in mir das Gefühl hoch, beobachtet zu werden, weswegen ich mich auch noch einmal zu ihm umdrehe, doch er ist weg. Kopfschüttelnd gehe ich die letzten Meter, ehe ich wieder die bekannte Wiese, die sich um das Schulgebäude streckt, betrete. Vor mir unterhalten sich die Trainer und viele Lehrer. Ich halte direkt vor dem Ziel inne und lasse meine Hände in meine Hosentaschen gleiten. Mein Auftauchen bleibt nicht unbemerkt. Verwirrt sehen sie mir entgegen. Überrascht schaue ich auf, als ich etwas in meiner Tasche fühle. Das hatte ich völlig vergessen. Mein Blick fällt auf Ares, dessen Oberkörper wieder bekleidet ist, während er mit einem seiner Wächter redet und innehält, als ich ihn anstarre. Er runzelt verwirrt die Stirn. Langsam ziehe ich meine Hand aus der Hosentasche, zusammen mit dem grünen Band und schreite mit einem siegessicheren Lächeln durchs Ziel und genieße die Genugtuung bei der Überraschung auf seinem Gesicht.Beta: hirntote
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Black Depths
Romance~ Black Depths ~ Ich hatte mir immer vorgestellt, dass mein Leben friedlich und nach meinen Wünschen ablaufen wird. Schon von klein an, wurde ich nicht so akzeptiert, wie ich im Herzen bin. Es war okay, ich lernte damit zu leben, da ich dachte, irge...